Der Goldabbau ist lukrativ – für die Mächtigen

Michael Robinson Chavez/The Washington Post via Getty Images
Goldsucher tragen im Mai 2019 mit einem Hochdruckschlauch den Boden eines Flussbetts im Canaima-Nationalpark ab. Der größte Teil des Goldabbaus in Venezuela ist illegal.
Venezuela
Im Yapacana-Nationalpark in Venezuela sind illegale Goldschürfer unterwegs. Statt etwas gegen die Zerstörung des Ökosystems entlang des Orinoco-Flusses zu tun, schafft das Maduro-Regime den Profit in die eigenen Taschen.

Der Yapacana-Nationalpark im Bergland von Guayana im Süden Venezuelas: Flache, mit grünen Wäldern bedeckte Tafelberge ragen in den Himmel, über Millionen von Jahren durch Erosion geformt. „Jeder dieser Berge ist wie eine Insel für sich, mit einzigartigen Tier- und Pflanzenarten“, sagt Cristina Burelli. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen v5-Initiative in den USA, die sich mit den Krisen in Venezuela beschäftigt. Der Yapacana ist einer von über 90 Nationalparks in dem lateinamerikanischen Land. „Venezuela zählt zu den zehn artenreichsten Ländern der Welt“, sagt Burelli. 

Neben der Tier- und Pflanzenvielfalt gibt es in der Region aber auch eine große Vielfalt an Mineralien, die illegal von Milizen ausgebeutet werden. Zum Beispiel Gold. „Unser Ziel ist es, die Tragödie zu dokumentieren, die sich derzeit in Venezuela abspielt, und das Bewusstsein für die Zerstörung des Ökosystems durch den illegalen Goldabbau zu schärfen“, erklärt Burelli. Denn rund 2000 Hektar des Yapacana-Nationalparks – das entspricht rund 3000 Fußballfeldern – befinden sich in den Händen von illegalen Goldgräbern. Und der Yapacana-Nationalpark ist nur ein Beispiel für illegalen Bergbau im Amazonas-Bundesstaat.

Der handwerkliche Goldabbau war von jeher Teil der venezolanischen Geschichte. Als Christoph Kolumbus 1498 die venezolanische Ostküste und den Orinoco-Fluss erreichte, berichtete er „von der weisen Nutzung des Goldes durch die Ureinwohner“, heißt es in einem Bericht des Ministeriums für Volksmacht für die ökologische Entwicklung des Bergbaus von 2018. Bald wurden die ersten Goldminen entlang des Orinoco entdeckt und der berühmte Mythos von „El Dorado“ setzte sich in den Köpfen fest. 

Ein Dekret von 1989 verbietet bis heute jeglichen Goldabbau

Heute ist „im Grunde das gesamte venezolanische Gold illegal“, sagt Burelli. Das bestätigt ein OECD-Bericht vom September 2021 über internationale Goldströme. Der illegale Goldabbau im venezolanischen Amazonasgebiet begann in den späten 1980er Jahren. „Damals konzentrierte sich der Abbau auf das Gebiet des Alto Orinoco, dort waren hauptsächlich Garimpeiros unterwegs, also illegale Goldsucher aus Brasilien“, sagt Luis Betancourt, Generalkoordinator der nichtstaatlichen Ermittlungsgruppe GRIAM (Grupo de Investigacion sobre la Amazonia), die mit der ebenfalls nichtstaatlichen Organisation SOS Orinoco zusammenarbeitet.

Autorin

Elisa Kautzky

ist freie Journalistin in Deutschland und Frankreich und beschäftigt sich mit Themen wie Biodiversität, Bildung, Ernährung und Kultur.
Um den illegalen Bergbau zu bekämpfen, richtete die damalige Regierung viele Nationalparks ein wie den Yapacana mit seinen Tafelbergen. Als weitere Maßnahme wurde 1989 das Dekret 269 verabschiedet: „Dieses Dekret verbietet bis heute ausdrücklich jeglichen Goldabbau im gesamten Bundesstaat Amazonas wegen der biologischen Vielfalt und des ökologischen Werts der Region“, ergänzt Betancourt. 

Dennoch nahm um das Jahr 2010 der Bergbau stark zu, der gegen das Dekret und mehrere Grundsätze der venezolanischen Verfassung zum Schutz der Umwelt verstößt. „Für den Goldabbau kann man einfach eine kleine Armee von Bergleuten mit Werkzeugen losschicken, die anfangen, Löcher zu graben“, erklärt Cristina Burelli. 

Ein Bergbaugebiet von der Größe Islands

Einst war Venezuela berühmt für seine Erdöl­industrie – immerhin hat das Land die größten Ölreserven der Welt, noch vor Saudi-Arabien. Als die Ölindustrie Ende 2015 zusammenbrach, führte Präsident Nicolás Maduro 2016 den sogenannten Orinoco Mining Arc (OMA) ein, ein 112.000 Quadratkilometer großes Gebiet entlang des bergigen Guayana-Schildes am Südufer des Orinoco, in dem Bergbau zugelassen wurde. „Das sind zwölf Prozent des venezolanischen Territoriums“, sagt Burelli. Das entspricht etwa der Fläche Islands. 

Gleichzeitig wurden in der Regierung fortwährend Stellen abgebaut und der Umweltschutz geschwächt: „Das Umweltministerium zum Beispiel musste seine Mitarbeiterzahl und das Budget senken“, erklärt Burelli. Eine Folge davon sei der Mangel an Wächtern in den Nationalparks. Auch der Name des Ministeriums wurde mehrmals geändert. „Jetzt nennen sie es Ministerium für Ökosozialismus“, sagt Burelli mit unüberhörbarem Sarkasmus.

Darüber hinaus hat die Regierung ein Ministerium für Volksmacht für die ökologische Entwicklung des Bergbaus gegründet. Dessen Bericht von 2018 über „Verantwortungsvollen Bergbau in Venezuela“ spricht von Venezuela als „Bergbaumacht“. „Die Chavistas haben die Rhetorik über den Schutz der Umwelt und der indigenen Völker bei der UNESCO und den Vereinten Nationen geschickt eingesetzt“, sagt Burelli. Naturvideos und emotionale Texte in den sozialen Medien sollen die angeblich pro-indigene und nachhaltige Politik unterstreichen, wie kürzlich ein Beitrag auf Twitter von der Vizepräsidentin Delcy Rodríguez. „Aber niemand hat das je überprüft.“ 

59 illegale Goldminen auf dem Gebiet des Weltkulturerbes

Bis 2018, als Burelli SOS Orinoco gründete: „Wir haben auf dem Gebiet des Weltkulturerbes Canaima 59 illegale Goldminen gefunden.“ Laut dem World Heritage Watch Report 2021 von SOS Orinoco seien gut 7400 Hektar des Canaima-Nationalparks stark und fast 9000 Hektar mittelmäßig von den Umweltauswirkungen durch den Bergbau betroffen – insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Quecksilber. So sei der Fluss Río Caroni, der sich im Südwesten entlang der Grenze des Nationalparks schlängelt, bereits zu großen Teilen mit dem giftigen Schwermetall verunreinigt.

Der Orinoco-Bergbaubogen wurde nie von der Nationalversammlung genehmigt. „Die venezolanische Regierung und das Militär sind an diesem Geschäft beteiligt und die Hauptnutznießer“, erklärt GRIAM-Koordinator Luis Betancourt. Dazu zählen die obersten Führer des Maduro-Regimes: Burelli nennt Vizepräsidentin Delcy Rodríguez, Präsident Maduro selbst sowie seine Frau Cilia Flores. 

Weitere Gewinner des venezolanischen Goldbergbaus, insbesondere im Amazonasgebiet, sind laut Betancourt die Wirtschaftsmächte Kolumbien und Brasilien, „deren Milizgruppen die wichtigsten Goldminen im südlichen venezolanischen Amazonasgebiet kontrollieren“. Auch laut dem OECD-Bericht Gold Flows from Venezuela von 2021 lässt sich Gold schwer nachverfolgen, da der Abbau ja an sich nicht illegal ist und das Gold „leicht in legalen Lieferketten gewaschen werden kann“. 

Goldschmuggel ist einfacher geworden

In der Regel landete das gesamte Gold zunächst physisch bei der Zentralbank. Bis das Maduro-Regime im September 2020 ein Dekret erließ, das das gesamte in Venezuela abgebaute Gold zum Eigentum der Zentralbank machte. Und sich somit rechtlich auch außerhalb der Zentralbank befinden kann. Laut Burelli wurde dies geändert, „um den Goldschmuggel zu vereinfachen“. Die nichtstaatliche Organisation Transparencia Venezuela schätzt, dass derzeit mindestens 70 Prozent des Goldes illegal herausgeschmuggelt werden. „Nur etwa 20 bis 30 Prozent der Goldproduktion kommt noch bei der venezolanischen Zentralbank an“, sagt Burelli.

Da das illegal geförderte Gold direkt an die Empfänger geht, wird das Geld, mit dem das Gold bezahlt wird, in der Regel von keiner Kontroll- oder Steuerbehörde registriert. Ein Teil des Goldes bleibt auf kolumbianischen Märkten, ein Teil landet in Europa oder Asien. „Die venezolanische Regierung, das Militär, die Milizgruppen, Kolumbien, Asien, Europa – sie alle haben ein Interesse an diesem Geschäft“, meint Betancourt. Ein Teil des Goldes finanziere den internationalen Terrorismus. Und das Maduro-Regime unternehme nichts, um das zu stoppen. Im Gegenteil, es verkaufe sogar noch Treibstoff und Quecksilber an illegale Bergleute.
Die Verlierer dieses Spiels sind die Bergbauarbeiter. Denn in den Minen werden nicht nur Mineralien ausgebeutet:

Menschenhandel, Kinderarbeit und Prostitution finden überall dort statt, wo illegaler Bergbau betrieben wird. Die meisten Betroffenen sind Indigene. Etwa 27 verschiedene indigene Gruppen leben im Amazonasgebiet und in Guayana. Die Zunahme des Goldabbaus bringt sie nicht nur körperlich in Gefahr, sondern spaltet auch ihre Gemeinschaften. Denn da andere Möglichkeiten im Gebiet knapp sind oder fehlen, müssen sich die indigenen Stämme entscheiden: bleiben oder gehen. 

Die jüngeren der indigenen Anführer sind oft für den Goldabbau

„Die Älteren sind eher gegen den Bergbau, die jüngeren Anführer eher dafür“, erklärt Burelli. Für die Jüngeren hat der Goldabbau in erster Linie einen wirtschaftlichen Nutzen. „Früher versorgte die Regierung die Indigenen mit Medikamenten und anderen Dingen“, erklärt Betancourt. Seit der Pandemie und der Wirtschaftskrise sind sie auf sich allein gestellt. Zusätzlich erschwert der Klimawandel die indigene Landwirtschaft. Zum Beispiel seien Gebiete, die früher landwirtschaftlich genutzt wurden, vom steigenden Pegel der Flüsse überflutet worden, erklärt Betancourt. 

Wo viele Menschen zusammenkommen, verbreiten sich auch Krankheiten schneller. Neben der Corona-Pandemie sei nun auch die Malaria auf dem Vormarsch. „Venezuela ist das Land in Südamerika, das die meisten Malariafälle verzeichnet“, sagt Maria Eugenia Grillet, Biologin und Professorin an der Universidad Central de Venezuela. In ihren wissenschaftlichen Untersuchungen stellte sie einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Malariafälle und dem illegalen Goldabbau in den letzten Jahren fest.

„Seit 2009 haben der illegale Goldbergbau und die damit verbundene Abholzung im Süden Venezuelas rapide zugenommen. Das schafft neue Lebensräume für Stechmücken und erhöht ihre Population – und dadurch die Möglichkeit, Malaria zu übertragen“, erklärt Grillet. Zusätzlich finde man auch in den Minen ideale Bedingungen für die Übertragung von Malaria.

Der Orinoco-Fluss ist vom Bergbau schwer geschädigt

Abgesehen von den Folgen für die indigene Bevölkerung hat der illegale Goldabbau auch enorme Auswirkungen auf die Umwelt. „Die Region Alto Orinoco, insbesondere der Orinoco-Fluss, ist im Oberlauf schwer geschädigt vom Bergbau“, betont Betancourt. Verschiedene Sozial- und Umweltorganisationen haben diesen Schaden wiederholt angeprangert, den der Bergbau allein im letzten Jahrzehnt verursacht hat: Waldzerstörung, Quecksilbervergiftung, Verschmutzung und Veränderung des Wechselspiels von Gesteinsablagerungen und ­-abtragung im Gewässer.

Das meiste Gold wird in Venezu­ela im Gebiet des Orinoco-Flusses ­geschürft − mit teils verheerenden Folgen für die Natur und die ­indigenen Anwohner. 

Obwohl die Region durch nationale und internationale Normen zu Umwelt- und Indigenenrechten geschützt ist, zeigt sich der venezolanische Staat wenig entschlossen, diese auch durchzusetzen. Luis Betancourt findet, die Vereinten Nationen müssten alle ihre Ressourcen und Instrumente einsetzen, um den illegalen Bergbau in den tropischen Regenwäldern des Amazonasgebiets zu minimieren. „Dazu gehören die Kontrolle über bewaffnete Milizgruppen und kriminelle Einflussnahme“, sagt der GRIAM-Koordinator. Die UN habe die ethische Pflicht, Venezuela aufzufordern, die Minamata-Konvention zum Schutz der Umwelt vor Quecksilberschäden einzuhalten und das Verbot des Handels, der Kommerzialisierung und der Verwendung von Quecksilber im Tagebau zu ratifizieren, wie es in der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker und der ILO-Konvention 169 über indigene und in Stämmen lebende Völker niedergeschrieben ist.

„Venezuela aus dem Goldhandel ausschließen“

Aus Cristina Burellis Sicht hat die Weltgemeinschaft mehrere Möglichkeiten, den illegalen Bergbau zu stoppen. „Alle OECD-Länder sollten sicherstellen, dass das Gold, das sie kaufen, nicht aus Venezuela kommt. Die internationalen Märkte müssen Venezuela aus dem Goldhandel ausschließen. So wurden in Afrika Blutdiamanten unterbunden“, sagt sie. Darüber hinaus sollte die UNESCO gefährdete Nationalparks wie Canaima auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten aufnehmen, empfiehlt SOS Orinoco in seinem World Heritage Watch Report von 2021. 

In der Zwischenzeit können Umweltgruppen ihre Stimmen erheben, „um das Regime zu denunzieren, so wie sie es mit dem brasilianischen Präsident Jair Bolsonaro getan haben“, unterstreicht die Gründerin der v5-Initiative. „Alle reden über Brasilien, aber niemand kümmert sich um Venezuela, das auch im Amazonasgebiet liegt.“

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