"Deutschland sollte austreten"

Energiecharta-Vertrag
Der Energiecharta-Vertrag soll Investitionen im Energiesektor anziehen. Manche Firmen nutzen die Schutzklauseln darin, um Maßnahmen zum Klimaschutz zu erschweren. Im Juni haben sich die Vertragsmitglieder nun auf eine Reform verständigt. Warum Deutschland und andere Länder trotzdem aus dem Vertrag austreten sollten, erklärt Fabian Flues von der Organisation PowerShift im Interview.

Fabian Flues arbeitet bei der Organisation PowerShift als Referent für Handels- und Investitionspolitik.
Was ist der Energiecharta-Vertrag?

Der Vertrag wurde Anfang der 1990er Jahre geschlossen, um die Öl- und Gasressourcen in den Staaten der früheren Sowjetunion und des Warschauer Paktes westlichen Unternehmen zugänglich zu machen. Er sollte garantieren, dass ihre Anlagen dort nicht enteignet werden könnten. Insgesamt hat er gut 50 Mitglieder, vor allem aus Asien und Europa. Es gibt aber Bestrebungen, den Vertrag auf Staaten des globalen Südens auszuweiten, insbesondere in West- und Ostafrika sowie in Süd- und Südostasien. Diesen Staaten wird gesagt, wenn sie beitreten, dann fühlten sich Unternehmen sicher, in ihnen in den Energiesektor zu investieren. Allerdings ist empirisch nicht nachgewiesen, dass der Beitritt zu solchen Verträgen tatsächlich Investitionen anzieht.

Was ist an dem Vertrag problematisch?

Der Vertrag ermöglicht es privaten Investoren, Staaten zu verklagen, wenn sie ihre Eigentumsrechte verletzt sehen. Diese Rechte sind so weit gefasst, dass auch Klagen gegen Umweltauflagen und Maßnahmen zum Klimaschutz möglich sind. Zum Beispiel klagen die deutschen Energieunternehmen RWE und Uniper gerade gegen die Niederlande, die bis zum Jahr 2030 per Gesetz aus der Kohleverbrennung aussteigen wollen. Weil RWE und Uniper große Kohlekraftwerke in den Niederlanden betreiben, wollen sie für entgangene Gewinne daraus eine Entschädigung, etwa 2,4 Milliarden Euro. In einem anderen Beispiel hat die Hamburger Landesregierung Umweltauflagen aufgeweicht, nachdem der Konzern Vattenfall, der ein Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg betreibt, mit einer Klage gegen die Auflagen gedroht hatte. Problematisch ist außerdem, dass der Vertrag Klagen vor Schiedsgerichten ermöglicht, die außerhalb der demokratischen Rechtsordnung der Staaten stehen. Sie können Urteile fällen, die Gesetze und im Rahmen dieser Ordnung gefasste Beschlüsse praktisch außer Kraft setzen.

Auch die Europäische Union hatte Vorbehalte gegen den Vertrag. Jetzt wurde nach zwei Jahren Verhandlungen eine Reform beschlossen. Mit welchem Ergebnis?

Zum einen wurden die sehr vagen und weitreichenden Investorenrechte etwas genauer bestimmt. Allerdings längst nicht so weit, wie die neue Bundesregierung diese einschränken möchte. Laut dem Koalitionsvertrag sollten Unternehmen nur noch in zwei Fällen klagen können: bei Enteignung und bei Diskriminierung gegenüber inländischen Unternehmen. Die Rechte der Firmen gehen auch im reformierten Energiecharta-Vertrag weit darüber hinaus. Zum anderen konnten die Mitgliedstaaten sich nicht darauf einigen, dass Investitionen in Kohle, Öl und Gas generell nicht mehr geschützt sind. Deshalb können das einzelne Staaten beziehungsweise Wirtschaftsblöcke jetzt für sich entscheiden. In der EU sind demnach bestehende fossile Investitionen nur noch bis zum Jahr 2033 geschützt, danach nicht mehr. Neue Investitionen fallen schon ab nächstem Jahr nicht mehr unter den Vertrag. Andere Staaten wie die Schweiz oder die Türkei sind da nicht mitgegangen. Dort wird der Investitionsschutz für Kohle, Öl und Gas unbegrenzte Zeit weiterlaufen.

Das heißt, der Betreiber eines Kohlekraftwerks kann ab 2033 in EU-Staaten nicht mehr klagen, wohl aber in der Schweiz oder in der Türkei?

Genau. Nicht angegangen hat die Reform zudem die Schiedsgerichte, in denen private Anwälte darüber entscheiden, ob staatliche Maßnahmen legitim sind oder nicht. Die EU wollte die abschaffen und durch ein neues Verfahren ersetzen. Darüber wurde aber in den Verhandlungen gar nicht gesprochen. Die EU hat von allen Vertragsparteien die größten Ambitionen in die Verhandlungen eingebracht, wurde aber ausgebremst. Andererseits war die EU auch nicht wirklich konsequent, den Vertrag mit einem wirksamen Klimaschutz verträglich zu machen. Die britische Regierung etwa hat sich dafür entschieden, Investitionen in Kohlekraft nur noch bis ins Jahr  2024 über den Energiecharta-Vertrag zu schützen, während die EU das bis 2033 laufen lassen will. Das heißt, Klagen wie die von Uniper und RWE gegen ein Gesetz der Niederlande, das erst im Jahr 2030 greifen wird, sind noch zehn Jahre lang möglich. Bis dahin können Unternehmen also Maßnahmen zum Klimaschutz angreifen, die Jahre in der Zukunft liegen.

Italien ist 2015 aus dem Vertrag ausgetreten. Sollten Deutschland und die EU dem Beispiel folgen?

Ja, das wäre das Beste. Allerdings läuft der Vertrag nach einem Austritt noch 20 Jahre weiter. Das ist ziemlich undemokratisch, da es zukünftigen Gesetzgebern die Hände bindet. Es gibt aber Vorschläge, wie sich diese Klausel umgehen ließe. Wenn genug Länder gemeinsam aussteigen, dann könnten sie die Klausel zumindest untereinander aufheben.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2022: Fragen, messen, publizieren
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