Gegen Folter kann die Schweiz mehr tun

picture alliance/EPA-EFE/MARTIAL TREZZINI
Gegen Folter und für die Achtung der Menschenrechte: In Genf demonstrieren Menschen im Juli 2021 anlässlich der Tagung des UN-Menschenrechtsausschusses gegen Folter und Repression in Algerien.
Schweiz
Der Antifolterausschuss der Vereinten Nationen hat seinen achten Bericht zur Schweiz veröffentlicht. Dieser wirft auch ein Schlaglicht darauf, wie die Schweiz internationale schwere Menschenrechtsverletzungen bekämpft und wo das Mängel hat.

Der Ausschuss begrüßt in seinem Bericht, dass die Schweiz eine nationale Menschenrechtsinstitution gegründet hat, die die Menschenrechte in der Schweiz schützen und fördern soll. Gleichzeitig kritisiert er die Schweiz dafür, dass der neu gegründeten Institution nicht genügend Mittel zugesprochen wurden, dass Folter noch immer nicht explizit als Straftatbestand definiert wird und dass das Prinzip verletzt wird, Asylsuchende nicht in Länder zurückzuschicken, in denen sie gefährdet sind (non-refoulement).

Bis heute ist Folter in der Schweiz nicht explizit als Tatbestand im Strafgesetzbuch verankert, außer im Kontext von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Verfassung verbietet Folter zwar, jedoch spezifiziert das Gesetz dies nicht weiter. Die Schweizer Behörden stellen sich auf den Standpunkt, dass Folter durch das geltende Strafgesetz abgedeckt ist.

Gesetzeslücke schließen

Menschenrechtsorganisationen sehen dies anders: Folter setze eine spezifische Intention voraus, die bei anderen Verbrechen wie der Verletzung körperlicher Unversehrtheit nicht zwingend gegeben ist; das Gesetz müsse diesen Unterschied abbilden. In einem Schattenbericht, den eine Reihe von ihnen unter Federführung der Christlichen Aktion gegen Folter (ACAT) Schweiz vor dem UN-Bericht veröffentlicht hat, fordern sie, diese Gesetzeslücke zu schließen. Dieser Argumentation ist der UN-Antifolterausschuss nun gefolgt. Er begrüßt, dass seit 2020 eine parlamentarische Initiative  fordert, Folter als eigenen Straftatbestand einzuführen. 

Das Problem sei nicht nur, dass das Gesetz außerhalb des Kontexts von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht die Schwere des Verbrechens abbilde, sagt Etienne Cottier von ACAT Schweiz. «Wenn zum Beispiel ein Staat um die Auslieferung einer Person ersucht, um sie der Folter anzuklagen, kann die Schweiz sie nur unter den bestehenden Gesetzesartikeln ausliefern», so Cottier. In der Folge könne der Person auch in Burundi nur dafür der Prozess gemacht werden, wofür sie die Schweiz ausgeliefert hat – selbst wenn das Land sie ursprünglich für Folter anklagen wollte. 

Großer Nachholbedarf

Abgesehen von Folter gibt es in der Schweiz großen Nachholbedarf bei der Ahndung von schweren Menschenrechtsverletzungen, die in anderen Ländern begangen wurden. 2001 hat die Schweiz das Römer Statut ratifiziert, das den Internationalen Strafgerichtshof gegründet hat und universelle Gerichtsbarkeit vorsieht – also die Möglichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord unabhängig vom Tatort und der Herkunft der Täter in der Schweiz vor Gericht zu bringen. Trotzdem kam in der Schweiz seit 2011 von über 70 Fällen, die an die Bundesanwaltschaft herangetragen wurden, nur ein einziger vor Gericht: Der des liberianischen ehemaligen Kommandanten Alieh Kosiah, der in den 1990er Jahren als Geflüchteter in die Schweiz kam. Wegen Verbrechen, die er während des Bürgerkriegs zwischen 1989 und 1996 begangen hatte – unter anderem Befehle zur Tötung von Zivilisten, Mord, Vergewaltigung und Einsatz von Kindersoldaten –, wurde er 2021 zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Die anderen Fälle wurden eingestellt. 

Es kommen auch deshalb nur so wenige Fälle vor Gericht, weil den zuständigen Behörden die nötigen Mittel fehlen. Das Kompetenzzentrum für Völkerstrafrecht, also die Einheit der Bundesanwaltschaft, die für die Verfolgung internationaler Verbrechen zuständig ist, verfügt über weniger als 5 Vollzeitstellen. In den Niederlanden sind 62 Personen für die Verfolgung internationaler Verbrechen zuständig.

Auch das Schweizer Asylwesen wird vom UN-Antifolterausschuss kritisiert – vor allem die Rückführungen von Asylbewerbern, weil die Schweiz den Einzelfall zu wenig genau überprüfe. «Dublin-Staaten zum Beispiel gelten generell als sichere Drittstaaten», sagt Joëlle Spahni von der Rechtsberatungsstelle AsyLex und nennt als Beispiel Kroatien. Dort gehe die Schweiz grundsätzlich davon aus, dass die medizinische Versorgung ausreichend ist. «Dabei hat die Hilfsorganisation Médecins du Monde ihre Arbeit im Asylzentrum aufgeben müssen, weil sie keine Finanzierung mehr erhielt», sagt Spahni. 

AsyLex hat in den vergangenen Jahren rund vierzig Beschwerden zu Rückführungen bei verschiedenen UN-Ausschüssen eingereicht, darunter auch beim Antifolterausschuss. In den meisten Fällen forderte das Komitee danach die Schweiz auf, den Vollzug vorläufig auszusetzen. In der Regel hält sich die Schweiz an diese Empfehlungen.

Das zeige zwar einerseits, dass die Schweiz in Einzelfallprüfungen durchaus bemüht sei, sich an ihre internationalen Verpflichtungen zur Verhinderung von Folter zu halten, sagt Spahni. Frustrierend findet sie jedoch, dass es immer wieder diesen Druck des Weiterzugs an eine internationale Instanz brauche, damit die Schweiz die nötigen Einzelfallprüfungen macht: «Es wäre schön, wenn die Schweiz das von selbst machen würde.»

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