Die UN-Weltfrauenkonferenz von Peking ist in diesem Jahr 25 Jahre her. Die Konferenz brachte mehrere wegweisende Veränderungen ins Rollen – zum Beispiel gehen heute mehr Mädchen zur Schule, die Kinder- und Müttersterblichkeit ist drastisch gesunken und es sind mehr Frauen in Parlamenten vertreten.
Doch auch ein Vierteljahrhundert nach der Konferenz müssen Teilnehmerinnen von damals wie die frühere Leiterin des World Food Programmes Catherine Bertini konstatieren, dass Frauen noch immer „als Letzte essen“, weil das Wohlergehen ihrer Männer und Söhne als wichtiger gilt. In Krisenzeiten wird das besonders akut. Die Auswirkungen der Pandemie und die Lockdowns in vielen Ländern könnten bisher erreichte Fortschritte zunichtemachen. Zwar sterben weniger Frauen als Männer an einer Corona-Infektion, dafür sind sie viel stärker von den sozialen, ökonomischen und indirekten gesundheitlichen Folgen betroffen.
Seit dem Ausbruch der Pandemie konzentrieren sich die Gesundheitssysteme vor allem im globalen Süden auf Corona, Angebote zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit sind weggefallen und weil sie Einkommen verloren haben, können sich viele Frauen Verhütungsmittel nicht mehr leisten. Sieben Millionen ungewollte Schwangerschaften könnten die Folge sein, schätzt Natalia Kanem, Leiterin des UN-Bevölkerungsfonds. Die Folge davon wiederum könnte sein, dass Tausende Frauen und Mädchen bei unsicheren Abtreibungen sterben.
Für viele Frauen hieß es: Job oder Kinderbetreuung
Auch die ökonomischen Folgen sind groß. Ob es nun darin liegt, dass mehr Frauen in Teilzeit arbeiten, dass es große Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt oder dass Frauen in schlechter bezahlten Berufen arbeiten: Männer verdienen in den meisten Fällen mehr als Frauen. Vor allem Frauen haben daher während des Lockdowns ihre Jobs zugunsten der Kinderbetreuung reduziert, ganz aufgegeben oder sie wegen Einbußen ihrer Arbeitgeber etwa in der Tourismusbranche oder dem Gastgewerbe verloren.
Und wer einmal arbeitslos ist, kommt nicht so schnell wieder zurück: Schon die Ebola-Krise 2014 in Liberia hat gezeigt, dass Frauen deutlich länger als Männer gebraucht haben, um wieder Jobs zu finden. Wer im informellen Sektor beschäftigt ist – in Entwicklungsländern sind das zum Großteil Frauen –, hat zudem keinen Zugang zu Sozialleistungen und keine Möglichkeit Verdienstausfälle zu kompensieren. Bittere Ironie: Die Corona-Krise zeigt, dass vor allem Frauen in „systemrelevanten“ Berufen in der Gesundheitsbranche oder der Nahrungsmittelproduktion arbeiten – und trotzdem sind sie die letzten, die etwas zu essen bekommen, wenn überhaupt.
Zunahme von Kinderehen und Schwangerschaften
Zu den gesundheitlichen und wirtschaftlichen kommen soziale Folgen: Die monatelangen Schulschließungen könnten in vielen ärmeren Ländern dazu führen, dass vor allem ältere Mädchen nicht mehr zurück in die Schule gehen, sondern früh verheiratet werden. Der UN-Bevölkerungsfonds rechnet mit bis zu 5,6 Millionen Kinderehen weltweit als Folge der Pandemie. Dabei ist gerade Bildung der Schlüssel, um Mädchen und Frauen zu stärken und den Teufelskreis der Unterdrückung und Ungleichheit zu durchbrechen. Außerdem sind Schule oder der Arbeitsplatz oft sicherer als das eigene Zuhause: Eine Umfrage des kenianischen Gesundheitsministeriums hat ergeben, dass während des Lockdowns in dem ostafrikanischen Land 4000 Mädchen schwanger wurden, die sonst zur Schule gegangen wären. Das zeigt auch die häusliche Gewalt gegen Frauen, die überall – von Frankreich bis Kolumbien – deutlich angestiegen ist.
Die Liste der Folgen der Corona-Krise für Frauen ist lang. Die Probleme und Ungleichheiten sind nicht neu, aber sie werden jetzt noch verschärft. Auch Lösungsansätze gibt es schon lang, aber sie müssen umgesetzt werden – hier hat es bisher an politischem Willen gefehlt. Zudem sind viele Ungleichheiten strukturell bedingt und durch traditionelle Rollenverständnisse legitimiert. „Build back better“ – besser wiederaufbauen – heißt nun die Forderung nach der Corona-Krise – nicht nur für Frauen, sondern auch in der Wirtschaft.
Hoffnungsvolle Ansätze gibt es überall auf der Welt: Sozialhilfe und andere Geldtransfers direkt in Frauenhände, Kredite für von Frauen geführte Kleinbetriebe, bessere Angebote für Kinderbetreuung am Arbeitsplatz und mehr Flexibilität vom Arbeitgeber, gerechtere Aufteilung von unbezahlter Arbeit, mehr Investitionen in bessere Strom- und Wasserversorgung, so dass Frauen nicht jeden Tag Stunden vergeuden, um Wasser zu holen. Und vor allem: Frauen mitbestimmen lassen und auf sie hören.
Dass sich das lohnt, haben wir gesehen: Neuseeland mit Premierministerin Jacinda Ardern an der Spitze oder Deutschland mit einer Wissenschaftlerin als Kanzlerin sind deutlich besser durch die Krise gekommen als die Länder mit großmäuligen Männern an der Spitze, die das Virus als „harmlos“ abgetan haben.
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