Gewalt ist nun ein profitables Geschäft

Baz Ratner/Reuters
Mitglieder der Anti-Balaka-Miliz in der Zentralafrikanischen Republik präsentieren im April 2017 ihre Waffen.
Afrikas neue Kriege
Rebellen und Regierungsvertreter in vielen afrikanischen Staaten schüren Konflikte, damit ausländische Geber für den Kampf dagegen zahlen. Die werden so unbeabsichtigt zu Komplizen der Gewalt. 

Vor vier Jahren, im August 2018, brach im kriegsgebeutelten Nordosten der Demokratischen Republik Kongo Ebola aus. Zum zehnten Male schon suchte das tödliche hämorrhagische Fieber den Kongo heim, aber das hier war der erste Ausbruch in einer Konfliktzone, in der aktiv gekämpft wurde. Während der westafrikanischen Ebola-Epidemie von 2014 war zu wenig Hilfe gekommen – und die auch noch zu spät. Diese Situation sollte sich im Kongo keinesfalls wiederholen. Daher schlugen die Geber alle Vorsicht in den Wind: Mehr als 700 Millionen US-Dollar pumpten sie in den folgenden 20 Monaten in den Nordosten des Landes, um die Krankheit zu bekämpfen. 

Die Weltgesundheitsorganisation und ihre Partner setzten sowohl kongolesische Sicherheitskräfte als auch lokale Milizionäre auf ihre Gehaltsliste. So wollten sie ihre Mitarbeiter schützen, schufen damit jedoch perverse Anreize: Die Kämpfer hatten zwar guten Grund, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen nicht anzugreifen. Aber sie hatten jetzt auch ein Interesse daran, die Epidemie zu verlängern, um weiter von ihr zu profitieren. Zwischen August 2018 und Juni 2020, als der Ebola-Ausbruch schließlich für beendet erklärt wurde, schürten Milizionäre und Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte Gewalt und Instabilität. Die Viruserkrankung sollte sich weiter ausbreiten, damit die internationalen Hilfsorganisationen sie weiter bezahlten. Die gut gemeinten Bemühungen, die Epidemie einzudämmen, bewirkten das genaue Gegenteil. 

Das ist das Gesicht vieler afrikanischer Konflikte heute. Früher zielten die meisten bewaffneten Gruppen auf dem Kontinent darauf ab, Regierungen zu stürzen oder Separatistenstaaten auszurufen. Wer heute zu den Waffen greift, tut das hingegen eher, um Profite aushandeln zu können. Im Kongo, in Mali, Nigeria, Somalia und anderswo haben Regierungsvertreter versucht, Konflikte zu verlängern oder sogar zu entfachen, zumindest solange ihr eigenes Überleben nicht bedroht davon war. Rebellengruppen in diesen und anderen Ländern haben die Regierungen dort oft angegriffen, um Geldzahlungen und andere Zugeständnisse zu erlangen. Kämpfe um die Staatsmacht sind nicht ganz verschwunden – der äthiopische Bürgerkrieg ist ein solcher Konflikt. Doch in vielen afrikanischen Ländern ist der Krieg zu einem Instrument wirtschaftlicher Verhandlungen, zu einer Lebensweise und sogar zu einer Form der Staatsführung geworden. 

Ein nigerianischer Soldat betrachtet Gewehre und andere Klein­waffen, die die Armee im April 2022 Banditen im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau abgenommen hat.

Die Art der Konflikte auf dem Kontinent hat sich stark gewandelt. Das Ausland und internationale Organisationen stellt das vor ein Dilemma: Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, die Vereinten Nationen – sie alle arbeiten häufig mit afrikanischen Regierungen zusammen, um Terrorismus zu bekämpfen oder Migration einzudämmen. Wenn sich jedoch manche afrikanischen Regierungen nicht wirklich für Stabilität einsetzen oder sogar selbst für Instabilität sorgen, laufen ausländische Partner Gefahr, zu Komplizen der Gewalt zu werden. Das riskieren sie, wenn sie diese Regierungen unterstützen, ohne im Gegenzug eine bessere Regierungsführung und Rechenschaftspflicht zu fordern.

Es ist daher Zeit für einen neuen Ansatz. Anstatt Regime zu stützen, die allzu oft Teil des Problems sind, sollten Washington, Brüssel und andere externe Kräfte enger mit der Zivilgesellschaft und den demokratischen Bewegungen auf dem Kontinent zusammenarbeiten, um demokratische Reformen zu fördern. Nur wenn sie den Charakter der afrikanischen Staaten verändern, können sie hoffen, den Charakter der Konflikte in Afrika zu verändern. 

Die gewaltsamen Konflikte haben sich verändert

Autor

Jason K. Stearns

ist Assistenzprofessor für Internationale Studien an der Simon Fraser University und Direktor der Kongo-Forschungsgruppe an der New York University. Er ist der Autor von „The War That Doesn‘t Say Its Name: The Unending Conflict in the Congo“. Dieser Text ist in längerer Form zuerst in „Foreign Affairs“ erschienen.
Das Wesen des Krieges in Afrika hat sich in den vergangenen 60 Jahren dramatisch gewandelt. In den 1960er und 1970er Jahren waren die meisten Konflikte in der Region Machtkämpfe zwischen den Eliten der neuen unabhängigen Länder, wie im Kongo und in Nigeria. Oder es kämpften Befreiungsbewegungen gegen die letzten Bastionen kolonialer Herrschaft, wie in den verbliebenen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik und in den weißen Siedlerkolonien Namibia, Südafrika und Simbabwe. Bei all diesen Aufständen ging es darum, die Kontrolle über den Staat zu erlangen – entweder über den Zentralstaat oder über einen sich abspaltenden Teilstaat – und die Freiheit zu erobern. Während dieser Zeit wurden die Aufständischen von den rivalisierenden Mächten des Kalten Krieges angestachelt und ausgenutzt. Die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, China und Kuba schickten Waffen, Militärberater und Geld in die Länder des Kontinents. Das machte die Kriege dort noch brutaler, denn sie exportierten auch ihre Ideologien und befeuerten damit die Konflikte zwischen den Bewegungen für den afrikanischen Sozialismus einerseits und den Regierungen andererseits, die sich den USA zugewandt hatten. 

Das Ende des Kalten Krieges setzte neue Kräfte auf dem Kontinent frei. Autoritäre Regierungen, von denen einige ihre Schutzherren aus dem Kalten Krieg verloren hatten, begannen, sich wirtschaftlich und politisch zu öffnen. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) drängten viele Länder dazu, im Gegenzug für Kredite große Teile ihrer Wirtschaft zu privatisieren und zu deregulieren, und politische Führer und zivilgesellschaftliche Bewegungen sorgten für eine Welle von demokratischen Reformen. In den 1980er und 1990er Jahren verlor der Kontinent innerhalb eines Jahrzehnts seine weitgehend autokratische Gestalt und wurde mehrheitlich demokratisch. 

Diese Veränderungen leiteten zwei neue, scheinbar widersprüchliche Trends ein: Gewaltsame Konflikte sind in Afrika häufiger, zugleich aber stärker an den Rand gerückt; sie bedrohen Regierungen nicht mehr so unmittelbar. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der bewaffneten Gruppen im Kongo verdoppelt, auf etwa 120. Im Südsudan gibt es wahrscheinlich über 40 solcher Gruppen, in Libyen 20 und in Nigeria mindestens einige Dutzend. In den meisten Fällen haben diese Aufständischen jedoch keine realistische Chance, die Regierung zu stürzen. Stattdessen versuchen sie, diese durch den Einsatz von Gewalt dazu zu bringen, mit ihnen zu verhandeln. Vorbei sind die Zeiten großer blutiger Bürgerkriege, wie sie in den 1990er Jahren in Äthiopien und Ruanda herrschten. Afrika ist in ein Zeitalter zermürbender kleinerer Konflikte und der Instabilität eingetreten. 

Stärker zersplittert, aber nicht weniger destruktiv

Das bedeutet nicht, dass die Konflikte heute weniger zerstörerisch wären. Sie sind nur weniger sichtbar und weniger aufsehenerregend. Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der im Zusammenhang von Konflikten gewaltsam vertriebenen Menschen fast verdreifacht, während die Zahl der Todesopfer zurückgegangen ist. Große Teile der ländlichen Gebiete von Kongo, Mali, Nigeria, Somalia und Südsudan werden heute von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Mit anderen Worten: Eine wachsende Zahl kleinerer, stärker zersplitterter Konflikte betrifft größere geografische Gebiete, insbesondere an der Peripherie von Staaten. Die Weltbank prognostiziert, dass im Jahr 2030 bis zu zwei Drittel der extrem Armen der Welt in Ländern leben werden, die von einem hohen Maß an Gewalt betroffen sind, wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen – die meisten von ihnen in Afrika.

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Geber auf dem falschen Weg? Ausbilder der EU-Trainingsmission für Mali (EUTM) unterrichten im Januar 2021 malische Soldaten in der Entschärfung von Bomben.

So wie die Art der afrikanischen Konflikte, so haben sich auch die Interessen und die Motivation der Konfliktparteien verändert. Die bewaffneten Kräfte von heute sind keine Befreiungskämpfer in der Tradition von Samora Machel aus Mosambik und Amílcar Cabral aus Guinea-Bissau. Sie sind auch keine „Reformaufständischen“ wie etwa Yoweri Museveni aus Uganda und Paul Kagame aus Ruanda, welche die Macht mit dem Ziel ergriffen haben, ihre Länder umzugestalten. Es handelt sich nicht einmal um Kriegsherren wie Charles Taylor aus Liberia, der zwar den Ruf hatte, äußerst verdorben zu sein, aber dennoch durch Wahlen an die Macht kam. Die bewaffneten Gruppen, die heute in Afrika Unheil anrichten, reichen von islamistischen Aufständischen in Ostafrika und der Sahelzone über treulose Armeeangehörige im Südsudan bis hin zu organisierten Banditenbanden im Nordosten Nigerias.

Ungeachtet dessen, was einige von ihnen behaupten, haben nur wenige dieser Gruppen das Ziel, die Regierung zu stürzen oder sich abzuspalten. Vielmehr versuchen sie, dem Staat und der lokalen Bevölkerung Ressourcen zu entwenden, sich in die örtliche Verwaltung einzubringen und jungen Männern eine Möglichkeit zum Überleben und zur Wahrung ihrer Würde zu bieten.

Der Einsatz von Gewalt als Verhandlungsinstrument wird auch von der Tatsache begünstigt, dass es sich bei den meisten Aufständen in Afrika um wieder aufflammende Bürgerkriege handelt. Praktisch jeder Konflikt auf dem Kontinent spielt sich auf den Ruinen früherer gewaltsamer Auseinandersetzungen ab. Reaktiviert werden dabei auch die sozialen Netzwerke, Weltsichten und Ressentiments, die mit diesen Auseinandersetzungen verbunden waren. Das hat ganze soziale Klassen geschaffen, die in die Konflikte verstrickt sind, und die bewaffnete Mobilisierung zu einem praktikablen und akzeptierten Mittel der Politikgestaltung gemacht. Der bewaffnete Konflikt ist zu einem Beruf geworden.

Krieg als Einnahmequelle

In Friedenszeiten kämpfen Polizei- und Armeeoffiziere mit ihren mageren Gehältern ums Überleben. Doch wenn sie an die Front geschickt werden, können die Prämien ein Vielfaches ihres offiziellen Gehalts betragen. Offiziere des Militärs im Kongo, deren Grundgehalt nur bei etwa 150 Dollar pro Monat lag, erzählten mir 2014, dass sie oft Konfliktzulagen von bis zu 1000 Dollar monatlich erhielten. Hinzu kommt, dass Soldaten, die in Kriegszeiten eingesetzt werden, viel mehr Möglichkeiten für Plünderungen, Erpressungen und Unterschlagungen haben. „Um Geld zu verdienen, muss man kämpfen“, hat mir ein kongolesischer Oberst gesagt. Dieser Zynismus hat sich im Volksmund niedergeschlagen: Kongolesen bezeichnen Rebellen, die Unruhe stiften, damit die Regierung mit ihnen verhandeln muss, als „pyromanische Feuerwehrmänner“. 

Auch Nigeria ist ein Beispiel für die neue Normalität in afrikanischen Konflikten. Das Land wird von einem gewalttätigen islamistischen Aufstand im Nordosten, ungezügeltem Banditentum im Nordwesten, Konflikten zwischen Viehzüchtern und Bauern in der Mitte des Landes, seit langem aktiven Milizen im Nigerdelta und weit verbreiteter Kriminalität heimgesucht. Wie im Kongo engagieren sich zwar viele Mitglieder der Sicherheitskräfte und der Regierung, das Land zu befrieden, doch viele andere profitieren entweder von der Gewalt oder haben wenig Anreiz, dagegen vorzugehen. 

Aus öffentlichen Mitteln, die zur Unterstützung von Militäroperationen und humanitären Maßnahmen in Nigeria vorgesehen waren, sind Millionen Dollar verschwunden. Sie sollen von Regierungs- und Militärbeamten veruntreut worden sein. Die Summen, um die es geht, sind kolossal. Im Jahr 2016 behauptete Vizepräsident Yemi Osinbajo, dass die vorherige Regierung allein durch betrügerische Waffengeschäfte rund 15 Milliarden Dollar an staatlichen Geldern gestohlen habe. 

Ursachen der neuen Art der Gewalt

Konflikte in Afrika haben viele Ursachen: schwache und illegitime Staaten, eine Hinterlassenschaft aus der Zeit vor der Unabhängigkeit; vom Kolonialismus willkürlich gezogene Grenzen; und Volkswirtschaften, die stark von natürlichen Ressourcen abhängig sind. Doch die meisten dieser Faktoren haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert – die Art der Gewalt hingegen schon. 

Das Aufkommen von Konflikten als Verhandlungsinstrument und die perverse Symbiose zwischen vielen Regierungen und Rebellengruppen lässt sich ohne Blick auf die Liberalisierung der wirtschaftlichen und politischen Systeme am Ende des Kalten Krieges nicht verstehen. Sie begann in Afrika in den 1980er Jahren, angetrieben von der schlechten Wirtschaftsleistung vieler Länder und dem Druck der Weltbank, des IWF und der Wirtschafts­eliten. Privatisierung und Deregulierung förderten Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, schufen aber auch neue Profitquellen für bewaffnete Gruppen und erleichterten ihnen die Rekrutierung. Die Durchschnittseinkommen begannen um 2002 endlich zu steigen und es entstand eine starke neue afrikanische Mittelschicht. Doch die Zahl der Armen auf dem Kontinent ist ebenfalls gestiegen. In den Ländern südlich der Sahara lebt heute mehr als die Hälfte der extrem Armen der Welt: 490 Millionen Menschen im Jahr 2021, gegenüber 284 Millionen im Jahr 1990.

Doch nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Liberalisierung hat den Boden für eine neue Art von Krieg bereitet. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde in den meisten Teilen Afrikas die Mehrparteiendemokratie eingeführt. Diese politische Öffnung hatte viele Vorteile: Sie lockte potenzielle Aufständische vom Schlachtfeld weg in die politische Arena. Sie lenkte die Ressourcen von den bewaffneten Gruppen weg, hin zu politischen Parteien und Wahlen. Und sie veränderte die Normen auf dem gesamten Kontinent. Im Jahr 2002 hat die Afrikanische Union ihre Mitglieder formell verpflichtet, verfassungswidrige Regierungswechsel abzulehnen. Dieser politische Übergang zur Demokratie brachte einigen Ländern wie Ghana und Malawi ermutigende Reformen. In vielen anderen Ländern jedoch blieb er unvollständig. Das führte zu Regimen, die Autoritarismus und Klientelpolitik mit einem Wettbewerb um die Wählerstimmen vermischten. 

Eliten nutzen das Wahlsystem, aber auch bewaffnete Gruppen für ihre Zwecke

Von Nigeria über den Kongo bis Kenia nutzten die politischen Eliten das Wahlsystem, um ihre Legitimität zu stärken und ihre Gegner zu spalten. Häufig griffen sie aber auch darauf zurück, bewaffnete Gruppen zu unterstützen, um ihren Status zu verbessern, ihre Rivalen einzuschüchtern oder sich Ressourcen zu verschaffen. Das Ergebnis von umkämpften Wahlen entschied plötzlich darüber, wie öffentliche Gelder verteilt werden würden. Dadurch hatten die Eliten starke Anreize, Wahlen zu manipulieren und das politische System zu übernehmen. 

Mali beispielsweise war einst gefeierter Vorreiter der Demokratie auf dem Kontinent. Doch dann wurde sein politisches System von nationalen Eliten und regionalen starken Männern gekapert, was wellenartig Aufstände anheizte. Sobald sie im Amt waren, sahen sich die politischen Führer dysfunktionaler und schwacher Wahldemokratien veranlasst, ihre Gegner gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Dafür nutzten sie Konflikte und ethnische Spannungen. Nach diesem Drehbuch handelte Mobutu Sese Seko im damaligen Zaire (der heutigen Demokratischen Republik Kongo) in den 1990er Jahren. Und auch verschiedene politische Führer in Kenia sowie Präsident Paul Biya in Kamerun haben sich dieser Vorgehensweise bedient.

Gewalt als Lebensstil und Verhandlungsstrategie – das existiert nicht nur in Afrika. Eine ebenso perverse Symbiose zwischen der Regierung und den Aufständischen findet sich in Mexiko, wo die Pro-Kopf-Mordrate mindestens so hoch ist wie im Kongo oder in Nigeria. Auch dort haben die wirtschaftliche Liberalisierung und die Demokratisierung zu einer Eskalation der Gewalt beigetragen. 

Schlechte Bilanz für die ausländischen Geber

Allerdings unterscheidet das Ausmaß, in dem ausländische Geber und Diplomaten unbeabsichtigt zu Komplizen der Gewalt geworden sind, die afrikanischen Konflikte von denen in anderen Weltgegenden. Die kriegführenden Eliten in Somalia und im Südsudan haben Friedensprozesse regelmäßig als Vehikel genutzt, um von internationalen Gebern Geld zu erlangen.

Ein weiteres abschreckendes Beispiel ist der Kongo: Um das Friedensabkommen von 2003 zu festigen, halfen Geber dabei, die Bergbau-, Steuer- und Investitionsgesetze des Landes umzuschreiben. Sie wollten so die Transparenz verbessern und ausländische Unternehmen anziehen. Ihre Hoffnung war es, eine Mittelschicht zu schaffen, die eines Tages die Regierung zur Rechenschaft ziehen könnte. Stattdessen ebneten sie den Weg für einen enormen Zustrom ausländischen Kapitals, von dem die kongolesischen Eliten trotz der neuen Gesetze einen Großteil abschöpfen konnten. Laut Schätzungen wurden in nur einigen dieser Geschäfte zwischen 1,3 und 5,5 Milliarden US-Dollar gestohlen. Mit anderen Worten: Ausländische Geber haben beim Aufbau eines Systems geholfen, das dem kongolesischen Staat einen Großteil seiner Einnahmen entzog. 

Eine noch schlechtere Bilanz weisen Afrikas internationale Partner auf, wenn es um nationale Sicherheitsinteressen geht. Um den Terrorismus zu bekämpfen und die Migration einzudämmen, unterstützen die Vereinigten Staaten und verschiedene europäische Länder beispielsweise routinemäßig afrikanische Sicherheitskräfte. Die sind häufig jedoch mehr darauf bedacht, ihre Privilegien zu sichern, als die Bevölkerung zu schützen. So haben die Vereinigten Staaten Uganda im Jahr 2019 Militärhilfe in Höhe von 118 Millionen Dollar gewährt, obwohl die autoritäre Regierung Museveni häufig Gewalt gegen ihre eigenen Bürger anwendet. 

Frankreich war sogar noch kühner und entsandte 2008 und 2019 Militär in den Tschad. Das bekämpfte dort Rebellen, die Idriss Déby, den autoritären Präsidenten des Landes und wichtigen Verbündeten Frankreichs in der Sahelzone, stürzen wollten. Die burundische Regierung wiederum erhielt vor drei Jahren 13 Millionen Dollar von den Vereinten Nationen, das ist etwa ein Fünftel des gesamten Militärbudgets von Burundi. Das Geld floss als Gegenleistung für die Entsendung von Friedenstruppen in die Zentralafrikanische Republik.

Reformen vorantreiben statt Konfliktdynamiken zu verstärken

Um zu vermeiden, dass sie unbeabsichtigt genau die Konfliktdynamik verstärken, die sie bekämpfen wollen, müssen sich die Vereinigten Staaten, die europäischen Länder und die Vereinten Nationen nicht aus Afrika zurückziehen oder aufhören, die Demokratie zu fördern. Vielmehr sollten sie dazu beitragen, die in den 1990er Jahren auf dem gesamten Kontinent eingeleiteten Reformen voranzutreiben und zu vertiefen. Dadurch würde Afrikas größte politische Stärke gefördert: sein lebendiger – und, ja, lauter und chaotischer – Pluralismus. Die Nachfrage nach Demokratie in Afrika ist nach wie vor groß. Bei Umfragen lehnen sieben von zehn Afrikanern autokratische Herrschaft ab und sprechen sich dafür aus, ihre Führer zu wählen. 

Das Abwägen zwischen Sicherheit und Demokratie ist falsch. Viele der autokratischen Regierungen, die von westlichen Regierungen im Namen der Stabilität gestützt werden, herrschen durch Schwäche und indem sie Unsicherheit verbreiten. Sie dulden Konflikte und zetteln sie sogar an, um westlichen Gebern Hilfsgelder zu entlocken und so ihre illegalen Geschäfte zu finanzieren. Es macht wenig Sinn, diesen Regierungen mehr Hilfe zukommen zu lassen, wenn die herrschenden Eliten einfach Milliarden von Dollar aus den öffentlichen Kassen abzapfen können. Nach Angaben der Vereinten Nationen übersteigt die Kapitalflucht aus Afrika die Hilfe für den Kontinent jedes Jahr um etwa 40 Milliarden Dollar – ein großer Teil davon landet wahrscheinlich auf den Auslandskonten korrupter Eliten. 

Auf tiefgreifende strukturelle Veränderungen drängen

Das internationale Finanzsystem lässt ein solches Verhalten zu und fördert es sogar. Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Partner sollten sich daran machen, dieses System zu reformieren, indem sie Steuerparadiese und das Bankengeheimnis abschaffen. Und sie sollten auf noch tiefgreifendere strukturelle Veränderungen in Afrika selbst drängen: Die freien Märkte haben dort Wachstum und Chancen für eine schmale Elite geschaffen, den Großteil der Bevölkerung aber ins Prekariat getrieben. Fast jedem Land auf der Welt, das den Sprung von niedrigem zu mittlerem Einkommen geschafft hat, ist das dank erheblicher staatlicher Eingriffe in die heimische Industrie gelungen. Afrikanische Länder sind da nicht anders. Um mit anderen Staaten auf einer fairen Basis Handel treiben zu können und nicht nur als Rohstofflieferanten zu dienen, müssen sie ihre heimischen Industrien aufbauen. Das erfordert Technologietransfers, Investitionen in die Bildung und Steuervorschriften zum Schutz lokaler Unternehmen. 

Vor allem aber müssen die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Partner ihren Worten über die Demokratie Taten folgen lassen. Dies erfordert ein entschiedenes Eintreten für freie Wahlen und bürgerliche Freiheiten. Eine solche Haltung wird nicht leicht aufrechtzuerhalten sein, je stärker die „Falken“ unter den Politikern des Westens die afrikanische Politik zunehmend durch die Brille des geopolitischen Wettbewerbs mit China oder als Schauplatz für Antiterror-Operationen sehen. Zudem müssen demokratische Institutionen in Afrika stärker gefördert werden – Organisationen der Zivilgesellschaft, Wahlkommissionen, Medien, Parlamente und Universitäten, in denen Ideen für Innovation und Aktivismus gedeihen. Kosmetische Reformen werden das Konfliktmuster nicht ändern, das sich in den letzten drei Jahrzehnten in Afrika verfestigt hat. Einmal eingeschliffene Konfliktmuster halten sich lange.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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