Ein Instrument, alle zum Schweigen zu bringen

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Vernetzung moralkonservativer Gruppen
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Homosexuelle und andere Mitglieder der LGBTQ-Community leben in Uganda sehr gefährlich. Deswegen hat sich dieses schwule Pärchen aus Ugandas Hauptstadt Kampala auch nur von hinten fotografieren lassen. Das neue Anti-Homosexuellen-Gesetz sieht unter anderem die Todesstrafe für Homosexuelle vor.
LGBTQI-Gesetz in Uganda
Schon seit Jahren sind Homosexuelle und die LGBTQI-Gemeinde in Uganda Hass und Hetze ausgesetzt. Nun droht ihnen, wenn ein neues Gesetz in Kraft tritt, lebenslange Haft oder gar die Todesstrafe. Analysten vermuten dahinter auch Einfluss aus dem Ausland.

Update: Am 29. Mai 2023 hat Ugandas Präsident Yoweri Museveni das Anti-Homosexualitätsgesetz unterzeichnet. Sofern es nicht noch vom Verfassungsgericht gekippt wird, kann es in Kraft treten. 

Martin Musiimwe ist nervös. Der Ugander sitzt in einem Gartenrestaurant in Ugandas Hauptstadt Kampala vor seinem Computerbildschirm und rückt seinen Kragen zurecht. Gleich wird er live zugeschaltet in den Deutschen Bundestag, um die Abgeordneten in Berlin darüber zu informieren, welche Folgen das neue Anti-Homosexuellengesetz für die ugandische LGBTQI-Gemeinde haben könnte. 

Musiimwe ist Anwalt und berät in seiner Organisation Let‘s Walk Uganda,  die sich für die Rechte der LGBTQI in Uganda einsetzt, Betroffene, wenn sie juristische Probleme haben. Und das geschieht dieser Tage immer öfter. „Seit das Gesetz verabschiedet wurde, haben die Übergriffe auf unsere Leute extrem zugenommen“, bestätigt er. Fast täglich erhält er Anrufe von verzweifelten Menschen, deren Leben in manchen Fällen in Gefahr ist. Erst vor wenigen Tagen, so erzählt er, sei eine Transgender-Frau in Kampala auf offener Straße fast von einem Mob gelyncht worden. „Obwohl das Gesetz noch nicht in Kraft ist, hat es bereits dramatische Folgen“, seufzt Musiimwe und erwähnt, dass auch er selbst Todesdrohungen erhalten habe. Dabei guckt er sich nervös im Restaurant um, ob jemand der Unterhaltung folgen kann. „Wir sind nirgendwo mehr sicher“, sagt er leise. 

Wie so viele Mitglieder von Ugandas LGBTQI-Gemeinde hat Musiimwe am 21. März gespannt vor dem Fernseher gesessen, um die Parlamentsdebatte live zu verfolgen. „Es war wie ein Horrorfilm“, seufzt der Jurist. Bis spät in die Abendstunden hatten die Abgeordneten debattiert: Was ist der Unterschied zwischen „Sex“ und „Gender“? Ab wann ist ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau? Welche Sexspielzeuge können benutzt werden? Welche Geschlechtsteile können stimuliert werden? Fragen, die sonst in Ugandas erzkonservativer Gesellschaft niemand öffentlich stellen würde. Musiimwe schüttelt immer noch fassungslos den Kopf: „Sie zitierten aus der Bibel Leviticus und alle anderen Verse, welche die Tötung von Schwulen fordern.“ 

Selbst sämtliche Oppositionelle stimmten für das Gesetz

Erst kurz vor Mitternacht stimmte das Parlament für das neu aufgelegte Anti-Homosexualitäts-Gesetz. Nur zwei von 389 Abgeordneten waren dagegen. Selbst sämtliche Oppositionelle stimmten dafür, was für Uganda sehr ungewöhnlich ist. In dem Beschluss heißt es, das Gesetz sei nötig, „um die Kapazitäten zu stärken, über die das Land verfügt, um inneren und äußeren Bedrohungen gegen die traditionelle, heterosexuelle Familie zu begegnen“. Nach der Abstimmung standen alle Abgeordneten im Saal auf und klatschten minutenlang. 

Feierstimmung im ugandischen Parlament am 2. Mai: Abgeordnete freuen sich über die Verabschiedung des scharfen Anti-Homosexuellen-Gesetzes. Allerdings tritt es erst durch die Unterschrift des Präsidenten Museveni in Kraft.

Anfang Mai hat das Parlament das Gesetz endgültig verabschiedet; auf Wunsch des Präsidenten Yoweri Museveni wurde es an wenigen Stellen abgeschwächt. Damit es in Kraft tritt, muss er es noch unterzeichnen. Es ist eines der krassesten Gesetze gegen die LGBTQI-Gemeinde weltweit. „Eine Person, die die Straftat der schweren Homosexualität begeht, muss im Fall einer Verurteilung den Tod erleiden“, steht darin. Gemeint ist damit der gleichgeschlechtliche Akt mit Minderjährigen, Behinderten oder älteren Personen über 75 Jahren. 

Martin Musiimwe nennt Beispiele, welche Folgen das Gesetz für die Gesellschaft haben wird. Danach wäre es untersagt, Homosexualität zu „fördern“, also Homosexuelle zu „unterstützen“ oder zu „normalisieren“. Das Problem ist, sagt Musiimwe, dass sich das ganze soziale Umfeld quasi mit strafbar macht: „die Eltern; der Pfarrer, bei dem du deine Beichte ablegst; der Anwalt, der dich verteidigt; der Arzt, der dich behandelt“. Sie alle seien nun verpflichtet, „dich anzuzeigen, sonst machen sie sich selbst strafbar“. 

Viele Paragrafen widersprechen der Verfassung

Musiimwe hat dennoch etwas Hoffnung. Denn in dem 16-seitigen Gesetzestext widersprechen nach seiner Analyse viele Paragrafen der ugandischen Verfassung. Ugandische Menschenrechtsorganisationen haben bereits angedroht, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Hat das jedoch keine Einwände, kann der Präsident das Gesetz in Kraft treten lassen. Von seiner Unterschrift hängt nun das Schicksal einer ganzen Minderheit ab. „Es wirkt wie ein Spiel“, so Musiimwe, als wolle Ugandas Präsident, der seit 37 Jahren an der Macht ist, testen, ob alle im Land nach wie vor nach seiner Pfeife tanzen. 

Homosexualität ist in Uganda schon lange gesetzlich verboten. Bereits die britischen Kolonialherren hatten 1950 jeglichen gleichgeschlechtlichen Sex verboten. Doch Ugandas Gesetzgebern ging das nicht weit genug. 2009 war ein Gesetz eingebracht worden, das den Straftatbestand verschärfen und zusätzlich jegliche „Förderung“ und „Unterstützung“ von Homosexualität verbieten sollte. Ende 2013 war dieses Gesetz vom Parlament verabschiedet worden, ein Jahr später kippte es das Verfassungsgericht, angeblich wegen technischer Fehler. Aber wohl auch, weil westliche Geber infolge des Gesetzes ihre Hilfe für Uganda aussetzten. Dann war es lange Zeit ruhig. 

Als 2021 in Uganda Wahlen anstanden, kam das Thema erneut auf. Regierungstreue Medien beschuldigten plötzlich Oppositionelle, homosexuell zu sein. Ein neuer Entwurf wurde dem Parlament vorgelegt, aber nach den Wahlen war das Thema schnell wieder vom Tisch. 

Die EU legt Wert auf die Rechte von Homosexuellen

Doch dann nahm es in einem anderen Kontext wieder an Fahrt auf. Die Europäische Union (EU) hat mit ihren Partnerländern in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP) in den vergangenen Jahren über ein neues Partnerschaftsabkommen verhandelt, das so genannte Post-Cotonou-Abkommen. Es regelt die wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Beziehungen zwischen der EU und den AKP-Ländern. Die Europäer sichern darin Entwicklungshilfe zu, wenn die Afrikaner mehr Demokratie und Menschenrechte zulassen. Die Rechte von Homosexuellen werden in diesem Vertrag als Bestandteil der Menschenrechte explizit erwähnt. 

„Unsere Gesellschaft ist nicht bereit für Homosexualität“, wetterte Thomas Tayebwa, Ugandas Vize-Parlamentsvorsitzender, bei den Verhandlungen mit den Europäern in Mosambiks Hauptstadt Maputo im Oktober 2022. Dafür erntete er Applaus von anderen afrikanischen Delegierten. Zur selben Zeit fand in den USA eine Konferenz zur „Afrikanischen Familienpolitik“ statt, die von der amerikanischen Organisation Family Watch International (FWI) organisiert wurde und zu der Vertreter aus ganz Afrika geladen waren. Homosexualität zerstöre die traditionellen Familienwerte, so die Botschaft der Konferenz. Internationale Menschenrechtler bezeichnen FWI als „extremistische Gruppe“, die weltweit Homophobie verbreite. Die FWI-Vorsitzende Sharon Slater ist in Afrika bekannt; sie finanziert auf dem Kontinent zahlreiche Waisenhäuser, auch in Uganda.  

Autorin

Simone Schlindwein

ist Journalistin und Afrika-Korrespondentin der Tageszeitung (taz) in Berlin. Sie berichtet seit zwölf Jahren aus der Region der Großen Seen.
Zur selben Zeit wie die FWI-Konferenz in den USA fanden sich am Amtssitz des ugandischen Präsidenten hochrangige Vertreter evangelikaler Zirkel aus Uganda und den USA zum „National Prayer Breakfast“ ein. Das jährliche Zusammenkommen findet nach dem Vorbild des „Prayer Breakfast“ in Washington statt, an denen amtierende US-Präsidenten teilnehmen und sich die christlich-konservative politische Elite der Welt einfindet. Präsident Museveni und seine Ehefrau Janet sind dort seit den 1990er Jahren Mitglieder und gelten als die wichtigsten Vertreter Afrikas. Sie sind, wie so viele Mitglieder dieses elitären religiösen Zirkels, der Ansicht, Gott habe sie als Herrscherfamilie auserkoren, ihr Land in eine glorreiche Zukunft zu führen. Der 78-jährige Museveni möchte jetzt seinen ältesten Sohn und einen der höchsten Generäle des Landes, Muhoozi Kainerugaba, als seinen Nachfolger ins Amt hieven.  

Selbst die muslimische Minderheit wettert gegen Homosexuelle

Während in den westlichen Ländern immer mehr Regierungen gleichgeschlechtliche Beziehungen legalisieren und auch Kirchen sie akzeptieren, gehen in Uganda alle dagegen vor. Zu Beginn des Jahres 2023 entschied die Anglikanische Kirche in London nach jahrelangen heftigen Debatten, dass auch homosexuelle Paare kirchlich getraut werden dürfen. Auch Papst Franziskus hat sich zunehmend offener zu diesem Thema geäußert. Dagegen gingen die ugandischen Anglikaner und Katholiken auf die Barrikaden. Ugandas Erzbischof Samuel Kaziimba wetterte: „Gottes Wort besagt, dass der einzige Kontext für sexuelle Beziehungen die Ehe eines Mannes und einer Frau ist.“ Selbst Ugandas muslimische Minderheit, sonst eher politisch im Lager der Opposition, plante einen Protestmarsch gegen Homosexuelle durch die Hauptstadt. In sämtlichen Kirchen, Gebetshäusern und Moscheen wurde gegen Homosexuelle und den Westen gewettert. 

Bislang hatte sich Langzeitpräsident Museveni immer bemüht, es sich nicht mit dem Westen zu verscherzen. Das scheint jetzt anders zu sein. Zumindest hat er Ende April bei einem Treffen mit Kollegen seiner NRM-Partei bekräftigt, dass er das Gesetz unterschreiben werde. Die US-Regierung, einer der größten Geber für Ugandas maroden Gesundheitssektor, hat gedroht, Hilfsgelder im Umfang von umgerechnet 360 Millionen Euro für die Aidsbekämpfung zu streichen, sollte das Gesetz in Kraft treten. Auch die EU droht mit Sanktionen, die gravierende Folgen für Ugandas Wirtschaft hätten. Die französische Ölfirma Total investiert gerade in den Bau einer Ölpipeline durch Uganda und Tansania, deutsche Banken sollen das finanzieren. Auch in diesem Zusammenhang gab es jüngst Konflikte zwischen der EU und Museveni zum Thema Menschenrechte. 

„Es gab Geldflüsse von außen“

Gleichzeitig lobt Museveni den engen Schulterschluss mit Russland. Regelmäßig gehen derzeit in seinem Amtssitz russische Diplomaten ein und aus. Analysten vermuten hinter dieser Intensivierung der Kooperation mit Moskau und dem Gesetz in Uganda einen Zusammenhang. Nachdem das neue Gesetz Mitte Februar ins Parlament eingebracht worden war, lag es nicht einmal sechs Wochen später schon zur Abstimmung vor – ein Verfahren, das sonst Jahre dauert. „Es ging alles sehr, sehr schnell“, so Kristof Titeca, Professor für Entwicklungspolitik an der Universität in Antwerpen und Uganda-Spezialist. Er hat zahlreiche Abgeordnete in Uganda interviewt und kommt zum Schluss: „Es gab Geldflüsse von außen.“ Wie viele internationale Fachleute und Diplomaten hat Titeca Hinweise recherchiert, die darauf schließen lassen, dass Ugandas Abgeordnete womöglich Geld erhalten haben, um das Gesetz durchs Parlament zu peitschen. 

Nur wenige Tage, nachdem das Parlament im März das Gesetz angenommen hatte, fand im Präsidentenpalast eine weitere Konferenz zu Familienwerten in Afrika statt, wieder organisiert von der US-Organisation FWI, die auch enge Beziehungen nach Moskau unterhält. Videos zeigen, wie die Präsidentengattin und Bildungsministerin Janet Museveni die FWI-Vorsitzende Slater empfängt. Parlamentarier aus ganz Afrika waren eingeladen, aus Ghana, Nigeria, Kenia – von überall, wo derzeit ähnlich drakonische Gesetze gegen Homosexuelle formuliert und in den Parlamenten debattiert werden. Das jüngst in Kenia vorgelegte Anti-Homosexuellen-Gesetz entspricht fast wörtlich dem in Uganda. 

Russland will die Kluft zwischen dem Westen und Afrika vergrößern

„In Uganda zirkulieren Gerüchte, dass Russland diese Konferenz finanziert hat“, sagt Titeca. Handfeste Beweise gebe es dafür zwar nicht, betont er, doch immer wieder werden in Uganda die Russland-Beziehungen erwähnt. Denn, so Titeca: „Die Debatte um die LGBTQI-Thematik hilft, die Kluft zwischen dem Westen und den Afrikanern weiter zu vergrößern.“ Das sei genau Russlands Ziel auf dem Kontinent. 

Menschenrechtsaktivisten in Uganda sind alarmiert. Denn was öffentlich als Gesetz zum Schutz der Mehrheit gegenüber einer Minderheit gerechtfertigt wird, kann schnell als Instrument gegen alle und jeden herangezogen werden, warnt Ugandas führender Menschenrechtsanwalt Nicholas Opiyo. Er hat dies bereits am eigenen Leib erfahren. Bis vor kurzem war er Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Chapter4,  die 2014 gegen das damalige Anti-LGTBQI-Gesetz erfolgreich vor das Verfassungsgericht gezogen war. Mittlerweile wurde seine Organisation geschlossen, er hat das Land verlassen – auch aus Sicherheitsgründen, denn er wird seit Jahren als „schwul“ gebrandmarkt. Das Gesetz könne „in diesem zutiefst korrupten Land“ als Instrument der Erpressung angewandt werden, sagt Opiyo. Jeder Politiker, jeder Geschäftsmann müsse in Zukunft damit rechnen, dass man ihn als schwul bezeichne, um ihn zu diffamieren: „Das Gesetz ist die perfekte Waffe, eine ganze Gesellschaft zum Schweigen zu bringen.“ 

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