Die Schweiz war eines der letzten Länder weltweit, die das nationale Frauenstimmrecht eingeführt haben. 1959 war eine erste „Volksabstimmung“ zum Frauenstimmrecht (ohne Teilnahme von Frauen) noch gescheitert, 1971 stimmten dann die (männlichen) Stimmbürger mit 65,7 Prozent endlich dafür. Noch einmal 20 Jahre später wurde Appenzell Innerrhoden der letzte Kanton, in dem Frauen an kantonalen und kommunalen Abstimmungen teilnehmen durften, aber erst, nachdem Frauen ihr Recht vor dem Bundesgericht eingeklagt hatten.
Seitdem hat sich – auch dank den nationalen Frauenstreiks 1991 und 2019 – einiges verbessert. Der öffentliche Druck auf die Politik ist stark gestiegen, sagt Vivian Fankhauser-Feitknecht, Präsidentin des Kompetenzzentrums für Frauenrechte der NGO-Koordination post Beijing Schweiz. Das nach der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing gegründete NGO-Netzwerk, dem 35 Organisationen angehören, sieht im Jubiläumsjahr 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts allerdings keinen Grund zu feiern. Dazu müsste die Gleichstellung der Geschlechter weiter vorangeschritten sein, sagt Fankhauser-Feitknecht.
Gewalt an Frauen bleibt ein Problem
Ob sich die Regierung dafür genug anstrengt, bezweifeln mehrere Frauenrechtsorganisationen. In der im Februar abgeschlossenen Vernehmlassung zum Entwurf der Strategie Nachhaltige Entwicklung, dem Hauptinstrument für die Umsetzung der Agenda 2030, bemängelten zivilgesellschaftliche Organisationen Rückschritte bei der Umsetzung des Nachhaltigkeitsziels 5 zur Geschlechtergleichstellung. Noch 2015 habe sich die Schweiz dafür eingesetzt, dass die Agenda dafür ein eigenständiges Ziel erhält. Doch im Entwurf werde die Bedeutung der Gleichstellung für eine nachhaltige Entwicklung zu wenig berücksichtigt.
Die Regierung hat zwar Ende 2020 in ihrem 6. Staatenbericht zur UN-Frauenrechtskonvention CEDAW eine „grundsätzlich positive Bilanz“ zur Gleichstellung in der Schweiz gezogen, nennt aber zwei bleibende Mängel: die Ungleichheit zwischen berufstätigen Frauen und Männern und die Gewalt an Frauen. Trotz Fortschritten in der beruflichen Chancengleichheit zeigt eine im November veröffentlichte Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dass Frauen durchschnittlich 19 Prozent weniger verdienen als Männer; nach der Geburt eines Kindes verdienen verheiratete Frauen sogar 24 Prozent weniger. Fast die Hälfte des Lohnunterschieds lasse sich nicht mit Alter, Ausbildung oder Dienstjahren erklären. Laut BFS lassen die Ergebnisse die Interpretation zu, dass Männer im Schnitt 8,6 Prozent mehr verdienen als Frauen, „einfach, weil sie Männer sind“. Viele Frauen, auch gut ausgebildete, hören zudem auf zu arbeiten, weil zu wenig Kinderkrippen zur Verfügung stehen.
"Freiwillige Maßnahmen sind ungenügend"
Um die Gleichstellung zu erreichen, seien Quoten, gesetzliche Regulierung und Sanktionen nötig, sagt Fankhauser-Feitknecht: „Freiwillige Maßnahmen sind ungenügend.“ Außerdem müssten unter anderem die kantonalen Gleichstellungsbüros mehr politischen Einfluss bekommen und finanziell besser ausgestattet werden.
Bei geschlechtsspezifischer Gewalt sei auf rechtlicher Ebene zwar viel erreicht worden, sagt Fankhauser-Feitknecht, doch die Umsetzung habe Mängel, wie die Statistik zu Gewalt gegen Frauen zeige: Demnach wird in der Schweiz alle vier Wochen eine Frau von ihrem Partner getötet. 2019 wurden der Polizei 20.000 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet, 6,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Studien zeigen, dass weniger als ein Fünftel der betroffenen Frauen Anzeige erstatten. Die NGO-Koordination post Beijing Schweiz fordert einen nationalen Aktionsplan gegen häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt.
Neuen Kommentar hinzufügen