„Bashar al-Assad kann einfach abwarten“

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Fadi Al-Shami/Middle East Images/
Der syrische Künstler Aziz Asmar solidarisiert sich in seinen Zeichnungen mit den Menschen in der Ukraine. Auch Idlib im Nordwesten Syriens ist vom Krieg zerstört, viele Syrerinnen und Syrer flohen vor Putins Bomben. Asmars Zeichen der Solidarität malt er auf eine Mauer in Idlib, die bei einem russischen Luftangriff zerstört worden war.
Syrien
Auch in Syrien herrscht Krieg und zudem eine katastrophale Wirtschaftskrise. Wie der Ukraine-Krieg sich hier auswirkt und wie sich das Regime unter Assad in weiten Teilen Syriens noch immer behauptet, erklärt der Experte Joseph Daher.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie "Vergessene Krisen im globalen Süden", in der wir in loser Folge die Konflikte in Ländern darstellen, die im Schatten des Krieges in der Ukraine in der medialen Brichterstattung untergehen.

Joseph Daher ist Lehrbeauftragter am European University Institute in Florenz, Mitarbeiter des dortigen Forschungsvorhabens „Wartime and Post-Conflict in Syria“, Autor und Blogger. Er stammt aus Syrien.
Der Krieg in Syrien ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Sind die Kämpfe weitgehend vorbei?
Der Krieg geht in vieler Hinsicht weiter. Im Nordwesten wird das Gebiet von Idlib weiter bombardiert. Die autonom verwalteten Gebiete im Nordosten werden ständig von türkischen Truppen bedroht und manchmal angegriffen. Zusätzlich zu den Kämpfen leiden die Menschen in Syrien jetzt unter einer schweren, sich zuspitzenden Wirtschaftskrise. Über 90 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, die Inflation ist hoch, es gibt nur für zwei bis höchsten acht Stunden am Tag Strom – selbst in der Hauptstadt Damaskus. Über 60 Prozent der Bevölkerung brauchen humanitäre Hilfe. 10 bis 12 Millionen Menschen, ungefähr die Hälfte der Bevölkerung, sind vertrieben worden, davon die Hälfte innerhalb Syriens.

Das Land ist in Einflussgebiete verschiedener Parteien aufgeteilt?
Ja. Etwa 70 Prozent wird vom syrischen Regime mit Hilfe ihrer Hauptverbündeten Russland und Iran kontrolliert. Im Nordwesten sind Idlib und weitere Städte unter der Kontrolle von Hai'at Tahrir al-Sharm, einer Dschihadisten-Organisation, die früher mit Al-Qaida verbunden war. Andere Gebiete im Nordwesten, darunter Afrin, werden von der türkischen Armee beherrscht und von konservativ-islamischen syrischen Gruppen, die vollständig von der Türkei abhängen. Sie haben zwischen 150.000 und 200.000 Kurden gewaltsam aus dem Gebiet vertrieben. Und den Nordosten kontrolliert die autonome Verwaltung von Nordost-Syrien, die von der PYD dominiert wird, einer Schwesterorganisation der kurdischen PKK in der Türkei. Trotz der Teilung und der Kämpfe geht aber der wirtschaftliche Austausch zwischen den Gebieten weiter. Zum Beispiel verkauft der Nordosten, wo die Ölvorkommen sind, Erdöl an das Regime und ist der Brotkorb Syriens. Aus der Türkei gelangen Güter über den Nordwesten ins Land.

Alle syrischen Parteien sind auf ausländische Unterstützer angewiesen?
Ja. Das Regime hätte ohne die Unterstützung Russlands und des Iran sicher nicht überlebt. Die syrischen Gruppen im Nordwesten hängen völlig von der Türkei ab und werden von Ankara als Söldner eingesetzt. Die Türkei hat auch relativ gute Beziehungen zu Hai'at Tahrir al-Scharm. Die USA unterstützen die kurdische Verwaltung im Nordosten, vor allem gegen den Islamischen Staat, aber auch um den Einfluss des Iran zu schwächen.

Die russische Armee hat in der Ukraine Schwächen gezeigt und große Verluste erlitten. Wie wichtig ist ihre Unterstützung für Assad?
Russische Bodentruppen waren für Assad nie entscheidend. Davon sind nur einige Tausend im Land, vor allem in den beiden russischen Militärbasen im Nordwesten und in Tartus am Mittelmeer. Entscheidend war die Luftunterstützung. In Syrien zu bombardieren war einfach, weil die Gegner Assads, anders als die ukrainische Armee, gar keine Verteidigung gegen russische Luftschläge haben. Die militärische Lage in Syrien hat sich deshalb bisher noch nicht infolge des Ukraine-Krieges geändert.

Ein bei einem US-Angriff im Februar 2022 zerstörtes Haus in der Provinz Idlib. Der Krieg in Syrien mag aus den Nachrichten hierzulande verschwunden sein, doch das Leid dauert an.

Gefährdet der Krieg auf Dauer die Hilfe Russlands für Assad?
Da bin ich nicht sicher. Moskau wird Assad weiter unterstützen. Aber der Iran und auch andere wie die Türkei oder arabische Staaten könnten die Schwäche Russlands nutzen, ihren Einfluss auszuweiten. Das ist aber noch nicht klar. Eine starke Schwächung Russlands in Syrien wünschen im Übrigen auch Gegner des Regimes Assad nicht, denn die Alternative ist der Iran, und westliche Länder fürchten neue Fluchtbewegungen. Direkte Auswirkungen haben hingegen die Sanktionen gegen Russland. Zum Beispiel hatte die Zentralbank Syriens Geld bei mehreren russischen Banken, und eine Reihe von mit dem Regime verbundenen reichen Geschäftsleuten nutzte das russische Finanzwesen, um Sanktionen gegen sie selbst zu umgehen. Das erschweren die Sanktionen gegen Russland jetzt. Syrien hängt auch von russischen Weizenlieferungen ab, aus Russland wurde seit 2016 im Durchschnitt eine bis eineinhalb Millionen Tonnen pro Jahr geliefert.  

Wie kann das Regime Assad nach einem so grausamen Krieg weiter den Großteil Syriens kontrollieren?
Viele der eigenen Gebiete hat es nicht vollständig unter Kontrolle. Zum Beispiel gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Demonstrationen in as-Suwaida im Südosten, das von Drusen bewohnt ist, einer islamischen Minderheit. In Dara'a ganz im Süden gab es Morde an Vertretern der Regierung. Sogar im Westen, den das Regime am festesten im Griff hat, gibt es viel Unzufriedenheit wegen ausbleibender Löhne und der harten Repression. Viele hassen Assad und sein Regime, aber es gibt im Gebiet der Regierung keine organisierte politische Alternative.  

Auf welche Kräfte stützt sich die Herrschaft Assads?
Zunächst auf die Armee und die Sicherheits- und Geheimdienste – besonders die vierte Division der Armee unter dem Kommando von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar. Sie ist der am besten ausgestattete und finanzierte Teil der Armee und hat eigene Einnahmequellen, zum Beispiel aus informellen Geschäften wie dem Schmuggel und dem Handel mit Drogen wie dem Aufputschmittel Captagon. Auch die Geheimdienste sind sehr stark. Daneben gibt es Netzwerke der Macht, die dem Regime dienen und Menschen kooptieren. Eins ist erneut die Baath-Partei, die Bashar al-Assad nach seinem Machtantritt im Jahr 2000 zuerst geschwächt hat. Dann gibt es mit dem Regime verbundene Geschäftsleute. Ein weiteres wichtiges Netzwerk ist die angeblich nichtstaatliche Organisation (NGO) „Syria Trust for Development“, die Bashar al-Assads Frau Asma leitet; sie gehört zu den Organisationen, an die das meiste Hilfsgeld von den UN fließt. Hinzu kommen Netzwerke der Religionsgemeinschaften. Geistliche Eliten aus allen Religionen unterstützen Assad – auch der christliche Patriarch. Eine der größten NGOs in Syrien ist mit der christlichen orthodoxen Kirche verbunden und steht dem Regime nahe.

Das heißt Nothilfe nützt dem Regime?
Ja, zum Teil. Hilfe geht an alle Regionen Syriens und an die Nachbarländer wie den Libanon, Jordanien und die Türkei, die Geflohene aufgenommen haben. Für 2021 gab es zehn Milliarden US-Dollar Hilfszusagen, von denen aber nur ein Drittel auch gezahlt wurde. Die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, wo drei Viertel der verbliebenen Bevölkerung leben, erhalten im Vergleich weniger Hilfe als die anderen Gebiete Syriens und die Nachbarländer. Wenn man mit Mitarbeitenden von UN-Hilfsorganisationen im vom Regime kontrollierten Gebiet spricht, sagen sie, das sei nicht normal. Humanitäre Hilfe sollte an alle Bedürftigen gehen und erhöht werden. Es gibt viel zu wenig Hilfe für alle Gebiete, egal unter wessen Kontrolle. Die Hilfszusagen für Syrien sind in den vergangenen zwei, drei Jahren gesunken – zuletzt besonders stark, obwohl der Bedarf mit der Wirtschaftskrise noch wächst.

Birgt die Hilfe nicht die Gefahr, regierungstreue NGOs zu fördern und dem Regime zu helfen?
Natürlich. Das sind zwei Probleme: Es kommt zu wenig Hilfe, und sie wird besonders in von Assad gehaltenen Landesteilen politisch genutzt – zum Beispiel um einzelne Regionen oder Geschäftsleute zu begünstigen, die lukrative Verträge mit internationalen Hilfsagenturen erhalten. Die Organisationen, die am meisten von Kontrakten mit UN-Agenturen profitieren, sind der nationale Rote Halbmond sowie das Netzt von Asma Assads Organisationen. Das Regime kann die Privatisierung der sozialen Sicherung fortsetzen und es internationalen Organisationen überlassen, sich um die Bevölkerung zu kümmern. Nicht alle im von Assad kontrollierten Gebiet unterstützen aber das Regime, ganz im Gegenteil. Und auch sie sind in Not.

Sehen Sie Chancen, einem Frieden in Syrien näher zu kommen?
Leider bin ich nicht optimistisch in Bezug auf die Zukunft Syriens und der ganzen Region. Das Regime war nicht einmal verhandlungsbereit, als es im Sommer 2012 tatsächlich in Gefahr war. Warum sollte es heute in guter Absicht verhandeln, zumal es jetzt auch international besser dasteht? Die Beziehungen zu arabischen Staaten normalisieren sich wieder, einige osteuropäische Staaten strecken ihre Fühler aus. Assad nutzt zudem die Sorge vor einer neuen Fluchtwelle politisch aus. Die autonome Verwaltung von Nordost-Syrien hat mehrfach Gespräche über eine Lösung angeboten, aber auch darauf ist das Regime nie eingegangen. Es wird einfach abwarten, die Zeit ist auf der Seite von Assad.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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