Der Initiative vorangegangen war ein offener Brief an große Institutionen der Ökumene wie den ÖRK und die katholische Kirche, den mehr als 250 international bekannte Theologinnen und Theologen, Bischöfe und ehemalige führende ÖRK-Mitarbeitende Mitte April 2020 unterzeichnet hatten (siehe „welt-sichten“ 6/2020). Unter der Federführung von Kairos Europa, einem europäischen Netzwerk von ökumenischen Basisgruppen, warfen sie den Institutionen vor, zu wenig gegen die großen Krisen der Menschheit wie den Klimawandel zu tun. Die „imperiale Lebensweise“, die „auf einer fossil basierten Produktionsweise basiere“, müsse überwunden werden. Der Brief war in Hinblick auf die Wahl eines neuen Generalsekretärs des ÖRK geschrieben worden, die ursprünglich im Sommer 2020 hätte stattfinden sollen, aber wegen Corona verschoben wurde.
Die Zeit haben Kairos Europa, Pax Christi und Pro Ökumene genutzt, um die sogenannte „Casa Común“ zu gründen, eine virtuelle Plattform, auf der sich bis zur ÖRK-Vollversammlung im Herbst 2022 in Karlsruhe Vertreterinnen und Vertreter der weltweiten Ökumene ohne große institutionelle Hürden zu den brennenden Themen wie Kapitalismus, Klimawandel oder Migration austauschen können. „Die Verwüstungen durch das kapitalistische Weltsystem haben im wörtlichen Sinne epidemische Züge angenommen“, heißt es im Gründungsaufruf. Die Vermögensverteilung werde „immer obszöner“, die Migration habe weltweit einen dramatischen Umfang angenommen. Hinzu kämen die Klimakrise, entgrenzte Kriege sowie der generelle Vertrauensverlust in die Demokratie. Diejenigen, die mutiger als der ÖRK und andere ökumenische Großinstitutionen an Lösungen arbeiten wollten, müssten sich deshalb zusammenschließen.
Kirche solle zu einer „Ökonomie des Genug“ befähigen
Die Akademie Solidarische Ökonomie definiert in ihrem Votum für die Vollversammlung 2022 bereits, wo künftig die Aufgabe der Kirchen liege. Kirche müsse den Menschen helfen, sich von einer rein materialistischen und egoistischen Lebenshaltung zu befreien, und sie zu einer „Ökonomie des Genug“ befähigen, in der die Menschen mit weniger besser und solidarischer leben könnten. Christen und Kirchen sollten in der Frage der Werte und des Lebensstils zur Avantgarde der Gesellschaft werden. Sie müssten sich mit Bewegungen wie Fridays for Future zusammentun und den Mut haben, die System- und Kapitalismusfrage zu enttabuisieren.
Inwieweit die Casa Común am Ende tatsächlich Auswirkungen auf die Vollversammlung des ÖRK haben wird, muss sich zeigen. Mit der Kritik des offenen Briefes seinerzeit hatte sich der ÖRK nur oberflächlich auseinandergesetzt und geantwortet, man fühle sich nicht wirklich angesprochen. Andererseits wird der ÖRK die Stimmen so vieler namhafter Ökumene-Vertreterinnen und -Vertreter nicht dauerhaft ignorieren können.
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