Der Unternehmer und sein Müll

Knut Henkel
Seit mehr als 25 Jahren ist George Gatlin im Recyclinggeschäft.
Recycling in Honduras
Mit seiner Recyclingfabrik im Nordwesten von Honduras verschafft George Gatlin vielen am Ort ein Einkommen, das deutlich über dem landesüblichen Mindestlohn liegt.

Über mehr als hundert Meter windet sich die lange Schlange von Pick-ups zum Eingang des Invema-Werksgeländes in San Pedro Sula. Unmengen an Dosen, Plastikflaschen, Altpapier und Altmetall lasten in Säcken verstaut, kunstvoll aufgeschichtet und mit Seilen gesichert auf alten klapprigen Pritschenwagen. Die rollen langsam zur Schranke vor dem ältestem Recyclingunternehmen in Honduras. Für George Gatlin ist das ein vertrautes Bild. Von seinem Büro im ersten Stock des Invema-Verwaltungsgebäudes hat er einen prächtigen Blick auf die Karawane der Recicladores, der Wertstoffsammler. 

„Wir haben etwa 14.000 Lieferanten in unserer Datei und mindestens siebzig Prozent davon liefern regelmäßig“, erklärt Gatlin, der als Sohn eines US-Amerikaners sowohl den honduranischen als auch den US-amerikanischen Pass hat. Stolz schwingt in seiner Stimme mit, denn Invema ist das Baby des kommunikativen Unternehmers aus San Pedro Sula. Zu etlichen Lieferanten hat er den Kontakt noch selbst aufgebaut. Im Frühjahr 1994 ist er zum ersten Mal in die Dörfer im Hinterland von San Pedro Sula gefahren, um Menschen davon zu überzeugen, Aludosen gegen Festpreis für ihn zu sammeln. „Damals wurde ich für verrückt erklärt. Erst als ich das Geld auf den Tisch legte, haben sie begonnen, mich ernst zu nehmen“, erinnert sich Gatlin schmunzelnd.

Sein Start in die Selbstständigkeit war nicht ganz freiwillig. „Mein Vater hatte Knall auf Fall seinen Holzhandel verkauft, sodass ich mir eine eigene Geschäftsidee einfallen lassen musste“, gibt Gatlin lachend preis. Ein Tipp eines Kommilitonen von der weiterführenden Schule brachte ihn zum Recycling von Aludosen, und im Juni 1994 ging der erste Container mit gepressten Getränkedosen auf die Reise in die USA. 

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.
Heute ist Invema von einem kleinen Start-up zu einem mittelständischen Unternehmen mit beachtlichem Innovationspotenzial gewachsen. Dafür trägt George Gatlin, ein kräftiger, mittelgroßer 47-Jähriger mit spiegelglatter Glatze und optimistisch funkelnden Augen, die Verantwortung. Heute macht dem umtriebigen Unternehmer niemand mehr etwas vor, wenn es um neue Technologien, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit rund um den Müll geht. 500 Container verlassen pro Monat das Gelände in San Pedro Sula, 445 Menschen arbeiten für das in der gesamten Region tätige Unternehmen.

Die Aludose als Sprungbrett

„Für uns war die Aludose das Sprungbrett in die Recycling-Branche. Heute nehmen wir eigentlich alles an, von der Autobatterie über die komplette Palette der Industriemetalle bis zu Papier und Plastik“, so Gatlin. Doch während Alu, Stahl und andere Metalle per Container über den nahe gelegenen Hafen von Puerto Cortés in die USA oder Asien gehen, bleibt Plastik seit vier, fünf Jahren am Ort.

George Gatlins Firma Invema verarbeitet vor allem PET-Flaschen und macht daraus Folien und Verpackungen – sowie Gesichtsschilde als Coronaschutz.

„Kunststoffe, vor allem PET-Flaschen bilden heute das Rückgrat von Invema“, sagt Gatlin und weist den Weg aus dem Büro über den Hof zu den Produktionshallen. Dort werden Plastikflaschen zu Abertausenden gesammelt, sortiert und gewaschen, bevor sie zu Plastikflocken geschreddert werden. „Das ist unser derzeit wichtigster Rohstoff“, sagt George Gatlin. Er lässt die Arme bis zu den Ellenbogen in den hellgrauen, transparenten Plastikpartikeln verschwinden und die anschließend durch die Finger zurück in den Kunststoffsack rinnen. „Aus den Flocken stellen wir Plastikfolien sowie Kunststoffschalen für Lebensmittel her – dort drüben“, sagt er und weist den Weg in die anschließende Halle. 

Dort dominiert Hightech das Ambiente. Kunststoff­flocken werden von Maschinen sortiert, Reste von Etiketten und Deckeln abgetrennt, bevor aus dem Rohstoff neue Folien gewonnen wird, die auf dicke Rollen gespult werden. Die werden vom Verkaufsteam um Angela Fajardo an lokale Verpackungsunternehmen verkauft. Dabei hilft die Tatsache, dass die Produkte als lebensmittelecht zertifiziert und von einem der größten Abnehmer, der Coca-Cola Company, gepriesen werden. Darauf hat Gatlin lange hingearbeitet und in modernste Technik aus Österreich und Deutschland investiert, die obendrein von Solarpanels auf den Hallendächern mit Energie versorgt werden. „Rund dreißig Prozent unseres Energiebedarfs produzieren wir selbst und auch das Regenwasser fangen wir in unterirdischen Tanks auf, filtern es und verwenden es für die Reinigung der PET-Flaschen“, schildert Gatlin das nachhaltige Konzept. 

Dieses ausgeklügelte System will er weiter ausbauen. Er überlegt, ein Windrad auf dem Gelände zu installieren. Auch über eine kleine Stahl- oder Aluminiumschmelze denkt Gatlin nach. 

Ein knallharter Verhandler

Dabei ist der Recycling-Pionier ein knallharter Verhandler. In den Kreditvertrag mit der Interamerikanischen Entwicklungsbank für die Finanzierung der rund 5000 Solarpaneele, die auf den Dächern der Fabrikhallen im Sonnenlicht funkeln, hat er sich reinschreiben lassen, dass die Paneele mindestens 20 Prozent seiner Energieausgaben von damals 90.000 US-Dollar einsparen würden. So hat er die Bank an den Ausfallrisiken für den Fall beteiligt, dass die Sonne ausbleibt, was ungewöhnlich ist. 

Gleiches gilt für den Umgang mit den Lieferanten. „Hier erhalten alle den gleichen Ankaufpreis. Es gibt keine Unterschiede zwischen großen und kleinen Lieferanten. Das ist fair“, urteilt Marco Julio Rompero, ein 55-jähriger Wertstoffsammler aus dem nahe gelegenen La Lima. Seit 14 Jahren sammelt er Flaschen, Dosen und Ähnliches und beliefert ausschließlich Invema, weil er dort mit den Preisen und dem Umgang zufrieden ist. Für Gatlin Teil seiner Unternehmensphilosophie: „Recycling ist in Honduras eine wichtige Jobalternative für Tausende von Menschen. Wir gehen davon aus, dass hinter jedem unserer Lieferanten etwa vierzig weitere stehen, die ihn oder sie beliefern. Wir können wachsen, weil sie uns vertrauen und beliefern. Das weiß ich zu schätzen“, erklärt Gatlin. 

Er plädiert dafür, Jobs zu schaffen, um die Auswanderung zu stoppen – und geht mit gutem Beispiel voran, wie Angestellte bestätigen. Angela Fajardo, die für den An- und Verkauf zuständig ist, weist darauf hin, dass bei Invema rund ein Viertel über dem Mindestlohn gezahlt werde. „Mein Chef setzt auf motiviertes Personal und lässt sich das auch etwas kosten“, sagt sie anerkennend. In Honduras ist das alles andere als gewöhnlich und hat Gatlin schon die eine oder andere Schlagzeile in der regionalen Presse eingebracht. 

Zum Beispiel, als Invema im März und April 2020 etliche Tausend Kunststoffvisiere an Krankenhäuser und soziale Einrichtungen spendete. „Überall bestand damals Mangel an Masken. So haben wir begonnen, Face Shields zu produzieren, sie zum Teil gespendet, zum Teil verkauft“, erinnert sich der Invema-Chef. Die Idee rettete sein Unternehmen. Denn wegen dieser Produktion durfte es während des Lockdowns für alle nicht existenziellen Branchen von Mitte März bis Ende Mai mit einer Sondergenehmigung weiter produzieren. 

Gatlin sondiert mit seinem Team ständig den Markt. Neue Projekte wie das Windrad oder das eigene Stahlwerk sind Zukunftsvisionen des Chefs, dessen 24-jähriger Sohn Andrew mittlerweile zum Innovationsteam gehört. Ende November ist der Vater aus Guatemala zurückgekommen. Da hat er eine Kooperation mit einer Umweltorganisation sondiert, um Plastikpartikel aus mehreren Flüssen zu fischen und sie anschließend in San Pedro Sula zu verarbeiten. Ob aus dem Plan etwas wird, soll sich im Frühjahr herausstellen, so Gatlin. Dann würde Invema wieder einmal positive Schlagzeilen machen. 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2021: Abholzen, abbrennen, absperren
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