„Putins Propagandamaschinerie überzieht uns mit Fake News“

Getty Images/Konstantin Zavrazhin
Wer gegen den Krieg in der Ukraine protestiert, gefährdet seine Freiheit: Hier nimmt ein Polizist in Moskau einen Demonstranten fest, auf dessen Plakat in Russisch "Kein Krieg" steht.
Meinungsfreiheit
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden in Russland knapp 6000 Menschen verhaftet, weil sie öffentlich gegen den Krieg protestiert haben, berichtet die russische Menschenrechtsorganisation OVD-Info. Ein Kurzinterview mit einem Aktivisten aus Moskau, der anonym bleiben möchte.

Wie ist die Situation der russischen Friedensbewegung?
Es gibt keine russische Friedensbewegung. Es gibt nur ein informelles Bündnis vieler einzelner, die aus den unterschiedlichsten Gründen keinen Krieg gegen die Ukraine wollen: Liberale, Linke, Leute aus dem Kulturbereich oder aus sozialen Initiativen, und viele moralisch integre Individuen. Dass in diesen Tagen weniger Menschen auf den Straßen gegen den Krieg protestieren als vor einem Jahr gegen die Inhaftierung Alexei Nawalnys, liegt aber nicht daran, dass die Menschen mehrheitlich hinter Putins Krieg stünden. Sondern daran, dass der Präsident seitdem die Infrastruktur der russischen Zivilgesellschaft systematisch zerstört hat, und dass die Menschen einfach Angst um ihr Leben und um ihre Familien haben. Ein unliebsamer Post im Internet kann jeden hier in Russland sofort ins Gefängnis bringen, jederzeit und überall.

Wie konnte das geschehen?
Mit dem Verbot von Nawalnys Organisation mit ihren 45 örtlichen Büros und der Kriminalisierung aller, die mit dem Netzwerk zusammengearbeitet haben, hat das Regime einen Großteil der russischen Zivilgesellschaft lahmgelegt. Mit Memorial wurde letzten Sommer die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands aufgelöst. Viele engagierte Menschen wurden aus den nichtigsten Gründen verhaftet. Gleichzeitig wurden die wenigen unabhängigen Fernseh- und Hörfunkredaktionen, die es noch gab, von der Regierung geschlossen. Putins Propagandamaschinerie läuft gerade voll an und überzieht das Land mit Fake News über vermeintliche ukrainische Aggressionen. In den ersten Kriegstagen sprachen sich in den sozialen Medien noch viele Russen gegen den Krieg aus, das ist inzwischen nicht mehr so. Ob aus Angst oder aus Nichtwissen, kann ich nicht genau sagen. Es wird in Russland bald keine alternativen Informationsquellen zu den Staatsmedien mehr geben. Dann dürfen wir nicht vergessen: Die russische Bevölkerung steht nicht mehrheitlich hinter Putin. Aber wer das öffentlich zeigt oder gar demonstriert, riskiert sein Leben.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Ich fürchte, die Ukraine wird der militärischen Gewalt nicht standhalten. Ich habe Freunde und auch Verwandte in der Ukraine, und ich möchte gar nicht daran denken, wie schrecklich das noch wird. 

Wie stehen Sie als Friedensaktivist zu Waffenlieferungen an die Ukraine?
Sie könnten den Ukrainern zwar vorübergehend helfen, dem russischen Militär zu widerstehen. Aber sie würden die Zahl der Opfer aus der Zivilbevölkerung mit Sicherheit erhöhen. Und niemand weiß, in wessen Hände sie letztlich noch gelangen. Meine Forderung ist das nicht. 

Das Gespräch führte Barbara Erbe. 

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