Bern vertagt die Unterzeichnung des UN-Migrationspakts erneut

picture alliance/dpa/TASS/Sergei Bobylev
Eine Asylbewerberin in einer Schweizer Flüchtlingsunterkunft. Die rechtskonservativen Parteien im Parlament wollen von Migration in die Schweiz nichts wissen.
Schweiz
Vor drei Jahren haben 152 UN-Mitgliedstaaten den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration unterzeichnet. Die Schweiz zögert bis heute. Für Kritiker ist das unverantwortlich und nicht nachvollziehbar.

Kurz vor der Unterzeichnung des Pakts 2018 in Marrakesch hatte die Schweizer Regierung Kritik vom Parlament geerntet, das verlangte, bei der Entscheidung mitreden zu dürfen. Dabei handelt es sich bei dem Pakt um sogenanntes Soft Law, also um ein international nicht bindendes Abkommen, das laut Bundesgesetz ohne Beteiligung des Parlaments unterzeichnet werden kann.
Allen voran bekämpfte die Schweizerische Volkspartei (SVP) den Pakt. „Diese internationalen Erklärungen, die keiner Ratifizierung bedürfen, sorgen im Parlament für wachsendes Unbehagen“, sagte der SVP-Nationalrat Yves Nidegger damals gegenüber swissinfo. „Am Ende werden sie den Staaten als internationale Konvention aufgezwungen.“ Kritik kam auch von der FDP. Auf wachsenden Druck hin entschied der Bundesrat deshalb im Februar dieses Jahres, den UN-Migrationspakt dem Parlament zur Beratung vorzulegen.

Im September hat das Parlament nun beschlossen, diese Beratung noch bis mindestens nächstes Jahr zu vertagen. Man wolle zuerst den Bericht der eigens aus diesem Anlass eingerichteten Subkommission des Parlaments zu „Soft Law“ abwarten, die eine mögliche Mitarbeit des Parlaments bei rechtlich nicht bindenden Entscheiden klärt. Grüne, Mitte- und Linksparteien sind verärgert, zumal die Schweiz bei der Ausarbeitung des Migrationspakts federführend war. 

Die Schweiz hat sich bei den UN für den Pakt starkgemacht

Der Schweizer UN-Botschafter in New York und sein mexikanischer Amtskollege hatten die Verhandlungen geleitet. Der Pakt listet 23 Ziele auf, die sämtliche Aspekte der Migration abdecken. Er soll die Zusammenarbeit von Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten von Migranten und Migrantinnen verbessern und den Beitrag von Migranten und Migration zu nachhaltiger Entwicklung stärken.

Gemäß der Schweizer Regierung entspricht der Pakt den Zielen der eigenen Migrationspolitik wie sicheren Grenzen, Verringerung irregulärer Migration und Flucht sowie der Bekämpfung des Menschenhandels. In einer im Frühjahr veröffentlichten Mitteilung schreibt der Bundesrat: „Es ist im Interesse der Schweiz, mittels Stärkung der Migrationspolitik anderer Länder durch Unterstützung und Zusammenarbeit, die eigene souveräne Steuerung der Migration besser wahrnehmen zu können.“ Bisherige Erfahrungen der europäischen Staaten, die dem Pakt zugestimmt haben, zeigten, dass er ein wirksames Instrument sei, die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu stärken.

Warnung vor Reputationsschaden und Vertrauensverlust

Auch nichtstaatlichen Organisationen bereitet die Verzögerung Sorgen. Bettina Filacanavo, Mitarbeiterin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen HEKS, schreibt in einer Stellungnahme: „Während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 konnten wir aus nächster Nähe beobachten, wie die internationale Staatengemeinschaft vielerorts unkoordiniert und überfordert reagierte. Großes menschliches Leid war die Folge.“ Genau deshalb brauche es eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Staaten.

„Das Zögern der Schweiz ist nicht nachvollziehbar“, sagt Peter Meier von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe auf Anfrage. „Der UN-Migrationspakt ist kein revolutionärer Schritt, sondern ein transparent ausgehandelter Kompromiss zwischen den jeweiligen Eigeninteressen der Staaten.“ Die Schweiz riskiere, ihre bisher prägende Rolle als verlässliche Partnerin in der internationalen Zusammenarbeit zu schwächen. Das könne sich auch unmittelbar nachteilig auf die Migrationsaußenpolitik auswirken, etwa bei künftigen Verhandlungen über bilaterale Migrationsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern. „Je länger die Schweiz mit der Unterzeichnung zuwartet, desto größer dürfte das Risiko eines außenpolitischen Reputationsschadens und eines Vertrauensverlustes der internationalen Gemeinschaft sein“, sagt Meier.
 

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erschienen in Ausgabe 11 / 2021: Leben im Dorf
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