Zentralafrikas Staatsfeind Nummer eins

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Florent Vergnes/AFP via Getty Images
Rebellenführer Ali Darassa (Mitte) im März 2019 im Süden der Zentralafrikanischen Republik.
Rebellenführer Ali Darassa
Ali Darassa, der Chef der mächtigsten Rebellengruppe in der Zentralafrikanischen Republik, wird von den Russen gesucht und ist von den USA mit Sanktionen belegt. Der Werdegang dieses ehemaligen Straßenräubers sagt viel über die Konflikte in der Region.

Ein paar zentralafrikanische Rekruten exerzieren in Berengo zu den Befehlen von uniformierten Weißen. Zum Hauptquartier haben sie keinen Zutritt, der ist dem Generalstab der geheim operierenden Gruppe Wagner vorbehalten. Oberst Alexander Vassili, der Chef dieser russischen Söldner in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), ist hier gewissermaßen zu Hause. Umgeben von seinen Leuten und Landkarten, koordiniert er die Kämpfe gegen die Rebellenkoalition Coalition des patriotes pour le changement  (CPC, Allianz der Patrioten für den Wandel). Wagner unterstützt die Regierung von Faustin Archange Touadéra.

Zu den Zielen gehört die Gegend um Bambari und vor allem ein Mann: Ali Darassa. Der ist im November zum Generalstabschef der CPC ernannt worden und gilt seitdem als Nummer eins der Aufständischen. Der offizielle Koordinator der Koalition, der 2013 gestürzte frühere Präsident François Bozizé, ist in N‘Djamena im Tschad im Exil. Doch Ali Darassa hat sich in der Umgebung von Bambari verschanzt, wo seine Truppen – einige Hundert Mann – große Teile des Buschlands kontrollieren. Die USA haben im Dezember Sanktionen gegen den Mann verhängt, vier Tage später hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nachgezogen.

Wer ist dieser Staatsfeind Nummer eins? Ein Geheimnis umgibt schon seinen Geburtsort. Ali Darassa behauptet, er sei 1965 in Zentralafrika in der Region um Kabo geboren, nahe der Grenze zum Tschad. Laut einer Quelle aus Sicherheitskreisen, die ihn gut kennt, ist er jedoch im Tschad zur Welt gekommen, rund fünfzig Kilometer südlich von N‘Djamena in der Grenzregion zu Kamerun.
Er ist jedenfalls der Sohn von Viehhirten der Peuls Mbororo (das heißt von Peuls, die nicht sesshaft geworden sind, der sesshafte Teil der Volksgruppe wird in der Region Fulbe genannt; Anm. d. Red.). Sein Vater ist im Tschad geboren, seine Mutter in Zentralafrika und sein Großvater im Niger. Ali Darassa wächst im Grenzgebiet auf, das sich Zentralafrika, der Tschad und Kamerun teilen. Das Leben der Hirtenfamilien dort ist prekär angesichts von Dürre und Unsicherheit.

Als Jugendlicher beobachtet Darassa, wie Mitglieder seiner Gemeinschaft sich unter ohnmächtigen oder komplizenhaften Blicken der örtlichen Behörden gewalttätigen Banden anschließen. In den 1990er Jahren, noch keine dreißig Jahre alt, greift er auch zu den Waffen. „Wie andere ist er abgerutscht, weil Straßenräuber seine Familie in Armut gestürzt und die Behörden ihnen keinerlei Unterstützung gewährt, sie sogar illegal ausgepresst hatten“, erklärt ein ehemaliger Kamerad.

Schutz für Viehhirten gegen Bezahlung

Gegen Ende des Jahrtausends macht Ali Darassa sich einen Namen. Der Straßenräuber, vor allem im Norden Kameruns, sieht sich als ein Chef der Selbstverteidigungsbewegung der Mbororo und kommt mit künftigen Komplizen in Kontakt. „Sie haben Selbstverteidigungsgruppen zusammengeführt und den Viehhirten angeboten, sie gegen Bezahlung vor Banditen zu schützen. Zu beiden Seiten der Grenzen haben sie Menschen um sich geschart. Damals ist Ali Darassa zum Anführer der Gruppe geworden“, erzählt der Informant aus Sicherheitskreisen.

Autor

Mathieu Olivier 

ist Journalist bei „Jeune Afrique“ und spezialisiert auf Kamerun, Gabun und den Niger sowie Menschenrechte. Das französische Original des Textes ist erschienen bei www.jeuneafrique.com; Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Will er damals im Tschad Einfluss gewinnen, wo Aufständische Mitte der 2000er Jahre versuchen, den Diktator Idriss Déby Itno zu entmachten? Laut einem Offizier des tschadischen Geheimdienstes sucht Ali Darassa die Annäherung an eine Rebellentruppe, die im Tschad in der Provinz Tibesti und nahe der Grenze zu Libyen operiert. 2007 macht er sich auf den Weg in den Norden des Tschad, wird aber festgenommen und nach N‘Djamena zurückgebracht. Es gelingt ihm, von dort in seine Heimatregion nahe der kamerunischen Grenze zu entkommen. Ali Darassas Familie bestätigt diese Version allerdings nicht.

2008 nimmt Darassa einen neuen Anlauf. Im Feb­ruar sieht man ihn in Garoua, auf den heißen Straßen mitten in der wichtigsten Stadt im Norden Kameruns, in Begleitung von zwei Waffenbrüdern. Sie treffen sich mit einem Tschader, Mahamat Abdoul Kadré Oumar, der wie sie aus einer Hirtenfamilie stammt und den Beinamen „Vater des Buschlands“ trägt, „Baba Laddé“ in der Sprache der Peuls. 

Zwischen Baba Laddé und Ali Darassa springt der Funke über

Der zehn Jahre ältere Ali Darassa schildert dem Jüngeren seinen Werdegang und die Kämpfe, die er seit mehr als einem Jahrzehnt für seine Gemeinschaft und seinen Clan führt. Baba Laddé ist begeistert. Auch er hat versucht, sich am Aufstand im Tschad zu beteiligen, und sich ohne großen Erfolg in der Region Darfur im Westsudan engagiert (auch dort wurde der Konflikt im Tschad ausgefochten). Vor allem will auch er die Selbstverteidigungsbewegungen der Peuls zu einer Regionalmacht vereinen, die Einfluss auf den Großraum zwischen dem Tschad, Zentralafrika und Kamerun ausüben kann. 1998 hat Baba Laddé die Front populaire pour le redressement (Volksfront für die Wiederbelebung, FPR) gegründet und verfügt über eine solide Basis an Kämpfern. Zwischen ihm und Ali Darassa springt der Funke über. Sie machen sich mit den beiden anderen Mitkämpfern auf den Weg in die Region um Bambari.

Wo hätten sie besser Fuß fassen können? Hier überleben die Gemeinschaften der Mbororo-Viehhirten, von denen viele seit den 1920er Jahren aus dem Tschad gekommen sind, gerade so – bedroht von Straßenräubern, in ständiger Unsicherheit und vom Staat alleingelassen. „Baba Laddé und seine Leute haben zu ihnen gesagt: ‚Man hat euch an den Rand gedrängt. Wir werden euch gegen die verteidigen, die euch bestehlen wollen.‘ Und nebenbei haben sie Schutzgelder von ihnen erpresst und ihnen manchmal auch Vieh weggenommen“, erklärt ein wissenschaftlicher Beobachter aus Zentralafrika.  

2008 wird Ali Darassa zum rechten Arm von Baba Laddé, dann sein Generalstabschef in Kaga Bandoro, einer Hochburg des FPR. Er befasst sich mit allen militärischen und praxisbezogenen Fragen. Das eigentlich Politische behält Baba Laddé sich und einem anderen Vertrauten vor. Das Räderwerk des FPR ist gut geölt. Dennoch bricht die Gruppe 2012 auseinander. Verfolgt von der tschadischen und der zentralafrikanischen Armee, flieht Baba Laddé zunächst in den Südsudan, doch nach seiner Rückkehr nach Zentral­afrika muss er sich im September ergeben. Er wird nach N‘Djamena ausgeliefert, wo die tschadischen Geheimdienste großen Druck auf ihn ausüben, damit er seine zentralafrikanischen Truppen zur Niederlegung der Waffen aufruft.

Kommandant des Gebiets um Bambari – bis die Franzosen kommen

Umsonst: Ali Darassa macht sich unabhängig. Mit seinen Männern schließt er sich in der ZAR dem Aufstand der Séléka an, einer Allianz aus bewaffneten Gruppen, die sich im August 2012 gebildet hat und in der einige Monate lang Arabischsprachige und Peuls Seite an Seite kämpfen. Im März 2013 marschiert die Koalition, damals bis zu zwanzigtausend Mann stark, nach Bangui und stürzt Präsident François Bozizé. Michel Djotodia übernimmt die Macht und ernennt Ali Darassa offiziell zum Kommandanten des Gebiets um Bambari.

Aber schon Ende 2013 landen französische Streitkräfte in Zentralafrika. „Unter dem Druck der Franzosen und der UN ist die Allianz zerbrochen. Die Anführer der Séléka wurden wieder zu Kriegsfürsten, deren einziges Ziel war, ihr jeweiliges Territorium zu sichern und ihre Männer zu ernähren. Sie fingen sogar an, sich untereinander zu bekämpfen“, resümiert unser Beobachter. „Darassa setzte erneut auf die Karte der Peuls. Er hat seine Männer, überwiegend Mbororo, um sich geschart und die Union pour la paix en Centrafrique (Vereinigung für Frieden in Zentralafrika, UPC) gegründet.“

In Wirklichkeit stürzt Darassa, der die Séléka offiziell im September 2014 verlässt, sich in die Politik. Es ist die Stunde des Dialogs. Als im August 2015 der US-Sondergesandte in Zentralafrika die Festnahme von Ali Darassa fordert, lehnt die Friedensmission der Vereinten Nationen (MINUSCA) das ab. Kraft des Dekrets von Michel Djotodia, das niemand aufgehoben hat, ist der Anführer der UPC offiziell immer noch rechtmäßiger Kommandant der Region Bambari. „Ali Darassa hat die Übergangszeit und den Beginn der Amtszeit von Faustin Archange Touadéra im Jahr 2016 genutzt, um seine Position zu festigen“, erinnert sich ein ehemaliger zentralafrikanischer Minister.

Ein Viehhirte vom Volk der Peul auf dem Viehmarkt von Bangui, der Hauptstadt der Zentral­afrikanischen Republik.

„Zwischen 2015 und 2019 lief ein Spiel der Betrüger ab: Weil sie um jeden Preis zu einem Friedensabkommen gelangen wollte, verfolgte die Regierung eine Politik der ausgestreckten Hand, während die Rebellengruppen, darunter Ali Darassas UPC, um Einflussgebiete kämpften, was viele Opfer forderte“, betont ein ehemaliges Mitglied der Übergangsregierung. Im Februar 2019 akzeptiert Darassa wie die Anführer anderer Rebellengruppen das Abkommen von Khartum, das unter Vermittlung der Afrikanischen Union, aber vor allem von Russland und der Gruppe Wagner zustande gekommen ist. Einen Monat später wird er zum Sondermilitärberater des sehr russlandfreundlichen Premierministers Firmin Ngrébada ernannt. Wieder ist er de facto Gouverneur der Region Bambari und hat einen Regierungsposten. „Man hat ihnen Posten gegeben, und im Gegenzug mussten sie Entwaffnung spielen“, sagt ein ehemaliger Minister. 

Eine neue Rebellenallianz

In Wahrheit ist das Abkommen wesentlich genauer. „Man hat eine Aufteilung der Ressourcen in den Regionen der ZAR ausgehandelt“, vertraut uns ein ehemaliges Séléka-Mitglied an, das bei den Verhandlungen dabei war. „Die Kernidee war: ein Drittel für die führende Rebellengruppe, ein Drittel für Wagner und dessen Unternehmen, ein Drittel für den Staat.“ Ein ehemaliges Regierungsmitglied ergänzt: „Der Rest, die politischen Posten und die Entwaffnung, das war mehr oder weniger nur Fassade.“

Die aber bröckelt schon 2020. Ali Darassa hat wieder Kontakt zu ehemaligen Waffenbrüdern der Séléka geknüpft und beschließt, die UPC in eine neue Rebellenallianz zu führen, die anfangs genannte CPC. Die verhindert im Dezember in den von ihr kontrollierten Gebieten die Präsidentschaftswahlen und versucht im Januar 2021 vergeblich, die Hauptstadt Bangui einzunehmen; die zentralafrikanische Armee wirft die Rebellen mit Unterstützung ihrer russischen und ruandischen Alliierten zurück. Im Februar werden die zu den Peuls gehörenden Kämpfer der UPC sogar aus Bambari hinausgedrängt und müssen sich in den ländlichen Gebieten der Region verteilen.

Ende der Geschichte? In Bangui wagt niemand daran zu glauben. Ali Darassa „hat sich zurückgezogen und versucht, in Erwartung besserer Tage die größtmögliche Anzahl an Männern zu behalten“, sagt unser Experte. Ali Darassa ist geduldig gegenüber den Russen und gleichgültig gegenüber den US-Sanktionen. Im April 2021 spricht er für kurze Zeit davon, er wolle die CPC verlassen, wird aber im November dann Militärchef der Koalition. „Wir wollten mit der Regierung verhandeln, aber Bangui hat sich nicht an die Spielregeln gehalten und weiter Angriffe gegen uns geführt“, beklagt ein Vertrauter von Ali Darassa. Und der lässt uns Ende Dezember die Nachricht zukommen: „Von nun an wissen wir, woran wir sind: Wir müssen Touadéra stürzen.“

Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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