Doch man sollte sich von Visionen einer grünen Wirtschaft nicht täuschen lassen. Begonnen hat eine umwelttechnische Modernisierung des Industriekapitalismus – genauer gesagt: von Teilen davon. Für Sektoren wie Gebäude, Stahl oder Flugverkehr sind noch keine so kostengünstigen grünen Lösungen in Sicht wie für die Stromerzeugung und, auch ein Wandel der Landwirtschaft ist kein Win-win-Modell.
Erderwärmung um rund 2,4 Grad bis 2100 wahrscheinlich
Kann man erwarten, dass die Länder mit hohen Emissionen – darunter China, die USA und die EU – die Erderhitzung ausreichend begrenzen? Nach den Modellrechnungen des Climate Action Tracker (CAT), der die Klimapolitik der Staaten bewertet, kommt das 2-Grad-Ziel in Reichweite, wenn alle 131 Staaten, die sich bisher ein Zieldatum um die Jahrhundertmitte für Klimaneutralität gesetzt haben, dies einhalten. Doch diese Absichtserklärungen beruhen auf der Annahme, dass man mehr oder weniger hohe Restemissionen mit Entnahmen von CO2 aus der Atmosphäre ausgleichen kann. Die Techniken dafür sind für den Großeinsatz kaum erprobt, immens teuer oder erfordern viel Land für den Anbau von Biomasse.
Zudem fehlen plausible Strategien, nationale Netto-Null-Ziele zu erreichen: Viele der „national festgelegten Beiträge“ (NDCs) unter dem Pariser Abkommen enthalten für 2030 so schwache Minderungsziele, dass sie mit Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts nicht vereinbar sind. Folgen die Emissionen aller Länder diesen NDCs, dann ist laut CAT eine Erderwärmung um rund 2,4 Grad bis 2100 wahrscheinlich. Und schon jetzt passen viele Ziele in den NDCs nicht zur politischen Praxis: Wird die in allen Ländern fortgeführt, dann landen wir bei fast 3 Grad. Und ob zum Beispiel die US-Regierung ihre Klimaziele vom April innenpolitisch umsetzen kann, ist fraglich.
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Kreislaufwirtschaft lässt auf sich warten
All diese Projektionen sind unsicher. Klar ist aber: Für das 2-Grad-Ziel müssen die globalen Emissionen in den nächsten Jahren zu sinken beginnen, für das 1,5-Grad-Ziel sogar sofort und stark. Zurzeit zeigt die Kurve aber nach der von Corona bedingten Delle wieder nach oben, denn die Weltwirtschaft wächst wieder. Und Wirtschaftswachstum hat für alle Staaten Priorität.
Die gern verdrängte Frage lautet: Ist es mit schrumpfenden Emissionen überhaupt vereinbar? Nach aller Erfahrung nein, sagt der Wirtschaftsethnologe Jason Hickel. Doch, das ist denkbar, widerspricht der Weltbank-Klimaökonom Stéphane Hallegatte in einem klugen Disput mit Hickel. Im entscheidenden Punkt sind indes beide einig: Arme Länder brauchen Wachstum, aber in reichen Ländern muss – ob ihr Sozialprodukt steigt oder nicht – der Verbrauch von Rohstoffen und Energie schnell und stark sinken.
Genau den dürfte der rein technische Klimaschutz in Europa, den USA und China einige Jahrzehnte noch steigern. Es soll ja ein großer Teil der Infrastruktur, der Produktionsanlagen und von Geräten wie Autos erneuert werden. Schon hat der Wettlauf um die nötigen Ressourcen wie Metalle begonnen, während die Kreislaufwirtschaft auf sich warten lässt.
Dringend nötig: Begrenzung von Luxus und Reichtum
Diese Art Klimaschutz ist eine Gefahr für Menschen in Entwicklungsländern, deren Rohstoffe und Landflächen noch begehrter werden. Und er wird die andere globale Öko-Krise verschlimmern, die zu stoppen die Staaten gerade auf dem UN-Gipfel von Kunming (China) unverbindlich versprochen haben: das Artensterben. Dessen Hauptursache ist, dass die Spezies Mensch einen so großen Teil aller Naturprodukte und Lebensräume beansprucht wie nie zuvor. Mehr Bergbau und neue Plantagen fördern das noch und gehen auf Kosten von Indigenen, die in Naturräumen leben und sie erhalten.
Nötig sind moderne Technik plus Begrenzung von Luxus und Reichtum. Die Eliten im Norden sehen es jedoch wie Hallegatte: Besser nie vom Ende des Wachstums reden, denn für Klimaschutz braucht man ermutigende Botschaften. Das stimmt, sagt Hickel, nur müssen sie auch wahr sein. Die Mär vom grünen Wachstum ist das nicht. Er bietet eine bessere Ermutigung an: Reiche Gesellschaften könnten mit weniger SUVs und Fast Fashion, aber mehr Gerechtigkeit besser leben.
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