Es müssten jetzt Hilfszusagen gemacht werden, die nicht nach kurzer Zeit wieder versanden, hieß es bei der Vorlage des diesjährigen entwicklungspolitischen Berichts „Kompass 2022“ in Berlin. Ein Zusammenspiel von Kriegen, Gesundheitskatastrophen, Klimawandel und dem Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und Energie bringe besonders die Menschen in akute Not, die ohnehin in Armut leben: Kinder, Jugendliche, Flüchtlinge und diskriminierte Minderheiten. Es sei davon auszugehen, dass es in diesem Jahr 300 Millionen akut hungernde Menschen geben werde, sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge.
Die G7 habe sich unter deutschem Vorsitz auf ihre Führungsrolle besonnen und mit Absichtserklärungen schnell reagiert, würdigte Mogge, mahnte aber auch: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich eine Hungerkrise wie 2007–2008 mit knapp einer Milliarde Hungernden auf der Welt wiederholt.“ Die globale Ernährungssicherheit solle höchste politische Priorität haben. Dazu gehöre auch, die Finanzierung für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen: Die Bundesregierung müsse gemeinsam mit den G7-Staaten 14 Milliarden US-Dollar pro Jahr zusätzlich für Ernährungssicherung bereitstellen, um den weltweiten Hunger zu besiegen.
Zusagen früherer G7-Gipfel wurden nicht eingelöst
Deutschland solle dazu mindestens 1,4 Milliarden Dollar oder 1,35 Milliarden Euro beisteuern, heißt es in der kritischen Bilanz vergangener G7-Beschlüsse im Kompass. Als vor 15 Jahren die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit in die Höhe schnellten, beschlossen die Industriestaaten auf ihrem Gipfel im Jahr 2009 im italienischen L’Aquila, im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe drei Jahre lang 20 Milliarden Dollar in Landwirtschaft und Kleinbauern zu investieren. Die Initiative für Ernährungssicherheit galt als politische Trendwende – aber es folgte eine Ernüchterung: Nach drei Jahren waren nur etwa 20 bis 30 Prozent ausgezahlt. Auch die 2015 beim G7-Gipfel von Elmau getroffenen Zusagen, bis 2030 etwa 500 Millionen Menschen von Hunger und Mangelernährung zu befreien, sind nicht eingelöst.
Das dürfe nicht wieder passieren, so Mogge: „Wir brauchen einen langen Atem.“ Hilfen in akuten Ernährungskrisen sollten immer mit Unterstützung zur langfristigen Hungerbekämpfung verknüpft werden. Es sei auch versäumt worden, ländliche Gebiete und Kleinerzeuger mit sektorübergreifenden Programmen aufzuwerten, bemängelt der Kompass. Ernährungsunsichere Staaten und Regionen hätten deshalb ihre Möglichkeiten zur Selbstversorgung nur unwesentlich erhöhen können.
Parallelstrukturen dürfen nicht entstehen
Die Forderung nach 14 Milliarden Dollar jährlich zusätzlich beruhe auf wissenschaftlichen Berechnungen, was notwendig wäre, um die Verpflichtungen von Elmau zu verwirklichen. Entsprechend solle die G7 ihre Selbstverpflichtungen überarbeiten, auf zehn Jahre festlegen und in enger Partnerschaft mit betroffenen Ländern ausführen. Die Hilfsorganisationen hoffen, dass die Anstrengungen diesmal dauerhaft verstärkt werden. Wie das von der G7 bereits angekündigte „Bündnis für Ernährungssicherung“ funktionieren soll, ist ihnen allerdings auch noch unklar. Es dürften keine Parallelstrukturen entstehen, so Mogge, sondern es sollten bewährte Partner, Organisationen und Mechanismen berücksichtigt und eingebunden werden.
In der neuen Bundesregierung sehen die Organisationen gute entwicklungspolitische Ansätze – etwa beim stärkeren Augenmerk auf Frauen und marginalisierte Gruppen, der Weiterentwicklung der humanitären Hilfe oder Impulsen für die Transformation zu nachhaltigen Ernährungssystemen. Was allerdings das Schicksal von Kindern angehe, fehle nach wie vor eine klare Strategie zu ihrem Schutz vor Hunger und ausbeuterischer Arbeit und für einen besseren Zugang zu Bildung, so Joshua Hofert, Vorstand für Kommunikation von terre des hommes. Die Bundeswehr werde mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgestattet, Mittel „in dieser Größenordnung“ würden auch für zivile Zwecke gebraucht, sagte Hofert – etwa für den Aufbau zerstörter Schulen und Gesundheitseinrichtungen in der Ukraine und zum Schutz der Umwelt für heute und die kommenden Generationen.
Marina Zapf
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