Homophobie ist nicht afrikanisch!

Wolfgang Ammer
Sexuelle Vielfalt
Gesetze, die queere Menschen kriminalisieren, gehören abgeschafft, damit die Gewalt endet.

Chibuihe Obi Achimba ist nigerianischer Autor, Aktivist und Masterstudent an der Brown University, Providence, USA.
Geschichten aus Afrika über die LGBTQ-Gemeinschaft erfüllen mich mit Schrecken. Ich lese sie mit angehaltenem Atem, denn ich weiß, dass die Vorfälle immer schlimmer werden. Ich bin in meinem Heimatland Nigeria entführt und gefoltert worden, weil ich schwul bin. Wenn man die staatlich geförderte Homophobie am eigenen Leib erlebt hat und gerade noch mit dem Leben davongekommen ist, liest man Nachrichten darüber in ständiger Panik. 

Afrika gilt bis heute als der schlimmste Kontinent für queere Menschen. Nach einem Bericht der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) aus dem Jahr 2020 liegen die Hälfte der 69 Länder, in denen Homosexualität immer noch kriminalisiert wird, auf dem afrikanischen Kontinent. Obwohl weltweit immer mehr Menschen die Rechte queerer Menschen anerkennen, finden die meisten afrikanischen Politiker immer neue Wege, die Rechte ihrer queeren Bevölkerung zu beschneiden. 

Gewalt gegen die LGBTQ-Community in Ghana

So wurden die Mitglieder der LGBTQ-Community in Ghana in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 immer wieder heftig von Politikern, Polizei, religiösen Gruppen und schwulenfeindlichen Organisationen angegriffen, die dabei auf die Unterstützung stark voreingenommener Medien zählen konnten. Die staatlich unterstützten Schikanen gegen die Gemeinschaft zielten darauf ab, das Eintreten für die Rechte von queeren Menschen in dem westafrikanischen Land einzuschränken oder ganz zu verbieten.

Allein im Mai wurden in Ghana 21 LGBTQ-Aktivistinnen und Aktivisten verhaftet und in Ho, der Hauptstadt der ghanaischen Volta-Region, festgehalten. Ursprünglich wollten sich die Menschenrechtsverteidiger darüber informieren, wie man Menschenrechtsverletzungen gegen sexuelle Minderheiten dokumentiert und wie man darauf reagiert. Stattdessen hielt die Polizei sie fast drei Wochen lang fest und überführte sie dann dem Gericht. Ihre Kautionsanträge wurden immer wieder abgelehnt. 

Im Februar wurde zudem ein Gemeindezentrum, das sexuelle Minderheiten medizinisch versorgte und Notunterkünfte bot, durchsucht und anschließend von der Polizei geschlossen. Die Nachricht über diese Razzia lenkte die Aufmerksamkeit der Welt auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen gegen die LGBTQ-Community Ghanas. Die Fotos, die von der Koalition „LGBT+Rights Ghana“ auf Twitter geteilt wurden, zeigten bewaffnete Polizisten innerhalb des Zentrums, die die Eingänge des Gebäudes mit Eisenketten verschlossen. 

Morddrohungen und Gefängnisstrafen

Die unvermittelte Wucht der Bedrohungen und Schikanen hat Ghanas LGBTQ-Gemeinschaft, die bereits überproportional von der Covid-19-Pandemie betroffen ist, in eine große Krise gestürzt. Aktivisten wie der Leiter des Gemeindezentrums Alex Kofi Donkor erhielten Morddrohungen und wurden online aufs Äußerste schikaniert. Alex Kofi Donkor ist inzwischen an einem sicheren Ort untergekommen. 

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch verurteilen die andauernden Verfolgungen zutiefst. Prominente wie Michaela Coel, Idris Elba und Naomi Campbell forderten die Regierung Ghanas in einem offenen Brief auf, die Rechte sexueller Minderheiten zu achten. 

Doch die Lage im Land verschlechtert sich zunehmend. So wurde dem Sprecher des ghanaischen Parlaments kürzlich ein Entwurf für ein neues Gesetz gegen Homosexuelle zugesandt, das von verschiedenen Parlamentariern unterstützt wird. Demnach sollen unter anderem Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für gleichgeschlechtliche Beziehungen verhängt werden. Sollte die Initiative im Parlament Erfolg haben, wird es bereits ein Verbrechen sein, sich in irgendeiner Form für LGBTQ und ihre Rechte einzusetzen. 

Hässliches Erbe aus der Kolonialzeit

Homosexualität ist in Ghana seit der Kolonialzeit verboten. Die britische Kolonialregierung hatte ein Gesetz dazu in den 1860er Jahren verabschiedet. Wie die meisten afrikanischen Länder hat Ghana dieses hässliche Erbe aus der britischen Kolonialzeit mit in die Unabhängigkeit genommen. Im Vergleich zu dem geltenden Gesetz gegen Homosexuelle schlägt der neue Gesetzentwurf aber Konsequenzen vor, die noch weiter reichen. Demnach würde beispielsweise die Konversionstherapie für queere Menschen legalisiert. Intersexuelle Menschen würden gezwungen, sich einer Operation zu unterziehen, die die Gesetzesvorlage eine „geschlechtliche Neuausrichtung“ nennt. Bereits das Teilen von queeren Inhalten in sozialen Medien oder auf digitalen Plattformen könnte zu Gefängnisstrafen führen. Eltern, die ihre homosexuellen Kinder unterstützen, könnten ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden. 

Würde der Gesetzesentwurf umgesetzt, gäbe es wahrscheinlich bald mehr Bürgerangriffe, Belästigungen und Erpressungen von Homosexuellen oder Personen, die als Mitglieder der LGBTQ-Community wahrgenommen werden. Gesetze gegen Homosexuelle machen die LGBTQ-Gemeinschaft verwundbar und setzen sie extremer Diskriminierung und Misshandlungen aus. Homophobe Gesetze schüren Angst und gefährden das Leben homosexueller Menschen. 

Folter, Erpressungen und außergerichtliche Tötungen

So ist es auch in Nigeria geschehen. 2014, nur wenige Wochen nachdem der damalige nigerianische Präsident Goodluck Jonathan den Same Sex Marriage (Prohibition) Act in Kraft gesetzt hatte, wurden in historischem Ausmaß Fälle von außergerichtlicher Tötungen, Erpressungen sowie Folter von Personen gemeldet, die als Mitglieder der LGBTQ-Community galten. 

Ein Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2016 beleuchtete einen besonders erschreckenden Vorfall außerhalb von Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Ein gewalttätiger bewaffneter Mob von über 50 Personen durchsuchte Häuser und schleppte verdächtige Homosexuelle heraus, um sie auf offener Straße zu verprügeln. Die Sonderberichterstatterin der Afrikanischen Kommission für Menschenrechtsverteidiger in Afrika, Reine Alapini-Gansou, bestätigte eine „Zunahme von Fällen körperlicher Gewalt, Aggression, willkürlicher Inhaftierung und Belästigung von Menschenrechtsverteidigern, die sich mit sexuellen Minderheiten befassen“.

Homophobe Gesetze haben nichts mit "afrikanischen Werten" zu tun

Ich selbst bin ebenfalls Opfer des Anti-Homosexuellen-Gesetzes geworden. Die Gang, die mich 2017 entführt und drei Tage lang gefoltert hat, wusste das Gesetz auf ihrer Seite. Selbst vier Jahre später und nachdem ich mehrere Polizeiberichte abgegeben habe, sind meine Angreifer noch immer nicht verhaftet, erst recht nicht strafrechtlich verfolgt worden.

Im Zuge dieser unerbittlichen Gewalt flohen zahlreiche Mitglieder der LGBTQ-Community aus dem Land, um in Europa oder Nordamerika Asyl zu suchen. Die meisten von ihnen reisten dabei über tückische Routen, die sie zusätzlicher Gefahr aussetzten.
Gesetze gegen einvernehmliche Beziehungen zwischen zwei Menschen entwerten zudem unser kollektives Gefühl von Menschenwert und Menschenwürde. Und nein – homophobe Gesetze repräsentieren oder erhöhen keinesfalls afrikanische Werte, und sie bewahren auch nicht die Familienwerte. Stattdessen entfremden sie homosexuelle Menschen von ihren Familien und denen, die ihnen nahestehen. Es ist beschämend, dass Politiker in Afrika in einem Jahr, das von den Auswirkungen einer großen Pandemie geprägt ist, weitere Wege finden, das Leben ihrer Bevölkerung stetig zu verschlimmern – statt dem Kontinent endlich Lösungen anzubieten. 

Aus dem Englischen von Sophie Stange. 

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erschienen in Ausgabe 10 / 2021: Pfingstler auf dem Vormarsch
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