Vor 15 Jahren war hier noch alles von Wald bedeckt, alle möglichen Tiere lebten hier“, erinnert sich Diallo Amidou Hama. Er lebt in Wemdou, einem kleinen Dorf in Burkina Faso, mitten im Sahel. Seine ausgetretenen Sandalen klappern auf dem trockenen Boden. „Jetzt ist das alles weg. Erst kam der Wassermangel, dann haben vor drei Jahren Flüchtlinge, die aus anderen Teilen des Landes kamen, die letzten Bäume verfeuert. Wir haben hier wirklich Probleme.“ Starke Regenfälle, anhaltende Dürren, Erdrutsche, Wald- und Buschbrände prägen zwar rund um die Welt die Schlagzeilen. Aber nirgendwo wirken sie sich so verheerend aus wie im Sahelstreifen, der sich von der Sahara im Norden bis zur sudanesischen Steppe im Süden erstreckt. Der Klimawandel schlägt hier bereits unerbittlich zu.
In manchen Gebieten kamen die Veränderungen so schnell, dass die Menschen ihr Leben innerhalb weniger Jahre völlig umstellen mussten. Manchmal blieb ihnen keine andere Wahl, als wegzuziehen. Aus dem allgemeinen Drang, dieser Entwicklung entgegenzusteuern, entstand das Projekt Great Green Wall (GGW), auch Afrikas Grüne Mauer genannt. Von Anfang an ging es den Beteiligten darum, einen 15 Kilometer breiten und 8000 Kilometer langen Waldgürtel zu schaffen, der sich bis zum Jahr 2030 vom Senegal bis nach Dschibuti erstrecken sollte. Damit, so die Berechnungen, könnten 250 Millionen Tonnen CO2 gebunden und zehn Millionen Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten geschaffen werden.
Die GGW, die unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union steht und unter anderem von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union gefördert wird, soll als Renaturierungsprojekt die Desertifikation verlangsamen, also die Zerstörung von Bodenqualität, Vegetation und Wasserzugang. Selten wird dabei bedacht, dass das Projekt von Afrikanern für Afrikaner auf die Beine gestellt wurde. Die Länder des Sahel haben es als Reaktion auf die düsteren Prognosen der Wissenschaft selbst für ihre Region entwickelt. Sie setzen dabei auf traditionelles Wissen in der Landwirtschaft und bei der Bewältigung von Umweltproblemen.
Die Falten in Hassan Amadou Maygas Gesicht zeugen von mehr Lebenserfahrung, als sein Alter von 57 Jahren erahnen lässt. Er stammt aus dem Dorf Diomga, das nur wenige Kilometer von Wemdou entfernt liegt. Dort führte er ein Leben als Bauer und Hirte. Er beherrscht den Umgang mit ausgedörrtem Ackerland, das er mit der sogenannten Zai-Methode bestellt. Dabei bringt man das Saatgut in kleinen Gruben aus und schützt diese durch mit Kompost vermischte Erdwälle. Die Autorität, die Mayga in seiner krisengeschüttelten Gemeinde genießt, macht ihn dort zum idealen Koordinator für die GGW. „Ich weiß, wann sich eine Trockenzeit anbahnt“, erklärt er. „Schon 1993 habe ich die Vorzeichen der Tragödie gesehen, die sich dann 1996 abgespielt hat“, erklärt er. Damals habe man kleine Brunnen gegraben, um an Wasser zu kommen, doch man musste von Mal zu Mal tiefer bohren. „Wenn in einem Jahr ein Meter genügte, dann waren es im nächsten schon zwei. Seit 2010 gibt es nördlich dieser Häuser hier überhaupt kein Wasser mehr.“
Eine Dürre hat verschiedene Phasen, erklärt der erfahrene Bauer. „Zuerst verdorren die Blätter, dann sterben die Stämme bis in die Wurzeln ab, und schließlich bilden sich, wenn es einmal heftig regnet, Risse und Gräben im Boden.“ Dieses Endstadium ist in seiner Region inzwischen erreicht.
Nur vier Prozent von Afrikas Grüner Mauer sind realisiert
Vor 16 Jahren, im Jahr 2005, diskutierten afrikanische Staatschefs zum ersten Mal auf einer Konferenz in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou über das Projekt der Great Green Wall. Zwei Jahre später fiel unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union der offizielle Startschuss. Große Erfolge gab es noch nicht zu verkünden; bis heute wurden nur ungefähr vier Prozent von Afrikas Grüner Mauer realisiert.
Wie ist das zu erklären? Schon in den 1980er Jahren startete Burkina Fasos Präsident Thomas Sankara, damals der Hoffnungsträger seines Landes, ein groß angelegtes Aufforstungsprogramm, um die Erosion zu stoppen und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Es kam mit seiner Ermordung 1987 zum Erliegen. „Das war ein großer Fehler. Die Menschen haben nicht verstanden, welchen Schatz ihnen Sankara da hinterlassen hat“, erklärte Abdoul Wahabo Iboudo, der Vorsitzende des Gartensyndikats von Ouagadougou. Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit, denn für die mangelnde Realisierung der GGW sind mehrere Faktoren verantwortlich.
Zwar begann das Projekt formell im Jahr 2007, als die Afrikanische Union das Mandat erhielt, die Initiative zu überwachen. Doch erst mit der Gründung der Panafrikanischen Agentur für die GGW im Jahr 2011, welche die Koordination zwischen den beteiligten Ländern stärken sollte, machten sich mehrere Länder, darunter Burkina Faso, wirklich ans Werk. „Vor der Gründung der Agentur herrschte Skepsis unter den Geldgebern, die das Projekt nicht verstanden, aber auch unter den afrikanischen Staaten selbst, die sich erst über die große Bedeutung der GGW klar werden mussten“, erklärt Elvis Paul Tangem, der Koordinator der Afrikanischen Union für die GGW.
Die Aufgabe überstieg die Kräfte der Beteiligten
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Schließlich schafften es die afrikanischen Partnerstaaten, ein harmonisches und ganzheitliches Projekt auszuarbeiten. Ihre Vision einer Forstwirtschaft, die den Menschen des Sahel Arbeitsplätze, ein nachhaltiges Ressourcenmanagement und eine umweltfreundliche Landwirtschaft versprach, überzeugte auch die Geldgeber. Die wichtigsten sind heute die Weltbank, die Europäische Union, die Vereinten Nationen mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, das Sekretariat des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung UNCCD sowie die Internationale Union zur Bewahrung der Natur IUCN.
„Die Arbeit in einem solch komplexen Umfeld ist hochinteressant, oft aber schwierig“, meint Tangem. „Nehmen wir das Beispiel Burkina Faso. Dort entwickelte sich alles sehr vielversprechend. Doch dann brachen dort Konflikte zwischen Rebellengruppen und der Regierung aus. Politische Krisenregionen sind leider oft auch von großen Umweltproblemen betroffen.“
Umweltprobleme als Hauptquelle des Unfriedens
Wer das Dorf Diomga besucht, begreift schnell, wovon Tangem spricht. Während islamistische Terroristen und die staatstreuen Bürgerwehren das ihre tun, Gemeinschaften entlang religiöser und ethnischer Linien zu spalten, sind hier Umweltprobleme die Hauptquelle des Unfriedens. „Die Menschen sind entweder Hirten oder Bauern, und sie geraten in Konflikte um Land und Wasser“, erklärt das Oberhaupt der Gemeinde, Dicko Mamadou. „Außerdem kommen immer mehr Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Aber auch hier wird es immer schlechter.“ Vor diesem Hintergrund hat das Sekretariat der UNCCD mit Unterstützung örtlicher Kräfte beschlossen, sich an einer von der Europäischen Union finanzierten Initiative zu beteiligen.
FLEUVE, so ihr Name, unterstützt in 23 Gemeinden verschiedener Länder kleine Projekte, die das Potenzial zur Bodenverbesserung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen haben. „Sie kamen 2018 nach Diomga und versprachen, einen Bulli zu bauen, einen Wassertank, aber bis jetzt ist nichts passiert. Sie haben Werkzeuge und Schubkarren an acht zufällig ausgewählte Personen verteilt, dazu 200 Setzlinge an neun andere“, sagt Mayga. „Leider ist keiner der Moringabäume (Meerrettichbäume) angegangen, da der ebenfalls versprochene Zaun nie gezogen wurde, so dass die Tiere alles gefressen haben.“ Auf Anfrage nach einem Interview antwortete Birguy Lamizana, bei der UNCCD zuständig für Sahelprojekte, schriftlich: „Entwicklungsprogramme sind bestrebt, keine dauerhaften Interventionen zu schaffen. Sie sorgen lediglich für ein günstiges Umfeld, damit die staatlichen Organe im Implementierungsgebiet die entsprechenden Maßnahmen durch ihre eigenen Ministerien und Behörden aufgreifen und fortsetzen können. Auf diese Weise soll eigenverantwortliche Regierungsarbeit gefördert werden.“ Bei anderen Gelegenheiten ließ das UNCCD-Sekretariat verlauten, es habe sein Engagement in dieser Region angesichts zunehmender Instabilität eingestellt.
Finanzierungsbedarf: 28 Milliarden Euro
Betrachtet man nur die internationalen Projekte, die explizit die Great Green Wall unterstützen, heißt es im UNCCD-Bericht im vergangenen Jahr, „so belaufen sich die Summen auf maximal 870 Millionen Dollar (ca. 735 Millionen Euro)“. Berücksichtigt man hingegen auch indirekte Formen der Finanzierung, „wurden nach Aussagen der Geber zwischen 2010 und 2019 rund 1,8 Milliarden Dollar (1,5 Milliarden Euro) investiert“. Auch das wäre noch bedeutend weniger als die vier Milliarden Dollar (3,37 Milliarden Euro), die auf der Klimaschutzkonferenz in Paris 2015 für den Zeitraum 2016 bis 2020 versprochen worden waren. Angesichts der immer drängenderen Aufgabe, weltweit den Klimawandel aufzuhalten, haben im Januar 2021 mehrere internationale Staatsführer beschlossen, die Great Green Wall über die nächsten fünf Jahre mit 14,3 Milliarden Euro zu fördern – allen voran Frankreich, zusammen mit Institutionen wie der EU, den UN und der Weltbank. Aber selbst das deckt längst nicht den von der UNCCD bis zur Vollendung des Projekts im Jahr 2030 veranschlagten Finanzierungsbedarf in Höhe von 28 Milliarden Euro.
„Im Senegal und in anderen Ländern kommen wir schneller voran, weil die Regierungen dort eine nur für die GGW zuständige Behörde mit den Kompetenzen eines Umweltministeriums eingerichtet haben“, erklärt Tangem. „Das war auch für Burkina Faso vorgesehen, aber der chaotische Regierungswechsel 2014 und das seit 2018 bestehende Terrorismusproblem haben dort die Prioritäten verändert. Der Staat hat die Verantwortung für die GGW lediglich einem untergeordneten Koordinierungsgremium mit begrenzter Entscheidungsfähigkeit übertragen.“ Das machte es für lokale Partner und Geldgeber schwer, Ansprechpartner zu finden. „Am Ende haben sie das Geld direkt an die Zentralregierungen überwiesen, die es dann für ganz andere Dinge ausgegeben hat“, sagt Georges Bazongo, Geschäftsführer von Tree Aid, einer nichtstaatlichen Organisation, die sich seit 2011 auch für die GGW engagiert.
Einige afrikanische Länder gerieten auch wegen mangelnder Dokumentation der erzielten Fortschritte ins Hintertreffen. „Lange Zeit haben wir unter dem Mangel an Koordination bei der Überwachung und Auswertung der Projekte vor Ort gelitten. So entstand der Eindruck, dass wir es zu nichts bringen“, fährt Bazongo fort. Doch in Wirklichkeit hat Tree Aid allein 2019 und 2020 erfolgreich 2.159.000 heimische Bäume gepflanzt. Die Organisation bietet ein glänzendes Beispiel für den ganzheitlichen Ansatz der Great Green Wall, die Renaturierung mit der Bekämpfung der Armut zu verknüpfen. Dies wird sowohl innerhalb wie außerhalb von Burkina Faso viel zu wenig gewürdigt.
Tinkaglega in der Region Centre-Nord ist eine der 150 Gemeinden, in denen Tree Aid aktiv ist. Ohne die zahllosen Kleinstbergwerke, in denen nach Gold geschürft wird, wo sich einst Wälder erstreckten, wäre der kleine Ort sicherlich von den Entwicklungen der Zeit vergessen worden. Im Herzen des Dorfes, wo es bis vor zwei Jahren kein Wasser gab, findet man nun einen künstlich angelegten, von Grundwasser gespeisten See, der auch 100.000 Bäume und große Rinderherden versorgt. Er ist von großer Bedeutung für die Entwicklung der örtlichen Fischerei und Landwirtschaft. „Die Frauen, unsere Waldhüterinnen, wissen, dass die Bäume Früchte tragen, die in den Familien als Nahrung willkommen sind oder auf dem Markt verkauft werden können. Dazu liefern sie Rohstoffe für Medizin und Kosmetika“, erklärt Bazongo. „Wenn die Menschen aber noch ärmer werden, als sie jetzt schon sind, dann fällen sie die Bäume für ihren Lebensunterhalt. Das schädigt den Boden noch weiter und könnte unsere Gesellschaft zusammenbrechen lassen.“ Was Bazongo hier beschreibt, haben wir zuvor in den Dörfern von Wemdou und Diomga gesehen. „Wir versuchen, diesen Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, die Nahrungs- und Einkommensquellen zu diversifizieren, mehr Bewusstsein zu schaffen und den Dialog zu fördern.“
"Das Gesicht des Sahel wird sich ändern"
Für Länder wie Burkina Faso, in denen 86 Prozent der Bevölkerung zu ihrem Überleben auf natürliche Ressourcen angewiesen sind und über 60 Prozent mit Holz heizen und kochen, mag der Ansatz von Tree Aid zu simpel klingen. Aber es ist der einzig gangbare Weg. „Die ersten zehn Jahre wurden dafür investiert, die nationale Politik in Gebieten zu stärken, wo sie zuvor gar nicht beachtet wurde“, erklärt Elvis Paul Tangem von der Afrikanischen Union, eine ebenso einfallsreiche wie pragmatische Persönlichkeit. „Wenn die Bürokraten, die Berichte schreiben und Seminare veranstalten, erst einmal ihre Budgets und ihre Führungsrolle an die Gemeinden vor Ort überlassen haben, wird sich das Gesicht des Sahel innerhalb von zehn, fünfzehn Jahren komplett ändern.“
Diese Region zahlt heute einen hohen Preis für den rücksichtslosen Lebensstil, den die Industrieländer seit Jahrzehnten praktizieren. Doch auch die afrikanischen Staaten haben ihren Anteil an der Situation. Dennoch, so schnell wie die Wälder einst verschwanden, sie könnten wiederkommen. Alles, was man dazu benötigt, sind Menschen, die gemeinsam zum Wohle aller handeln. Und nicht zuletzt zum Wohle unseres Planeten.
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
1980 habe ich die Aktion Grüner Sahel 2000 gegründet.
Das ganze Geheimnis des Erfolgs ist, dass die vor Ort befindliche Bevölkerung einbezogen werden muss. Denn sie müssen die Motivation zur Mitarbeit haben und dürfen dann auch profitieren. Nehmen wir den Moringabaum, dessen Blätter wie Salat gegessen werden können und die extrem gesund sind. Nur mit Bildung kann die Bevölkerung zur Mitarbeit gewonnen werden. An Schatten sind Menschen und Tiere interessiert, und tatsächlich ging es mir bei meinem Projekt um eine großflâchige Bodenbeschattung mit dem Ziel, den Grund-wasserspiegel so zu erhöhen, dass Agro-foresting möglich wird. Leider gab es damals kein Geld. Und heute sehe ich viele Fehler, so dass ein Teil des Geldes verplempert wird.
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