Der Gesetzentwurf gehört zu einem Dutzend Vorschlägen, die die EU-Kommission Mitte Juli unter dem Slogan „Fit for 55“ vorgestellt hat. Bis zum Jahr 2030 will die EU ihre Treibhausgasemissionen verglichen mit 1990 um 55 Prozent senken. Der Ausgleichsmechanismus, in Brüssel unter dem englischen Akronym CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) geläufig, hat eng mit dem EU-Emissionshandelssystem (EHS) zu tun. Das 2003 eingeführte System soll durch „Fit for 55“ reformiert und ausgeweitet werden; CBAM bildet gleichsam eine externe Komponente.
Der Emissionshandel verpflichtet Kraftwerke und Industriebetriebe aus Branchen wie Stahl, Zement, Glas und Papier in der EU, für ihren Treibhausgasausstoß Zertifikate zu kaufen. Damit einher geht die Gefahr des „carbon leakage“ (wörtlich: „Kohlenstoffleck“): Firmen verlagern ihre Produktion in Länder außerhalb der EU, wo die Zertifikate-Kosten wegfallen. Oder aber Firmen aus diesen Ländern exportieren in die EU – mit den entsprechenden Emissionen in den Herkunftsländern. Um diesem „carbon leakage“ entgegenzuwirken, hat sich die EU bisher damit beholfen, einen Teil der Zertifikate gratis zu verteilen oder Kosten zu kompensieren, um Wettbewerbsnachteile für EU-Unternehmen zu reduzieren. Das widerspricht aber der Idee der Bepreisung des CO2-Ausstoßes.
Der CBAM würde daher importierte Waren ebenfalls einem CO₂-Preis unterwerfen. Dieser würde wöchentlich neu aus dem Durchschnittspreis der EHS-Zertifikate errechnet. Es wäre erwünscht, dass die Drittländer unter diesem Druck ihre Emissionen selbst bepreisen. Die dadurch entstehenden Kosten für die Unternehmen dort könnten von der CBAM-Abgabe abgezogen werden. Diese beträfe zunächst nur bestimmte Waren mit hohem „carbon-leakage“-Potenzial: Zement, Eisen und Stahl, Aluminium und Dünger sowie Strom.
Die EU ist für viele arme Länder ein wichtiger Exportmarkt
Für Importe dieser Güter in die EU spielen die ärmsten Länder (LDCs) zwar keine große Rolle. Umgekehrt aber ist die EU für diese Länder teilweise ein wichtiger Exportmarkt. „Viele Länder im globalen Süden und auf dem afrikanischen Kontinent im Besonderen sind relativ großen Risiken ausgesetzt“, heißt es in einer Folgenabschätzung der EU-Kommission zum Grenzausgleichsmechanismus. Angeführt werden etwa Eisenerz aus Sierra Leone, Zement aus Kambodscha und Dünger aus dem Senegal. Beim Aluminium aus Mosambik sind die Importe sogar aus europäischer Sicht beträchtlich. Zuletzt lieferte das Land laut Kommission Metall für rund 850 Millionen Euro jährlich in die EU und hatte damit einen Anteil von 7,7 Prozent der Aluminiumimporte der EU.
Nimmt man Entwicklungsländer aus den mittleren Einkommensgruppen (lower-middle- und upper-middle-income-countries) hinzu, wie es Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in einer Analyse der erwarteten CBAM-Folgen tut, so zeige sich, dass mehrere unter den zehn führenden Einfuhrländern der EU seien. Beispiele sind Indien für Eisen und Stahl, Ägypten für Aluminium und die Ukraine für Strom. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Exporte: Die am wenigsten entwickelten Länder dürften sich mit der Abwicklung der EU-Abgabe verhältnismäßig schwertun, heißt es in der Folgenabschätzung der Kommission. Denn es fehle an Kapazitäten und Expertise, die Emissionen zu berechnen.
Der Gesetzentwurf stellt vor diesem Hintergrund Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen Unterstützung in Aussicht. Die EU sei bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie „auf dem Weg zur Dekarbonisierung ihrer verarbeitenden Industrie zu begleiten“. Darüber hinaus sollte die Union „weniger entwickelten Ländern die notwendige technische Unterstützung bereitstellen“, um die Anpassung an den CBAM zu erleichtern, heißt es im Entwurf. Eine EU-Sprecherin weist auf Anfrage zusätzlich auf die Übergangsfristen für alle Drittländer hin. Und sie macht geltend, dass die EU bei der Ausgestaltung der CBAM nicht vollkommen freie Hand habe, da sie die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) beachten müsse.
Eine Ausnahme für die ärmsten Länder wäre möglich
Dieses Argument relativiert Brandi, die dafür ist, LDCs generell von der Abgabe zu befreien. Das sei durch die sogenannte WTO-Ermächtigungsklausel möglich. Geboten sei es unter anderem im Lichte der UN-Klimarahmenkonvention und der UN-Nachhaltigkeitsziele, die eine Steigerung der Exporte aus LDCs vorsehen, meint Brandi. Bei Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen hält die Expertin immerhin eine teilweise Befreiung für denkbar und sinnvoll.
Ähnlich wie Brandi plädiert Sam Lowe vom Centre for European Reform für nach Einkommensniveaus differenzierte Ausnahmen für Entwicklungsländer. Um „carbon leakage“ zu begegnen, könnte die Abgabe erhoben werden, sobald Importe aus einem CBAM-befreiten Land stark steigen. Generell sollten die Befreiungen auslaufen, sobald ein Entwicklungsland oder seine Exporteure international wettbewerbsfähig geworden sind, schlägt Lowe vor.
Ärmste Länder zeitweilig befreien
Auch beim Blick auf die Einnahmen durch die Abgabe sieht DIE-Expertin Brandi Nachbesserungsbedarf. Bisher sei geplant, sie weitgehend dem EU-Haushalt zuzuführen. Besser und gerechter sei es, den Großteil „für Dekarbonisierung und Anpassungsmaßnahmen“ in vom Grenzausgleichsmechanismus betroffenen Ländern einzusetzen. Brandi geht es vor allem um arme Länder: Diese hätten am wenigsten zur Klimakrise beigetragen und seien gleichzeitig am stärksten von ihr betroffen und würden durch CBAM noch zusätzlich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit getroffen.
Die Hilfsorganisation Oxfam tritt ebenfalls dafür ein, die ärmsten Länder zeitweilig zu befreien und die Einnahmen zweckgebunden in Entwicklungsländern zu verwenden, „damit sie grünere Technologien einführen und CO2-Emissionen reduzieren“, so Oxfam-Expertin Chiara Putaturo. Auf lange Sicht könnten die LDCs dann ebenfalls die EU-Abgabe tragen.
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