Auf 4800 Meter Höhe in den Anden Perus liegt die Heimat von Tomas Lopez Mamani – dort, wo die Luft dünn ist und das Einkommen karg. Als Kind hat der heute 62-Jährige die Schafe und Alpakas seiner Eltern gehütet. Fünf Jahre besuchte er die Schule, dann begann er in der örtlichen Goldmine zu arbeiten, um für die Familie etwas dazuzuverdienen. Nach drei weiteren Schuljahren in der Departamentshauptstadt Juliaca reichte das Geld nicht mehr für die Schule und Tomas begann wieder, in der Goldmine zu arbeiten. 1987 gründete Tomas Lopez dann mit anderen Bergleuten die Genossenschaft „Señor de Ananea“, um beim staatlichen Bergwerk Minero Peru Dienste anbieten zu können. Drei Jahre später schloss sich seine Kooperative dem Dachverband CECOMSAP (Central de Cooperativas Mineras de San Antonio de Poto de Ananea) an, dem neun weitere Kooperativen in Ananea angehörten. Über den Dachverband hatten die Kooperativen eine stärkere Stimme gegenüber dem staatlichen Arbeitgeber, denn die Goldschürferei war mühsam und brachte wenig ein, erinnert sich Tomas Lopez.
Sich mit seiner Genossenschaft dem Dachverband anzuschließen, war für Tomas Lopez im wahrsten Sinne des Wortes goldrichtig. Denn 1993 sollte die staatliche Minero Peru privatisiert werden. Als sich kein Käufer für das marode Bergwerk auf 4800 Metern Höhe fand, überließ Minero Peru die Mine den örtlichen Bergbau-Genossenschaften zum symbolischen Preis von umgerechnet 25 Cent pro Konzession.
Tomas Lopez Mamani und die 347 weiteren Genossenschafter, die im Dachverband Cecomsap zusammengeschlossen sind, konnten so vom zukünftigen Goldrausch profitieren. Denn als Anfang der 2000-er Jahre der Goldpreis immer weiter stieg, erfüllten die Bergbaugenossenschaften von Ananea das wichtigste Kriterium für die legale Goldproduktion: Sie konnten eine Konzession vorweisen. In diesen Jahren kauften die Genossenschaften Lastwagen und Frontlader und vervielfachten ihre Förderung.
Schaufelbagger und Kiesgruben
Wer heute eine der Genossenschaften von CECOMSAP besucht, sieht einen modernen Betrieb mit Lastwägen, Schaufelbaggern und Bergleuten mit Helm und Schutzkleidung. Und er sieht eine Reihe von Kiesgruben, die sich kilometerweit aneinanderreihen. Denn auch eine von Genossenschaften betriebene Tagebaumine hinterlässt – ebenso wie eine industrielle Mine in der Hand multinationaler Investoren – erstmal eine verwüstete Landschaft.
Frontlader graben auf der Hochebene von Ananea Tonne um Tonne Erde ab. Mit einer Druckwasser-Kanone wird das Geröll über eine rund zehn Meter lange Holzrutsche hinabgespült. Größere Kieselsteine bleiben in einem Eisenraster hängen, das dreimal am Tag gereinigt wird. Der zurückgehaltene Sand wird nachher entweder mit Quecksilber oder mit einem Schütteltisch bearbeitet. Traditionell haben die Genossenschaften das giftige Quecksilber benutzt, um den Goldstaub aus dem umliegenden Material herauszufiltern. Aufgrund der Fairtrade-Bestimmungen stellen immer mehr Genossenschaften auf Schütteltische um: Der feingemahlene Sand wird mit Wasser über einen elektrisch betriebenen Schütteltisch geleitet. Die schwereren Goldkörnchen bleiben in den Rillen hängen. Sobald genügend Goldsplitter zusammen sind, werden sie noch in der Mine in 3-Kilogramm-Barren geschmolzen. Seit 2017 tragen diese Barren einen besonderen Stempel: Fairtrade.
Flo-Cert heißt die globale Zertifizierungsgesellschaft für alle Fairtrade-Produkte. Seit Jahrzehnten garantiert sie die faire und oft auch ökologische Produktion und Lieferketten von Kaffee, Kakao, Quinoa, Bananen und vielen weiteren Produkten aus Kleinproduzentenhand im globalen Süden direkt zum Konsumenten in Europa. Die Fairtrade-Organisation in Großbritannien lancierte 2011 das erste Label für faires Gold. Dass nun auch Gold aus Kleinschürferproduktion als fair gehandelt gelten sollte, stieß zu Beginn nicht bei allen Fairtrade-Mitarbeitenden auf Zustimmung. Zu schlecht war das Image der umweltschädlichen Goldproduktion. „Die Bedenken sind angebracht“, sagt Fabian Waldmeier. Er ist bei „Fairtrade Max Havelaar Schweiz “ für die internationale Zusammenarbeit zuständig. „Bei Gold handelt es sich um keinen nachwachsenden Rohstoff.“ Aber letztlich, so Waldmeier, habe der Pragmatismus gesiegt: es sei eine Nachfrage da, und Fairtrade biete die Möglichkeit, die Produktionsbedingungen und die Lieferkette zu verbessern. Heute sei der Fairtrade-Standard für Gold aus Kleinschürferproduktion von allen Fairtrade-Organisationen anerkannt.
Kleinere Juweliere in der Schweiz waren die ersten Abnehmer
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Das erste Fairtrade-Gold von CECOMSAP ging schließlich im Jahr 2018 an kleinere Juweliere in der Schweiz, die auf ethisch unbedenkliches Gold setzten. Diese Nachfrage war jedoch schnell gedeckt. Um die Goldgräbergenossenschaften bei der Stange zu halten, mussten neue Absatzmärkte her. Schon bald wurde Fairtrade Max Havelaar fündig – und beschaffte neue Abnehmer in der Schweiz.
Die Schatzkammer des Genossenschaftsverbandes CECOMSAP befindet sich hoch über den Dächern der Stadt Juliaca, im neunten Stock des nagelneuen Genossenschaftsgebäudes. Hinter einer dicken weißen Eisentür liegt die Lieferung des Monats: Zwölf Goldbarren, die je drei Kilo wiegen, funkeln auf einem einfachen Plastiktisch. Jeder Barren trägt das Siegel der Herkunftskooperative mit einer Zahl und den Aufdruck „Fairtrade“. Oscar Ccori, der Compliance Officer von CECOMSAP, wiegt die Barren und prüft die Papiere: Jeder Schritt der Goldproduktion, von der Ausgrabung bis zur Schmelze, ist hier dokumentiert. Dann verpackt Ccori die Goldbarren in Holzbehälter, die quadratischen Zigarrenkistchen ähneln.
Die Barren gehen erst nach Lima und dann nach Zürich
Der Panzerwagen einer international tätigen Sicherheitsfirma ist gekommen. Während die bewaffneten Boten die Türen und Aufzüge bewachen und die Sicherheitsbeamten das Gold im Wert von zwei Millionen US-Dollar mitnehmen, darf niemand das Gebäude verlassen oder betreten. Nach einer guten halben Stunde ist der Geldtransporter weg und Oscar Ccori und Handelsmanagerin Hortencia Quispe atmen auf. Das Gold ist nun auf dem Weg in die vier Stunden entfernte Stadt Arequipa. Dort geht es in einem Linienflug erst nach Lima und dann nach Zürich.
Ohne Hortencia Quispe hätte der Dachverband CECOMSAP, dem zehn kleine Goldgräberkooperativen angehören, womöglich nie auf den fairen Handel gesetzt. Die erfahrene Managerin hatte bereits zehn Jahre lang die Fairtrade-Exporte einer Kaffeekooperative im Regenwald von Puno verantwortet, bevor sie vor sieben Jahren zu CECOMSAP stieß und die Goldgenossenschafter von den Vorteilen des fairen Handels überzeugen konnte. Seit 2018 arbeitet CECOMSAP nun mit den Schweizern zusammen.
Fairtrade-Gold im Wert von 30 Millionen Schweizer Franken
Die Corona-Pandemie hatte die Goldpreise 2020 in die Höhe getrieben und gleichzeitig die Inflation angeheizt. Gold war als Anlege-Gold gefragter denn je, wohingegen die Nachfrage der Juweliere zu wünschen übrig ließ. Der Grund: Der Markt kleiner ethisch arbeitender Juweliere ist begrenzt; große Schmuck- und Uhrenfirmen sind bisher nicht auf Fairtrade umgestiegen. Fairtrade Max Havelaar begann deshalb eine Kooperation mit einer der größten Publikumsbanken der Schweiz, der Zürcher Kantonalbank. Die bietet seit 2021 Fairtrade-“Goldbärreli“ von 1 bis 20 Gramm für Schweizer Normalverdiener und -sparer an, die bereit sind, für verantwortlich produziertes Gold mehr Geld auszugeben. Mit großem Erfolg: Die Bank verkaufte im Jahr 2021 Fairtrade-Gold im Wert von 30 Millionen Schweizer Franken. 1,3 Millionen davon wurden an Fairtrade-Prämien an die zehn Kooperativen von CECOMSAP in Peru ausbezahlt.
Hortencia Quispe und Tomas Lopez zeigen, was sie dank der Prämie – 2000 US-Dollar pro Kilogramm Gold für die Kooperative, von der das Gold stammt – in den Minen verbessern konnten: vom neuen Speisesaal für die Minenarbeiter bis zum Damm, der die Rückhaltebecken vor dem Überlaufen schützt, oder dem Flockungshilfsmittel, um zurückgebliebene Schlämme schneller zu entfernen. Auch die Schütteltische, welche die ökologisch höchst bedenkliche Quecksilber-Amalgamierung ablösen, wurden aus der Fairtrade-Prämie angeschafft. Die Genossenschafter von CECOMSAP sind voll des Lobes für den gerechten Handel, der ihnen viel Geld in die Genossenschaftskasse gespült hat, aber auch Geld für die einzelnen Genossenschafter. Kaum einer, der nicht im eigenen Pick-up zur Versammlung vorfährt.
Ein Pionier des fairen Goldes für die Schmuckherstellung ist der Hamburger Goldschmied Jan Spille. Seit seinen Wanderjahren als Geselle ist es ihm wichtig, unter welchen Umständen das Gold abgebaut wird, das er für seine Trauringe und Schmuckstücke verwendet. Im letzten Jahrzehnt hat er Minen von Kleinschürfern in Südamerika, Afrika und Asien besucht und arbeitet seitdem ausschließlich mit Gold aus zertifizierten Minen. Das kann Fairtrade-Gold sein oder auch Gold von „Fairmined“, einem Siegel, das von der Alliance for Responsible Mining mit Sitz in Kolumbien vergeben wird. Beide Organisationen haben zusammen den Standard für Fairtrade-Gold entwickelt. Fairmined ist später eigene Wege gegangen und verkauft sein Gold vor allem an ausgesuchte Juweliere und Goldschmiede. Nur vor der Zertifizierung des Responsible Jewelry Council (RJC) der großen Uhren- und Schmuckfirmen lässt Spille lieber die Finger. Dass sich eine Branche selber zertifiziert, sieht er kritisch.
„Unserer Erfahrung nach wird Gold so oder so abgebaut“
Spille scheut nicht die Diskussion mit Gegnern jeglichen Goldabbaus, die wegen der Umweltschäden nur Recyclinggold als ethisch vertretbares Gold gelten lassen. „Für mich ist Recycling-Gold eine, aber nicht die einzige Antwort“, sagt Spille. Seine Kunden in Hamburg können unter vier Optionen wählen: Gold aus Fairtrade oder Fairmined-Minen, Recycling-Gold oder ökologisches Gold, das ohne Maschinen und Chemie abgebaut wurde, also mit einer Pfanne noch direkt aus dem Fluss gewaschen wird. „Unserer Erfahrung nach wird Gold so oder so abgebaut – und desto wichtiger ist es, dass der Goldabbau reguliert wird“, rechtfertigt er die Zertifizierung der Genossenschaftsminen.
Anders als in den industriellen Großminen, in denen die lokalen Bauern keine Mitsprache haben, hat bei den zertifizierten, legalen Minen wie CECOMSAP die ortsansässige Bevölkerung selber entschieden, ob sie in ihrer Heimat Bergbau betreiben wollen. Die meisten Minen seien ökologisch zertifiziert, der Wasserverbrauch sei relativ gering und bei Schließung der Mine müsse renaturiert werden. Vor allem aber fließe bei den legalen, zertifizierten Kleinschürferminen der Gewinn in die Taschen der Leute vor Ort. Vom Goldrausch profitieren nicht Banken in Lima oder Miami, sondern die Geschäfte in Puno und Juliaca. Der Gewinn wird dementsprechend vor Ort ausgegeben und nicht außer Landes geschafft.
Die 348 Genossenschafterinnen und Genossenschafter der zu CECOMSAP gehörenden Kooperativen würden Spille sicher zustimmen. Die Fairtrade-Zertifizierung hat ihnen zu finanzieller Stabilität, ja sogar zu Wohlstand verholfen. Dank der Zusatzprämie können in den Minen die sozialen und ökologischen Standards weiterentwickelt werden. Und Bergleute wie Tomas Lopez ihren Kindern den Traum erfüllen, der ihnen selbst aufgrund ihrer Armut verwehrt blieb: „Meine sechs Kinder haben alle die Universität besucht und sind heute Ingenieure und Betriebswirte.“
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