Am Thema Israel-Palästina kann man sich in Deutschland schnell die Finger verbrennen. Entsprechend selten sind offizielle Stellungnahmen der Kirchen dazu. Dass Ende vergangenen Jahres die evangelischen Kirchen in Baden, der Pfalz, von Hessen-Nassau, dem Rheinland und in Westfalen wieder einen Versuch unternommen haben, sich zu Israel und Palästina zu positionieren, hat mit der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) kommenden September in Karlsruhe zu tun. Dort steht das Thema prominent auf der Tagesordnung, und anders als in der deutschen Kirchenlandschaft, wo den Beziehungen zum Judentum und zu Israel großes Gewicht zukommt, geben in der weltweiten Ökumene diejenigen den Ton an, die engen Kontakt zu den palästinensischen Kirchen pflegen. Es ist kein Geheimnis, dass sie in Karlsruhe den deutschen Kirchen auf den Zahn fühlen wollen.
Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben sich die Beauftragten für das jüdisch-christliche Gespräch der fünf Kirchen an Rhein und Ruhr zusammengetan, um einen Konsens zum Verhältnis zu Israel und Palästina zu suchen. Fünf Leitgedanken mit erläuternden Thesen haben sie formuliert. Es fällt auf, dass nicht nur wie üblich die Verbundenheit zum Judentum mit seinen historischen Wurzeln in Israel betont wird, sondern auch die historische Verwurzelung des Christentums zwischen Mittelmeer und Jordan.
Interessant ist auch, dass die Autorinnen und Autoren „Boykottmaßnahmen als legitime gewaltfreie Form eines politischen Widerstands gegen völkerrechtswidriges Handeln weltweit“ grundsätzlich anerkennen. Einen Totalboykott gegen Israel, wie ihn die BDS-Bewegung fordert (BDS steht für Boycott, Divestment, Sanctions), lehnen sie allerdings ab – auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte und weil er „unterschiedslos ein gesamtes Kollektiv“ treffe, auch Kräfte, „die sich in Israel selbst für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen“. Schließlich lässt die Forderung nach einem Ende des Siedlungsbaus und der Besatzung keinen Zweifel daran, dass die fünf Kirchen Gerechtigkeit für Palästina als notwendige Grundlage für einen dauerhaften Frieden sehen.
Bisher hat sich keine andere evangelische Landeskirche dem Papier offiziell angeschlossen. Doch in Kreisen des christlich-jüdischen Gesprächs wird es als respektable Diskussionsgrundlage angesehen.
Gute Diskussionsgundlage oder parteiliche Thesen?
Harsche Kritik gibt es hingegen von denjenigen, die sich seit Jahrzehnten für mehr Solidarität mit Palästina einsetzen. Sowohl das Kairos Palästina-Solidaritätsnetz Deutschland als auch das Forum Friedensethik (FFE) in der badischen Landeskirche hatten bereits in der Entwurfsphase grundlegende Bedenken detailliert vorgebracht. Dass die offenbar keinerlei Eingang in das Papier gefunden haben, empfinden viele als Überheblichkeit. Das Papier gebe lediglich „die Sichtweisen einer dominierenden Community innerhalb des ‚christlich-jüdischen Dialogs‘ wieder, die in den meisten Landeskirchen Schlüsselpositionen besetzt“, so das FFE.
Kritisiert wird unter anderem, das Papier werde der Asymmetrie des Konflikts zwischen Israel und Palästina nicht gerecht. Diese lediglich als Sichtweise der Palästinenser abzutun und nicht als Faktum anzuerkennen, sei unseriös. „Was den Palästinensern angetan wird, wird heruntergespielt“, heißt es in der Stellungnahme des FFE. Das Papier weise „eine deutliche Parteilichkeit für den Staat Israel auf“. Ein weiteres Problem sei die Prämisse, dass die Verbundenheit der Kirche mit dem Judentum auch das heutige Israel einschließe. Dies laufe zwangsläufig auf eine bedingungslose Loyalität zum Staat Israel hinaus, egal wie der handle, so das FFE.
Kritik: Das Papier ignoriere unterschiedliche Strömungen im Judentum
Kritisch gesehen wird auch, dass das Papier „die untrennbare Beziehung des jüdischen Volkes zum Land der Verheißung mit Jerusalem in der Mitte“, wie es in dem Thesenpapier der Kirchen heißt, als jüdisches Selbstverständnis postuliert. Diese Fixierung auf das „Land der Verheißung“ sei Kernelement des Zionismus, der selbst im Judentum umstritten sei; das Papier ignoriere damit unterschiedliche Strömungen im weltweiten Judentum. Sowohl FFE als auch das deutsche Kairos-Palästina-Netzwerk distanzieren sich deswegen ausdrücklich von dem Thesenpapier.
Klaus Müller dagegen, Beauftragter für das jüdisch-christliche Gespräch in der badischen Landeskirche und Mitinitiator des Papiers, hofft, dass trotz der harschen Kritik das Thesenpapier „als Gesprächsbeginn verstanden wird und nicht als letztes Wort“. Für die ÖRK-Vollversammlung hofft er, dass neben der Solidarität mit Palästina auch die historische und theologische Verbundenheit, die das Christentum mit dem Judentum hat, eine Rolle spiele. Dies sei nicht nur ein deutsches Steckenpferd, sondern für alle Kirchen weltweit relevant.
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