Schwieriger Balanceakt

Klimaschutz und Entwicklung
Afrika wird noch viele Jahre auf Energie aus Kohle, Öl und Gas angewiesen sein. Davor darf die Entwicklungspolitik nicht die Augen verschließen, meint Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei welt-sichten.
Der nigerianische Vizepräsident Yemi Osinbajo hat sich Ende August in einem Kommentar im Magazin „Foreign Affairs“ darüber beklagt, dass die reichen Industrieländer in ihrer Entwicklungspolitik die Finanzierung von Projekten zur Stromversorgung mit fossilen Energien wie Öl, Kohle und Gas zunehmend zurückfahren. Das behindere den wirtschaftlichen Fortschritt und den Kampf gegen die Armut in Afrika, wo Hunderte Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität haben. 

Das hat für Aufmerksamkeit gesorgt, doch aus dem Mund eines nigerianischen Spitzenpolitikers ist diese Klage wenig glaubwürdig. Zum einen dürfte den Vizepräsidenten das Schicksal der nicht unerheblichen Öl- und Gasvorräte im eigenen Land mindestens ebenso umtreiben wie die Sorge um die Bevölkerung, die auf einen Stromanschluss wartet. Nigeria zählt zu den 20 größten Öl- und Gasproduzenten der Welt und fürchtet, es könnte auf seinem Schatz sitzen bleiben, wenn in nächster Zukunft globale Maßnahmen zum Klimaschutz die Förderung inakzeptabel teuer machen. Deshalb will das Land jetzt möglichst schnell noch möglichst viel von dem Brennstoff aus dem Boden holen und verkaufen. 

Nigeria: Bevölkerung hat wenig von den Ölvorkommen

Zum anderen hat die nigerianische Regierung in den vergangenen Jahren nicht allzu viel getan, um die Bevölkerung mit Elektrizität zu versorgen: Laut Weltbank hat nur etwas mehr als jeder zweite Nigerianer einen Stromanschluss. Gerade die arme Landbevölkerung hat wenig vom Rohstoffreichtum des Landes. Im Gegenteil: Im Ölfördergebiet im Nigerdelta leiden die Menschen seit Jahrzehnten unter der katastrophalen Umweltverschmutzung. Nigeria ist nun wirklich das schlechteste Beispiel dafür, dass mithilfe von Öl und Gas Armut reduziert und Entwicklung vorangebracht werden können.

Andererseits hat Osinbajo natürlich einen Punkt: Die Geberländer sind verlogen. In den vergangenen zwei Jahren haben sie den Druck auf ihre eigenen und auf multilaterale Entwicklungsbanken erhöht, schrittweise aus der finanziellen Förderung fossiler Energiequellen auszusteigen – zuletzt die USA, wo das Finanzministerium im Sommer eine entsprechende Richtlinie für Vorhaben der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken verabschiedet hat. Gleichzeitig fördern, kaufen und verbrennen diese Länder Öl, Kohle und Gas munter weiter und genehmigen sich großzügige Ausstiegsfristen.

Kampf gegen die Erderhitzung im globalen Norden führen

Achim Steiner, der Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, hat das unlängst als „extrem unfair“ bezeichnet – und er hat Recht. In den reichen Ländern kommt der Strom aus der Steckdose und es geht lediglich um den Umbau hin zu erneuerbaren Quellen. In Afrika hingegen geht es immer noch um den Aufbau überhaupt einer verlässlichen Stromversorgung. Die Entwicklungspolitik braucht deshalb einen differenzierten Ansatz, der die Ziele Klimaschutz und Zugang zu Energie gegeneinander abwägt. Investitionen in fossile Energiequellen, vor allem in Gas, müssen für den Übergang zu erneuerbaren Quellen und wo immer das entwicklungspolitisch sinnvoll ist auch in Zukunft möglich sein. 

Zum Klimaschutz würde ein vollständiger Verzicht auf fossile Energien in Afrika ohnehin nicht viel beitragen. Selbst wenn eine Milliarde Afrikanerinnen und Afrikaner ihren Stromverbrauch über Nacht verdreifachen würden und die Energie vollständig aus Gaskraftwerken käme, würde das den globalen CO2-Ausstoß laut der Initiative Energy for Growth Hub nur um 0,6 Prozent erhöhen. Es führt kein Weg daran vorbei: Der Kampf gegen die Erderhitzung muss in den reichen Ländern im globalen Norden und in den sich rasant industrialisierenden Schwellenländern wie China ausgetragen werden, nicht in Afrika. 

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