Die Zahlen der Weltbank sind beeindruckend: Im Jahr 2022 haben Migrantinnen und Migranten umgerechnet insgesamt 647 Milliarden US-Dollar an Verwandte und Freunde in Schwellen- und Entwicklungsländer geschickt. Diese sogenannten Rücküberweisungen sind damit höher als alle ausländischen Direktinvestitionen, die in den Ländern des globalen Südens getätigt werden. Bereits in den 1990er Jahren haben die migrantischen Überweisungen die gesamte internationale Entwicklungshilfe hinter sich gelassen. Nach Angaben der OECD betrug das Volumen der Entwicklungszusammenarbeit im vergangenen Jahr 204 Milliarden US-Dollar. Rücküberweisungen machen heute also das Dreifache der gesamten Entwicklungshilfe aus. Diese Geldsendungen werden größtenteils in wirtschaftliche Tätigkeiten wie den eigenen Laden oder ein Stück Farmland reinvestiert oder für Gesundheits- und Bildungsausgaben verwendet.
Das Geld der Migranten, in dem ein enormes Entwicklungspotenzial steckt, wird zu einem Großteil über formelle Kanäle überwiesen – das sind so genannte Money Transfer Organisations (MTOs) wie der traditionelle Branchenriese Western Union oder neuere, auf den Online-Transfer spezialisierte Anbieter wie Remitly. Auch Banken sind Teil des riesigen formellen Remittances-Marktes. Die Gebühren dieser offiziellen Anbieter haben sich für die Menschen, die auf Transferdienstleistungen angewiesen sind, durchaus günstig entwickelt. Nach Angaben einer beim Internationalen Währungsfonds veröffentlichten Studie sind sie von durchschnittlich 7,7 Prozent der übermittelten Summe im Jahr 2011 auf 5,7 Prozent im Jahr 2020 gesunken.
Die Preisgestaltung hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa von der Zahl der Menschen, die Geld aus Land A nach Land B schicken wollen, von der Zahl der Anbieter für einen solchen sogenannten „Remittances-Korridor“ und vom Ausmaß der Regulierung der jeweiligen Finanzsektoren und von den Wechselkursen. Es gibt aber auch Länder, in die über formelle Kanäle nur sehr schwer oder gar nicht Geld geschickt werden kann. Syrien ist ein Beispiel. Vor allem wegen der internationalen Sanktionen gegen das syrische Regime gibt es kaum eine Möglichkeit, Geld in das kriegsgebeutelte Land zu senden. Hier kommt ein informelles System ins Spiel, das oft mit dem arabischen Wort Hawala beschrieben wird.
Hauptsache bezahlbar
Hawala, was im Hocharabischen einfach nur so viel wie „überweisen“ bedeutet, funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Person A will von Deutschland aus einen Geldbetrag an eine Person B schicken, die in Syrien lebt. A übergibt das Geld mit einer kleinen Zusatzgebühr in Deutschland an eine Person C, einem Händler oder Hawaladar. Person B bekommt kurz darauf in Syrien von einer Person D, einem anderen Hawaladar, den Geldbetrag ausgezahlt. Das Geld muss nicht physisch von A nach B bewegt werden, aber wie genau die Personen C und D miteinander in Verbindung stehen und wie oder mit welchem System ein- und ausgezahlte Geldbeträge verrechnet werden, bleibt für diejenigen, die das Geld schicken, ebenso unklar wie für die Empfänger. Vielen ist das schlichtweg egal. Sie sind vor allem froh, dass es diese (bezahlbare) Möglichkeit des Geldtransfers gibt, denn die Empfängerinnen sind auf die finanziellen Sendungen dringend angewiesen.
Autor
Benjamin Schraven
ist Migrationsforscher, Berater, Autor und Associate Fellow des German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Jüngst hat er ein Buch zum Thema Klimawandel und Migration veröffentlicht.Eine Reihe von Studien, die von der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (UNESCWA) in Auftrag gegeben und bei der letztjährigen Syrien-Geberkonferenz in Brüssel vorgestellt wurden, zeigt, dass die Geldsendungen von Syrerinnen und Syrern aus Deutschland, der Türkei und Jordanien – drei der Hauptaufnahmeländer syrischer Geflüchteter – vor allem für Lebensmittel, Heizen, Medizin oder Mieten ausgegeben werden und damit für überlebenswichtige Dinge. Laut einer Schätzung der Bundesbank wurden im Jahr 2019 etwa 236 Millionen Euro aus Deutschland nach Syrien geschickt. Ein Großteil der mittlerweile über 900.000 in Deutschland lebenden Menschen mit syrischen Wurzeln hat in Studien angegeben, dass sie regelmäßig Beträge von 100 Euro und mehr in ihr Herkunftsland schicken. Von daher könnte die Gesamtsumme des von Deutschland nach Syrien transferierten Geldes noch wesentlich höher sein.
Zwar wird, soweit dies möglich ist, Geld auch über die teureren formellen Wege nach Syrien geschickt oder über komplizierte Umwege wie die Türkei. Doch der wichtigste Kanal sind die Hawalas. Und nicht nur nach Syrien wird im großen Umfang auf informellen Wegen Geld geschickt – auch Menschen in anderen Ländern wie Somalia oder Pakistan profitieren enorm von den über Hawala-Anbieter abgewickelten Geldtransfers ihrer Verwandten aus dem Ausland. Die Beliebtheit dieses informellen Kanals kann nicht nur mit Wirtschaftssanktionen oder politischer Instabilität begründet werden. In vielen Fällen sind sie schlicht günstiger und zuverlässiger – auch wenn die Personen, die Geld schicken wollen, dem Hawaladar ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringen müssen. Ein anderer informeller Weg des Geldtransfers, der direkte Transport durch Reisende, ist gemeinhin mit größeren Risiken verbunden.
Illegal, aber lebenswichtig
Ein zentrales Problem der informellen Kanäle ist, dass sie in Deutschland illegal sind. Wenn es das geheime „WhatsApp-Banking der Flüchtlinge“, wie es die „Welt“ wegen der Bedeutung des Messenger-Dienstes für die Kontaktaufnahme zwischen Händler und ihrer Kundschaft einmal genannt hat, in die Schlagzeilen schafft, dann meistens in einem negativen Zusammenhang. Denn in den letzten Jahren hat es diverse Razzien von Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Anbietern gegeben, da diese sich nicht selten auch in solchen Geschäftsfeldern wie Drogenhandel, Terrorfinanzierung oder Geldwäsche betätigen. Zwar könnten sich Hawala-Anbieter unter gewissen Umständen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) registrieren lassen. Die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2020 hat jedoch gezeigt, dass das bis dahin kein einziger Hawaladar versucht hatte.
Es ist in Deutschland also äußerst schwierig, einen legalen Hawala-Markt zu etablieren. Von der Politik wäre es allerdings ein wichtiges Signal, sich mehr damit zu beschäftigen. Sicherlich sind die Hawalas mit ihrem – gelinde gesagt – problematischen Umfeld kein angenehmes Thema. Auf der anderen Seite sind sie von großem Nutzen vor allem für die Menschen in Konflikt- und Krisenländern. Für sie stellen die via Hawala getätigten Geldsendungen eine Art Lebensversicherung dar. Es ist kaum auszumalen, wie es in Syrien ohne diese Transfers aussähe.
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