Eine schlechte Nachricht erreichte Philipp Öhlmann Mitte Juni aus Südafrika. Der Theologe und Agrarökonom an der Humboldt-Universität Berlin wollte dieses Jahr ein gemeinsames Forschungsprojekt mit Partnern von der Universität Pretoria starten. Doch dann informierten diese Öhlmann, das deutsche Bundesforschungsministerium (BMBF) habe die Förderung überraschend nicht bewilligt. Das, so die Partner in Pretoria, habe ihnen die National Research Foundation (NRF) mitgeteilt, die das Vorhaben auf südafrikanischer Seite fördert.
Damit hatte in Deutschland und Südafrika niemand gerechnet. Im Herbst 2020 hatte das BMBF ein deutsch-südafrikanisches Forschungsprogramm für Projekte ausgeschrieben, die gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie und Strategien zur Bewältigung der Folgen untersuchen. Öhlmann bewarb sich mit den Partnern in Pretoria; in dem gemeinsamen Projekt sollte es um das Potenzial von Religion und religiösen Gemeinschaften beim Umbau von Gesellschaften hin zu mehr Nachhaltigkeit gehen. Im Mai 2021 erhielt Öhlmann von der DLR Projektträger, die im Auftrag des Ministeriums die Fördermittel verwaltet, die Nachricht, die Skizze sei „für die zweite Phase der Antragstellung ausgewählt“ worden. „Das ist die größte Hürde“, sagt Öhlmann, „die Bewilligung des vollständigen Antrags ist in der Regel nur noch Formsache.“
Dass dem gemeinsamen Forschungsvorhaben nichts mehr im Wege steht, dachte man wohl auch in Südafrika. Dort bewilligte die National Research Foundation die Fördermittel für Öhlmanns Partner, die daraufhin Anfang dieses Jahres mit der Arbeit begannen. Öhlmann hingegen hörte nichts aus Berlin – bis im Juni die Nachricht aus Pretoria kam. Das Bundesforschungsministerium hatte die NRF über den Förderstopp informiert, nicht aber Öhlmann. Der erhielt erst am 19. Juli einen Brief von der DLR Projektträger, sein Projekt werde nicht finanziert.
Einsparungen bei Sozial- und Geisteswissenschaften
Philipp Öhlmann ist nicht der einzige Forscher, den eine überraschende Projektabsage erreicht hat, seit Bettina Stark-Watzinger von der FDP das BMBF übernommen hat. Das Ministerium steht seit Wochen in der Kritik, es spare vor allem bei Vorhaben der Sozial- und Geisteswissenschaften, habe Projekte kurzfristig gestoppt und informiere die betroffenen Forscherinnen und Forscher nur unzureichend. Im deutsch-südafrikanischen Kooperationsprogramm ist von fünf als grundsätzlich förderungswürdig begutachteten Vorhaben nur eins übrig geblieben. Dabei hatte die vorherige Bundesregierung in ihrem letzten Entwicklungspolitischen Bericht vom Oktober 2021 das Programm noch als Beitrag Deutschlands zur weltweiten Bewältigung der Corona-Pandemie hervorgehoben.
Von Kürzungen betroffen sind noch andere Kooperationen mit Forscherinnen und Forschern im globalen Süden. Regine Schönenberg, Politikwissenschaftlerin am Lateinamerika-Institut der FU Berlin, untersucht seit Jahrzehnten, wie sich Umweltveränderungen und Raubbau am Amazonas auf die Gemeinschaften dort auswirken. Seit 2019 betreut Schönenberg eines von sieben vom BMBF geförderten Projekten, die „Kipppunkte, Dynamik und Wechselwirkungen von sozialen und ökologischen Systemen“ (BioTip) erforschen sollen. Im von Schönenberg geleiteten Vorhaben untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus Deutschland, Guatemala, Kolumbien, Brasilien und Peru am Amazonas mögliche Kipppunkte, die den Klimawandel antreiben, entwickeln Szenarien bis ins Jahr 2050 und geben Politikempfehlungen.
Zweimal drei Jahre seien dafür veranschlagt worden, sagt Schönenberg: „Aber jetzt hat das Ministerium die zweite Projektphase gestrichen, in der bisher gewonnene Daten und Erkenntnisse ausgewertet und den Gemeinschaften am Amazonas, die die Forschung seit Jahren unterstützt haben, zurückgegeben werden sollten.“ Anfang Juni informierte die DLR Projektträger Schönenberg, der Verzicht auf eine weitere Förderphase erfolge „aufgrund aktuell geringer zur Verfügung stehender Haushaltsmittel und neuer Schwerpunktsetzungen hin zu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen“. Den Hinweis auf neue Schwerpunkte mit „schnellem Impact“ deutet Schönenberg so, dass das Ministerium Geld für die neu geschaffene Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) braucht. Die DATI, ein Herzensanliegen der FDP, soll für das BMBF bevorzugt solche Forschung und Wissenschaft fördern, die schnelle und für die Wirtschaft nutzbare Ergebnisse bringt.
"Missglückte Kommunikation"
Das BMBF weist das zurück. Es gebe keine neuen Schwerpunkte mit „schnellem Impact“, heißt es aus dem Ministerium. Bei dem Schreiben der DLR Projektträger handele es sich um eine „missglückte Kommunikation auf Arbeitsebene“. Die DLR Projektträger selbst hat auf eine Anfrage nicht geantwortet. Sie hat aber ihre Kommunikation geändert: Im Schreiben an Philipp Öhlmann begründet sie ihre Absage nicht mehr mit neuen Schwerpunkten, sondern mit einem Hinweis auf die „derzeitige weltpolitische Entwicklung“ und die wirtschaftlichen Kosten. Die gesamte Bundesregierung nehme derzeit „Anpassungen“ vor. Auch das BMBF „priorisiert den Einsatz von Ressourcen entsprechend der Leitlinien des Koalitionsvertrags und den Bedürfnissen der aktuellen Lage neu“.
Zum Förderstopp der BioTip-Projekte erklärt das BMBF allgemein, trotz der schwierigen Haushaltslage habe das BMBF es möglich gemacht, „dass keine laufenden Forschungsvorhaben abgebrochen werden müssen“. Es könne „jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können“. Und zur überraschenden Ablehnung der positiv begutachteten Projektskizzen im deutsch-südafrikanischen Kooperationsprogramm heißt es lediglich, es gebe weder einen Bewilligungsstopp noch einen Förderstopp laufender Vorhaben. „Aufgrund der Haushaltslage kann jedoch nur eins von fünf Projekten gefördert werden.“
Der Hinweis auf die Haushaltslage überzeugt jedoch nicht, sondern verwirrt eher. Denn auf der Webseite des Ministeriums heißt es nach einem Hinweis auf die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg einerseits, es sei „umso erfreulicher“, dass der Etat des BMBF nächstes Jahr „erneut steigt“. Andererseits, heißt es weiter, sei wegen der Schuldenbremse der „Spielraum begrenzt“: Beim Haushaltsansatz für die Projektförderung komme es deshalb „insgesamt zu einem vorübergehend absinkenden Mittelvolumen“.
Regine Schönenberg und Philipp Öhlmann fürchten, die Entscheidungen des Ministeriums könnten der Zusammenarbeit mit Partnern in Ländern des globalen Südens schaden. „Das ist neokoloniale Forschung“, kritisiert Schönenberg den Förderstopp ausgerechnet vor der Phase, in der die Ergebnisse mit den Gemeinschaften im Amazonas diskutiert werden sollten: „Hinlaufen, Daten abgreifen, wieder abhauen.“ Und Philipp Öhlmann sagt, sein Partner in Pretoria habe ihm berichtet, die südafrikanische National Research Foundation habe zu der Absage des BMBF bemerkt, so etwas habe man in der Kooperation mit Deutschland noch nie erlebt und auch nicht erwartet. Die NRF wolle das gemeinsame Vorhaben im Übrigen in abgespeckter Form fortsetzen, sagt Öhlmann: „Auch weiterhin in Kooperation mit uns, soweit das möglich ist.“
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