Ausgetretene Pfade verlassen, Horizonte erweitern

AFP via Getty Images/AIDAN JONES
Im Süden von Malaysia baut China eine neue Eisenbahnstrecke. Solche Vorhaben kommen in der Bevölkerung meistens gut an, während Geber im Norden Pekings Engagement zunehmend kritisch beäugen.
Wissensaustausch
Die Asia Foundation und das German Institute of Development and Sustainability tauschen sich regelmäßig zu wichtigen Fragen aus. Zu verstehen, wie im globalen Süden und im Norden etwa über Chinas Entwicklungspolitik gedacht wird, ist für beide aufschlussreich. Gespräch mit Anthea Mulakala und Stephan Klingebiel

Frau Mulakala, Herr Klingebiel, womit beschäftigen Sie sich in Ihren Instituten?

Anthea Mulakla hat internationale Beziehungen studiert und ist in der Asia Foundation für den Bereich Internationale Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich. Davor war sie unter anderem bei der Weltbank tätig. Die Asia Foundation hat Büros in den USA und in 18 Ländern Asiens und der Pazifik-Region und fördert dort wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Stephan Klingebiel ist Politikwissenschaftler und leitet beim German Institute of Development and Sustainability (IDOS, früher Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, DIE) in Bonn das Forschungsprogramm Inter- und transnationale Zusammenarbeit. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anthea Mulakala: Ich beschäftige mich mit internationaler und regionaler Zusammenarbeit in Asien und der Pazifik-Region. Seit rund zehn Jahren müssen wir dabei stärker als früher in den Blick nehmen, wie sich die geopolitische Dynamik auf Entwicklungszusammenarbeit auswirkt und wie sich die internationale Zusammenarbeit von Ländern wie China, Indien und Südkorea von der von Gebern aus dem Norden unterscheidet.
Stephan Klingebiel: Vor allem mit der Zukunft von Entwicklungshilfe und internationaler Zusammenarbeit. Auch da geht es um Fragen der Geopolitik: Wie wirkt sie sich auf die Arbeit von Entwicklungsakteuren wie den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union aus? Und wir beschäftigen uns mit der Frage, wie sich Entwicklungspolitik und die Zusammenarbeit in Bereichen wie Sicherheit, Klimaschutz und Migration überschneiden. Wir müssen zunehmend mit Beteiligten aus diesen Politikfeldern zusammenarbeiten. 

Gilt das auch für Asia Foundation?
Mulakala: Als die Asia Foundation im Jahr 1954 ihre Arbeit aufgenommen hat, ging es sehr viel um Außenpolitik. Später haben wir unsere entwicklungspolitische Arbeit ausgebaut, nachdem westliche Geber Entwicklungs- und Außenpolitik voneinander getrennt hatten. Jetzt nähern sich beide wieder an. Wir haben schon immer mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure in unseren Partnerländern gearbeitet. 

Wie hat sich die Arbeit der Stiftung im Laufe der Zeit verändert?
Mulakala: Am Anfang ging es unter anderem um den akademischen Austausch zwischen den USA und Ländern Asiens. Auch heute gehe es in vielen Programmen noch um die Ausbildung von Führungskräften, aber der Fokus liege nicht mehr so stark auf den USA, sondern mehr auf Asien. Ein anderes wichtiges Programm der Asia Foundation heißt „Books for Asia“. Es sollte in den 1950er Jahren helfen, den Mangel an Lehrbüchern in vielen Ländern Asiens zu lindern. Daraus hervorgegangen ist das Programm „Let‘s Read“. Es baut unter anderem eine kostenlose digitale Bibliothek für Kinder auf. Die bietet Pub­likationen in lokalen Sprachen zu Themen wie Umweltschutz, Diversität und Toleranz und Geschlechtergerechtigkeit.

Hat sich die Asia Foundation von einer Institution der USA für Asien zu einer Institution in und für Asien entwickelt?
Mulakala: Die meisten Fördergelder kommen aus den USA, wir sind also nach wie vor eine stark von den USA geprägte Institution. Aber in unserer praktischen Arbeit sind wir fest in Asien verwurzelt; unsere Mitarbeiterschaft spiegelt die Vielfalt des Kontinents wider. Trotzdem sehen uns Leute manchmal noch als US-amerikanische Institution, und das ist in manchen Ländern nicht immer hilfreich. Wir haben auch ein Büro  in China...

Herr Klingebiel, Ihr Institut heißt seit diesem Jahr German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Gegründet wurde es 1964 als Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Wie hat sich die Arbeit seitdem verändert? 
Klingebiel: Wir wurden in den frühen Jahren der Entwicklungspolitik gegründet, als auch das deutsche Entwicklungsministerium eingerichtet wurde. Der Auftrag des DIE lautete, Leute zu Profis der Entwicklungspolitik auszubilden und entwicklungspolitisches Fachwissen zu schaffen. Zu wirtschaftlichen Fragen, die die Entwicklungspolitik lange dominiert haben, sind in den 1990er Jahren neue Themen hinzugekommen, etwa gute Regierungsführung und Umweltpolitik. Früher hatte das DIE eine Monopolstellung in Deutschland, heute hingegen gibt es weltweit eine Vielzahl entwicklungspolitischer Thinktanks, bei denen Regierungen sich Rat holen und informieren können.

Wie kam die Zusammenarbeit Ihrer Institute zustande?
Mulakala: Das muss so vor zehn Jahren gewesen sein. Ich habe das DIE damals als führendes westliches Institut zu Fragen der Entwicklungspolitik kennengelernt, das in der Debatte auch mal ausgetretene Pfade verlassen hat. Bei von China, Indien oder Südkorea organisierten Konferenzen zur Entwicklungspolitik war das DIE mehrmals dabei. 
Klingebiel: Daraus hervorgegangen ist unter anderem ein internationales Handbuch zur Entwicklungszusammenarbeit, das ich mit herausgegeben habe und für das Anthea einen Beitrag zu Entwicklungszusammenarbeit in Asien geschrieben hat. Für mich war und ist die Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Asia Foundation wertvoll, weil man so verstehen lernt, wie im globalen Süden über Entwicklungspolitik gedacht wird. Und weil wir Rückmeldungen zu unserer eigenen Perspektive bekommen. Das ist umso wichtiger, je stärker Entwicklungspolitik wieder von der Geopolitik geprägt wird. Durch den Austausch mit Thinktanks und Organisationen im Süden kriegen wir mit, wie dort etwa das entwicklungspolitische Engagement Chinas wahrgenommen wird. Chinas Projekt der neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) wird in der westlichen Welt ja zunehmend kritisch durch die geopolitische Brille gesehen – als ein Instrument Pekings, globale Debatten zu dominieren.
Mulakala: China ist ein interessantes Beispiel. Vor gar nicht so langer Zeit war man im Westen noch erfreut, dass mit China ein neuer zahlungskräftiger Spieler in der internationalen Entwicklungspolitik aufgetaucht ist. Und es gab die etwas naive Idee im Westen, man könne China zeigen, wie man richtig Entwicklungszusammenarbeit macht. Dann stellte sich heraus, dass Peking seine eigenen Vorstellungen hat – und auch seine eigenen entwicklungspolitischen Ziele. Die Belt and Road Initiative (BRI) ist ein Ausdruck davon. Uns hat interessiert, wie normale Leute in Asien, in den Gemeinschaften über das Wirken Chinas denken. Also haben wir in acht Ländern Umfragen durchgeführt, wie sich die Leute in BRI-Projekten engagieren und was sie davon halten. Angesichts der international weit verbreiteten kritischen Sicht auf BRI haben selbst uns die Ergebnisse überrascht: Die Leute schätzen es einfach, dass über BRI etwas für sie getan wird. Sie brauchen Straßen, sie brauchen Brücken, sie brauchen Stromversorgung – und China hat geliefert. Ungeachtet tatsächlicher Probleme wie Landraub oder mit Arbeitnehmerrechten in BRI-Projekten: Viele Leute sind zufrieden darüber. 

Sind solche Umfrageergebnisse aus dem Süden wertvoll für Ihre Arbeit, Herr Klingebiel?
Klingebiel: Was die Asia Foundation liefert, hat viel Gewicht. Wenn ich ein Papier zu diesem Thema schreiben würde, dann würde ich diese Umfrageergebnisse berücksichtigen. Das ist ja der Grund, warum uns der Austausch mit der Asia Foundation wichtig ist, warum wir sie zu Workshops einladen und Beiträge für Publikationen bei ihnen anfragen. 

Kooperiert die Asia Foundation mit Institutionen im Süden außerhalb Asiens, also etwa in Afrika oder Lateinamerika?
Mulakala: Unser Fokus liegt klar auf Asien, aber ja: Wir haben auch Kontakte in anderen Regionen, denn dort möchte man von Asien lernen. So gab es aus Ländern Afrikas etwa das Interesse, von südostasiatischen Erfahrungen aus Kreditverhandlungen mit China zu lernen. Aus Kolumbien kam die Anfrage, etwas über asiatische Frauen zu erfahren, die Unternehmen gegründet haben. 

Stoßen Sie in der Zusammenarbeit mit Institutionen im Norden manchmal auf neokoloniale Ansichten?
Mulakala: Natürlich – wobei wir mit unseren Wurzeln in den USA und unseren wichtigsten Förderern im Norden ja keine typische Süd-Organisation sind. Aber es ist tatsächlich so, dass viele die Umbrüche in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit noch nicht nachvollzogen haben. Es gibt immer noch staatliche Geber sowie nichtstaatliche Organisationen, die neokolonial eingestellt sind. Wir selbst müssen hinterfragen, inwieweit wir als international tätige Organisation neokolonial auftreten. Wir müssen ständig prüfen, wie wir arbeiten, mit wem wir arbeiten und wie wir Wissen generieren. 

Herr Klingebiel, stoßen Sie in der Kooperation mit Organisationen im globalen Süden manchmal auf Themen, zu denen die Ansichten so unterschiedlich sind, dass eine Zusammenarbeit kaum möglich ist?
Klingebiel: Nein, nicht in dieser Form. Wenn wir mit Partnern kooperieren, dann wurden die Beziehungen ja über eine längere Zeit aufgebaut, und man weiß, was einen erwartet. Aber in vielen Ländern haben zivilgesellschaftliche Organisation oder auch Wissenschaft und Forschung nicht den Spielraum wie bei uns, sich frei zu äußern. Da wäre es naiv, zu bestimmten Themen eine offene Debatte zu erwarten. Abgesehen davon gibt es natürlich Fragen, bei denen die Ansichten zum Teil weit auseinanderliegen, etwa zum Stellenwert von Umwelt- und Klimaschutz in armen Ländern oder zur Delegation von Verantwortung an die Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. In der Regel ist es aber lehrreich, andere Perspektiven auf solche Fragen zu kriegen. Ich klopfe ja nicht bei Thinktanks und Universitäten im Süden an die Tür, um lediglich meine Sichtweisen bestätigt zu bekommen. 

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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