Post-Cotonou weiter in der Schwebe

rupert oberhäuser/picture alliance
In Remscheid wird ein Zuwanderer für Metallberufe ausgebildet. Im neuen Partnerschaftsvertrag verspricht Europa mehr legale Migrationswege.
Brüssel
Seit gut einem Jahr liegt der neue Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und der Organisation Afrikanischer, Karibischer und Pazifischer Staaten (OAKPS) ausverhandelt vor. Doch wann er unterzeichnet wird, ist weiterhin nicht in Sicht: Ungarn blockiert.

Das Abkommen soll den Cotonou-Vertrag aus dem Jahr 2000 ersetzen. Er regelt die Zusammenarbeit der mittlerweile 27 EU-Länder mit den rund 80 Entwicklungsländern, die heute als OAKPS auftreten. Die früheren Kolonien hatten mit dem Vertrag und dem für sie reservierten Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) einen Sonderstatus unter den Empfängern von EU-Hilfen. Er wäre eigentlich im Februar 2020 ausgelaufen, wurde aber bereits mehrfach verlängert; nach dem jüngsten Beschluss gilt er noch bis zum 30. Juni. Was am 1. Juli passiert, ist offen. Die EU-Kommission gibt sich schmallippig. Den Vertrag zu unterzeichnen und schnellstmöglich anzuwenden, sei „eine Priorität“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Man rechne mit der Unterzeichnung im laufenden Jahr.

Allerdings liegt der Kommissionsvorschlag im Rat, der Vertretung der EU-Regierungen, auf Eis. Ungarn will nicht unterzeichnen „aufgrund der Tatsache, dass wir die Erleichterung legaler Migrationswege nicht unterstützen können“, teilt das Außenministerium in Budapest „welt-sichten“ mit. Migration könne die demografischen und wirtschaftlichen Probleme nicht lösen. Legale und illegale Migration bildeten zudem „eine Sicherheitsbedrohung für unsere Gesellschaften“.

Das Thema Migration war schon in den Verhandlungen schwierig. Dem Vernehmen nach galt besonders die Rücknahme afrikanischer Bürger, zum Beispiel nach einem abgelehnten Asylantrag in der EU, als Streitpunkt. Der paraphierte Text sieht vor, dass ein Staat seine Bürger ohne Bedingungen zurücknehmen muss, wenn sie sich anderswo illegal aufhalten.  

Zuwanderung darf weiter jedes EU-Land selbst regeln

Das Hauptabkommen und das Afrika-Protokoll befassen sich jedoch auch mit legaler Migration. Die Texte sehen eine Förderung legaler Migration vor, unter anderem mit Blick auf die Bedürfnisse der Arbeitsmärkte. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf zirkulärer Migration, bei der die Migranten etwa nach einer Ausbildung in ihr Land zurückkehren. Doch unabhängig von den einzelnen Bestimmungen: Der Vertrag hebt die Kompetenz jedes EU-Landes nicht auf, selbst über die Zahl legaler Migranten auf seinem Gebiet zu bestimmen.

Wie es weitergeht, ist fraglich. Nach Auskunft der Kommission wird nicht nachverhandelt. Das Gegenüber wäre dafür auch nicht offen, erklärt Morgan Githinji vom Sekretariat der OAKPS in Brüssel. „Wir sind auch nicht mit jedem Aspekt des Abkommens zufrieden“, so Githinji. Man könne das Paket aber nicht wegen eines Punktes wieder aufschnüren. Eine abermalige Verlängerung des Cotonou-Vertrags kann sich Githinji ebenfalls schlecht vorstellen. Er hoffe auf eine schnelle Unterzeichnung.

In der Klimapolitik haben die Afrikaner große Zugeständnisse gemacht

Auch Europaparlamentarier Jan-Christoph Oetjen (FDP) nennt den Pakt „ausverhandelt“. Ungarn solle sich einen Ruck geben und zustimmen. Würde wegen der Migrationsfrage nachverhandelt, könnten auch andere Themen wieder hervorgeholt werden, zum Beispiel die Klimapolitik, in der die Afrikaner teils große Zugeständnisse gemacht hätten, erläutert Oetjen, der in der OAKPS-Delegation und als Stellvertreter im Entwicklungsausschuss des Parlaments sitzt. In der Delegation plane man bereits Treffen mit OAKPS-Parlamentariern für die zweite Jahreshälfte – und zwar in dem institutionellen Rahmen, den der neue Vertrag setzt. 

Bereits umgestellt ist die finanzielle Seite der Partnerschaft. Der EDF ist abgeschafft, wobei ein Teil der von ihm finanzierten Projekte noch umgesetzt wird. An seine Stelle ist das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit getreten (englisch NDICI abgekürzt, auch „Global Europe“ genannt). Anders als der EDF ist das NDICI nicht den Staaten der OAKPS vorbehalten. Allerdings hat sich die EU politisch verpflichtet, die Partnerschaft weiter mit Geld zu unterlegen, und hält sich nach Auskunft von Githinji bisher daran. 

Kritik an der „postkolonialen Struktur“ des Abkommens

Francisco Marí von Brot für die Welt erkennt in den EU-OAKPS-Beziehungen ebenfalls Kontinuität, doch an anderer Stelle, und er bewertet diese kritisch. Zum einen hält Marí „die postkoloniale Struktur“ grundsätzlich für überholt. Er sieht keinen Grund, dass die EU ihre früheren Kolonien besonders behandelt und im Zuge dessen Subsahara-Afrika vom Norden des Kontinents trennt – die Länder von Marokko bis Ägypten zählen nicht zur OAKPS. 

Darüber hinaus kritisiert Marí die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs), die die EU auf Basis des Cotonou-Vertrags mit verschiedenen Ländern der OAKPS geschlossen hat und die auch unter dem neuen Vertrag weiterlaufen. Darin habe sie Zollfreiheit für den Großteil des Warenaustausches erzwungen. Die am wenigsten entwickelten Länder haben aber schon vorher dank des EU-Programms „Alles außer Waffen“ zollfreien Zugang nach Europa genossen. Für sie bedeuteten die EPAs also nur eine Marktöffnung gegenüber EU-Importeuren und damit Nachteile, sagt Marí. Sie könnten dann keine eigene Industrie aufbauen und ihre Rohstoffe nicht stärker selbst verarbeiten. Stattdessen werde „die Kaffeebohne nach Europa exportiert und kommt als Instant-Kaffee zurück“. 

Nötig: Mehr Sensibilität der EU für die Bedürfnisse der Partner

Darüber hinaus untergraben die EPAs laut Marí das Projekt eines afrikanischen Binnenmarktes sowie gewachsene regionale Wirtschaftsgemeinschaften – zum Beispiel das EPA mit Ghana die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Denn Ghana habe dadurch andere Zollbestimmungen mit der EU als seine Nachbarn. 

Vor diesem Hintergrund könnte die Verzögerung der Unterzeichnung des Post-Cotonou-Abkommens möglicherweise ihr Gutes haben, meint Marí: Es wäre gut, wenn sie zu mehr Sensibilität der EU für die Bedürfnisse ihrer Partner sowie zu Vorschlägen „für Wirtschaftsbeziehungen zu Afrika als Ganzes“ führen würde.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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