Abkommen nur für den Papierkorb

Mahmoud Hjaj/picture alliance/AA
Im Dezember 2022 präsentieren General Abdel Fatah al-Burhan (Mitte) und Mohamed Hamdan Dagalo (links daneben) ihr Abkommen über eine zivile Regierung im Sudan - und kurz danach lassen sie ihre Truppen aufeinander los.
Krieg im Sudan
Zwei Militärs versprechen, den Übergang des Sudan zur Demokratie mit zu steuern, und führen jetzt Krieg gegeneinander. Nun muss auch die Sudanpolitik Europas und der USA auf den Prüfstand.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.

Seit Mitte April bekämpfen sich im Sudan, vor allem in der Hauptstadt Khartum, die Armee unter General Abdel Fatah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Sie haben nun zwar unter Vermittlung Saudi-Arabiens und der USA einen Waffenstillstand für sieben Tage ab 23. Mai vereinbart; doch ob er eingehalten und dann verlängert wird, ist fraglich – am ersten Tag wurde bereits über Verstöße berichtet. Dieser Bürgerkrieg ist ein neuer Tiefpunkt in dem Übergangsprozess, der nach dem Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Bashir im April 2019 eigentlich zu einer gewählten zivilen Regierung führen sollte. Und es sollte Anlass sein, den Umgang westlicher Regierungen und der Vereinten Nationen (UN) mit der Krise im Sudan schonungslos zu überprüfen. 

Natürlich: Nicht Diplomaten in den USA, Europa oder anderswo sind am Krieg in Khartum schuld, sondern die sudanesischen Kriegsparteien. Und die tieferen Ursachen liegen in Jahrzehnte alten strukturellen Problemen. Dazu gehören die starke Stellung des Militärs im Staat und die Dominanz der Eliten aus der Region Khartum in Politik und Wirtschaft; Randgebiete hielten sie auch unter Kontrolle, indem sie lokale Milizen benutzten und aufhetzten. Die Massaker in Darfur seit 2003 sind ein Beispiel dafür und waren entscheidend für den Aufstieg von Hemeti: Aus dessen Milizen aus Darfur zog Omar al-Bashir die RSF heran – als Gegengewicht zur Armee. Die Demokratiebewegung hat 2019 zwar erreicht, dass Burhan und Hemeti al-Bashir fallen ließen. Aber seitdem suchen beide eine handlungsfähige zivile Regierung zu verhindern; so putschten sie 2021 gemeinsam gegen den Übergangs-Premierminister Abdalla Hamdok. Zugleich konkurrieren sie seit 2019 um die Vormachtstellung. Und beide finden Unterstützer in der Region und am Golf – zum Beispiel Hemeti in Saudi-Arabien und den Emiraten, al-Burhan in Ägypten.

Den Übergang zur Demokratie mit Fehlern noch belastet

Das sind schlechte Voraussetzungen für einen Übergang zu ziviler Herrschaft und Demokratie. Doch westliche Staaten sowie die UN haben ihn mit Fehlern weiter belastet. Europa, die USA und die UN haben im Sudan zwar richtig die Zivilgesellschaft unterstützt. Aber wenn man Justin Lynch glaubt, der damals für die UN im Sudan gearbeitet hat, dann geschah das weitgehend unkoordiniert. UN-Organisationen und manche internationale NGOs konkurrierten um das Geld verschiedener Geber, Hamdok erhielt vielerlei Beratung mit zweifelhaftem Nutzen, und bei Basisorganisationen kam wenig an – auch weil die Geber hinnahmen, dass Sicherheitskräfte des Sudan, wie schon unter al-Bashir, die Vergabe von Hilfe beeinflussten.

Zudem haben insbesondere die USA unter Donald Trump die erste Übergangsregierung unter Hamdok zu spät unterstützt; so konnte diese nicht die desolate Wirtschaftslage verbessern und ihre Stellung festigen. Die westlichen Staaten haben auch akzeptiert, dass nach dem Sturz al-Bashirs niemand für die Kriegsverbrechen in Darfur seit 2003 oder für das Massaker an Demonstrierenden im Juni 2019 zur Rechenschaft gezogen wurde. Im Gegenteil sollten Hemeti und al-Burhan, die in beiden Fällen zu den Hauptschuldigen gehören, den Übergang gemeinsam mit Vertretern der Demokratiebewegung steuern. Vielleicht war das unvermeidlich, weil sie mit ihren Truppen jede Demokratisierung ersticken konnten. Aber musste man sie auch noch diplomatisch aufwerten wie mit dem Besuch von Bundespräsident Walter Steinmeier in Khartum Anfang 2020, wo ihn al-Burhan stolz begrüßte?

Spätestens als im Oktober 2021 al-Burhan und Hemeti gemeinsam gegen die Übergangsregierung putschten, hätte man neue Ansätze suchen müssen. Stattdessen setzten die USA und in ihrem Gefolge Europa, ebenso wie Regionalorganisationen aus Afrika und die UN, auf eine Art Neuauflage des Deals mit beiden starken Männern. So kam im Dezember 2022 ein Rahmenabkommen über eine neue zweijährige Übergangszeit zustande; diesmal sollen die Streitkräfte der zivilen Regierung unterstehen. Wichtige Teile der Demokratiebewegung waren an dem Abkommen nicht beteiligt und trauen al-Burhan und Hemeti nicht mehr – zu Recht, wie sich nun gezeigt hat.

Das Abkommen dürfte den Krieg zwischen beiden sogar befördert haben. Denn es bestimmt auch, dass die RSF in die Armee integriert und die Wirtschaftstätigkeit des Militärs beschränkt werden – wie, blieb umstritten. Die USA drängten dennoch, es umzusetzen. Das wäre für beide Verbände bedrohlich. Bald nach dem Abkommen wurden in Khartum Truppen zusammengezogen, Oppositionsgruppen sahen einen Krieg kommen. Aber die westlichen Geberländer ignorierten alle Warnungen und wurden vom Ausbruch der Kämpfe überrascht. Es folgte eine hastige Evakuierung der eigenen Staatsbürger. Dabei dringend benötigte Medikamente in den Sudan mitzunehmen, kam niemandem in den Sinn, bemerken Sudanesen bitter.

Anti-Kriegs-Koalition im Sudan an den Verhandlungstisch!

Kurz: Schlecht durchdachte, unkoordinierte und eigennützige Einflussversuche aus den USA und Europa im Sudan gehören so ähnlich auf den Prüfstand wie das Desaster in Afghanistan. Wieder einmal hat es anscheinend an genauer Kenntnis der lokalen Verhältnisse gefehlt, oder sie wurden nicht berücksichtigt. Europa und die USA sollten darauf drängen, dass jede Vermittlung zwischen den Kriegsparteien einem neuen Ansatz folgt: Statt den Militärs zu vertrauen, müssen multilaterale Sanktionen festgeschrieben werden für den Fall, dass sie ein Abkommen brechen. Und die Anti-Kriegs-Koalition, die sich in der Gesellschaft des Sudan gebildet hat, muss eine starke Rolle in allen Gesprächen bekommen.

Zugleich muss man sich vor Selbstüberschätzung hüten: Europa und die USA hätten klüger vorgehen müssen – was das im dem Sudan geändert hätte, weiß aber niemand. Der Politologe Aleksi Ylönen hat jüngst betont, dass am Horn von Afrika lokale Machthaber und ihre Konkurrenten das Heft des Handelns in der Hand haben. Sie suchen und benutzen Unterstützer im Ausland, nicht umgekehrt. Das gelingt umso besser, je mehr Länder sich einmischen – wie inzwischen die Golfstaaten und Ägypten. Insbesondere der Einfluss Europas, aber auch der der USA ist im Sudan also sehr begrenzt. Nur wenn man das offen anerkennt, sind eine sachgerechte Debatte über den Umgang mit dem Land und sinnvolle Hilfe möglich. Starke Absichtserklärungen für das heimische Publikum, wie wir dem Guten zum Sieg verhelfen, schaden da nur.

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