Die Corona-Pandemie wirkt sich nachteilig auf die Spendeneinnahmen von Hilfsorganisationen aus. So musste das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit Hauptsitz in Genf das Budget 2021 gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent oder rund 94 Millionen US-Dollar kürzen. Jason Straziuso, Medienchef des IKRK, bestätigt auf Anfrage einen Bericht der Onlinezeitung „The New Humanitarian“ von Ende November: „Wir haben nicht genügend Spendengelder erhalten, um unsere geplanten Aktivitäten durchzuführen“, erklärt er und weist darauf hin, dass die Spenden für humanitäre Hilfe im Jahr 2019 weltweit um fünf Prozent gesunken seien und der ökonomische Abschwung als Folge von Covid-19 die Einnahmen ebenfalls schrumpfen lasse.
Schließen muss das IKRK beispielsweise eine Klinik für Kriegsverletzte in Tripoli im Libanon. Dort wurden seit 2014 rund 2000 Patienten aus dem Irak, dem Libanon, Syrien und dem Jemen behandelt und psychologisch betreut. Die hohen Ausgaben für einzelne Patienten ließen sich angesichts der großen Not breiter Bevölkerungskreise nicht länger rechtfertigen, lautet das Argument des IKRK gemäß „The New Humanitarian“. Laut Sprecher Straziuso soll die Klinik Ende März geschlossen werden.
Sparmaßnahmen betreffen rund 30 Länder
Im Jahr 2019 verfügte das IKRK weltweit über rund 19.000 Mitarbeitende und ein Budget von 1,8 Milliarden Euro. Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen gehen weit über das Dichtmachen eines Spitals hinaus: So muss die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung laut dem Medienbericht in rund 30 relativ friedlichen Ländern wie Algerien, Griechenland, dem Iran und Simbabwe Büros schließen oder die Aktivitäten zurückfahren. Am Hauptsitz in Genf hat die Organisation letzten Herbst den Abbau von 95 Stellen angekündigt, was fast zehn Prozent des dortigen Personals entspricht. „Die neue Realität verlangt, dass wir zielgerichteter werden und Prioritäten setzen“, zitiert „The New Humanitarian“ aus einem internen Dokument der Organisation. Künftig will man die Hilfe auf Menschen in Konfliktsituationen konzentrieren; in Ländern wie Burkina Faso, Mosambik, Venezuela und dem Jemen soll die Präsenz verstärkt werden.
Fritz Brugger, Politikwissenschaftler an der ETH Zürich, ist nicht überrascht über diesen Gang der Dinge: „Die humanitäre Hilfe hat ein strukturelles Problem: Es gibt immer mehr lang anhaltende Konflikte, und ein Ausstieg ist oft schwierig.“ Zudem seien lange Konflikte wie in Afghanistan oder im Südsudan kaum noch in den Medien, was das Sammeln von Spenden zusätzlich erschwere. Auch UN-Organisationen und viele Hilfswerke müssten sparen. Brugger weist aber darauf hin, dass die Ausgaben des IKRK zuvor stark gewachsen seien. In den vergangenen 20 Jahren hätten sie sich vervierfacht und noch vor der Corona-Pandemie einen Höchststand erreicht. Die größten Spender waren 2020 die USA, Deutschland und Großbritannien. Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen folgte auf Platz vier und wendete rund 154 Millionen Franken auf.
Mehr Menschen brauchen Hilfe
Im laufenden Jahr dürfte der Bedarf an Hilfe laut dem IKRK noch größer werden: Letztes Jahr war weltweit ein Mensch von 45 auf humanitäre Hilfe angewiesen, dieses Jahr wird es einer von 33 sein. In einem Webinar für Nachwuchsführungskräfte sagte IKRK-Präsident Peter Maurer Ende Februar, dass neben den lang anhaltenden Konflikten auch der Klimawandel zu größerer Not führe. Als Beispiel nannte er die Subsahara-Region, von wo er gerade zurückgekehrt war.
„Grundsätzlich müssen wir humanitäre Hilfe dort leisten, wo es objektiv die größte Not gibt“, hielt der Schweizer fest, der die Organisation seit 2012 leitet. Er erwartet künftig mehr private Spendengelder von sozialen Investoren über sogenannte humanitäre Anleihen (humanitarian bonds). Erste Erfahrungen hat das IKRK damit beim Bau und Betrieb von drei Rehabilitationszentren in Nigeria, Mali und dem Kongo gemacht. Hoffnung gibt Maurer zudem die Tatsache, dass sich Gesellschaften in Konfliktgebieten durch eine große Resilienz auszeichneten: „Die warten nicht auf Hilfe, sondern helfen sich selbst. Wir können sie dabei unterstützen.“
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