„Ist zum Beispiel die Duschsituation komisch?“

Kinderschutz im Sport
Die Kindernothilfe schult deutsche Sportvereine im Kinderschutz

Niklas Alof ist Programme Manager Sports in der Abteilung Training & Consulting der Kindernothilfe in Duisburg.

Wie kommt es, dass die Kindernothilfe Sportvereinen in Deutschland Kinderschutzschulung anbietet?
Als im Jahr 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, haben uns einige Initiativen und Organisationen der Flüchtlingshilfe gefragt, ob wir sie mit unserer internationalen Perspektive und Erfahrung in Sachen Kinderschutz beraten könnten. Das war gewissermaßen der Startschuss. Wir haben in mehr als 30 Ländern weltweit mehr als 700 Organisationen im Kinderschutz geschult und gemerkt, dass es auch in Deutschland großen Bedarf danach gibt. Im Jahr 2018 hat uns dann der Fußballverein VfL Bochum angesprochen, ob wir helfen könnten, ein Kinderschutzsystem aufzubauen. Heute schulen wir Bundesligaclubs wie den VfL Wolfsburg, aber auch Vereine im Breitensport.

Um welche Formen von Gewalt an Kindern und Jugendlichen geht es?
Psychische Gewalt kommt häufig vor, aber auch körperliche. Bei sexualisierter Gewalt muss man unterscheiden zwischen Missbrauch wie Geschlechtsverkehr und solchem Fehlverhalten, dass etwa ein Trainer Kinder unter der Dusche filmt und das Video ins Internet stellt. Der Sport ist ja ein ganz spezieller Kosmos, in dem es große Nähe zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen und Trainerinnen und Trainern auf der anderen Seite gibt. Das birgt Risiken, und für viele Formen des Missbrauchs ist das Ausnutzen eines Machtverhältnisses die Grundlage.

Ist das Risiko in manchen Sportarten größer als in anderen?
Nein, alle wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema sagen, Missbrauch ist unabhängig von der Sportart und auch von der gesellschaftlichen Schicht, aus der Täterinnen und Täter und Betroffene kommen. Es ist auch schwierig, bestimmte Tätergruppen zu benennen. In der Mehrzahl sind es Männer, es gibt aber auch Täterinnen. Feststellen lassen sich bestimmte Täterstrategien, die aber von Personen mit unterschiedlichen Rollen verfolgt werden können. Zuletzt habe ich Kenntnis von einem Fall bekommen, in dem ein Fahrer eines Vereins gewalttätig gegen ein Kind geworden ist.

Gibt es Zahlen dazu, wie groß das Problem in Deutschland ist?
Es gibt die sehr gute Studie „Safe Sport“ von Bettina Rulofs von der Bergischen Universität Wuppertal aus dem Jahr 2016, für die etwa 1800 Kaderathleten aus fast 130 Sportarten befragt wurden. Demnach hat etwa ein Drittel der Befragten schon einmal sexualisierte Gewalt im Sport erlebt, einer von neun Befragten hat schwere oder lang andauernde sexualisierte Gewalt erfahren. Die meisten der Betroffenen waren jünger als 18 Jahre, als sie das erste Mal Gewalt im Sport erlebt haben. Laut der Studie hält nur die Hälfte der Vereine die Prävention von sexualisierter Gewalt für wichtig, und nur ein Drittel engagiert sich aktiv dagegen. 

Bei der Prävention gibt es im deutschen Vereinssport noch viel Luft nach oben?
Das kann man so sagen, ohne dass man das große Engagement in vielen Vereinen gering schätzt. Die Aufgabe besteht darin, das Thema aus der Tabuzone zu holen und eventuell sogar positiv zu besetzen: Es geht ja nicht darum, einen Generalverdacht aufzubauen und etwa zu verbieten, dass ein Trainer Hilfestellung beim Turnen gibt. Es geht darum, Grauzonen auszuleuchten und klare Regeln für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche zu formulieren. Ziel ist ein gewaltfreier und transparenter Umgang miteinander. Darin liegt ja auch eine große Chance für Sportvereine: Es geht um viel mehr, als bloß potenzielle Täter zu identifizieren. 

Was macht Ihre Schulungen zum Kinderschutz im Sport besonders?
Auch die Landessportbünde, der Deutsche Olympische Sportbund und andere Fachverbände bemühen sich zunehmend, das Thema zu bearbeiten. Es kann aber hilfreich sein, wenn Partner von außen, die nicht Teil des Systems Sport sind, ihre Expertise einbringen. Unser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass wir großen Wert auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen legen. Wir können uns viele Gedanken dazu machen, wo die Risiken liegen und wie man sie verkleinert. Aber wenn wir die Meinung der Kinder und Jugendlichen dazu nicht einholen, dann ist das viel weniger wirksam. Meines Wissens macht das keine andere Organisation in der Form wie wir.

Wie schaffen Sie es, dass Kinder und Jugendliche sich dafür öffnen?
Man muss sehr sensibel und altersgerecht vorgehen. Jugendliche ab 16 Jahren binden wir von Anfang an mit ein; die Schulungsinhalte sind entsprechend aufgebaut. Bei der Risikoanalyse schauen wir nach bestimmten Faktoren, etwa in der Infrastruktur des Vereins: Sind Umkleidekabinen von außen einsehbar? Müssen sich Mädchen und Jungen gleichzeitig im selben Raum umziehen? Ist die Duschsituation komisch? Solche Dinge lassen wir von den Kindern und Jugendlichen bewerten, über Fragekataloge oder im persönlichen Gespräch, was deutlich besser geht.

Inwieweit hilft Ihnen die Expertise aus der Arbeit im globalen Süden?
Letztlich basiert unsere Arbeit hier in Deutschland auf Schulungsinhalten, die unsere Trainerinnen und Trainer in Afrika, Asien und Lateinamerika mit Partnerorganisationen der Kindernothilfe und anderen NGOs über viele Jahre erarbeitet haben. Die dort entwickelten Module haben wir als Grundlage genommen und dem deutschen Kontext angepasst. So fließt unsere Erfahrung aus dem globalen Süden in die Arbeit mit Sportvereinen in Deutschland ein.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
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