Erst abrüsten, dann abschaffen

Atomwaffen
Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag stärkt den Willen zur nuklearen Abrüstung. Deutschland sollte seine Abwehrhaltung dagegen aufgeben, meint Melanie Kräuter.

Für die einen ist er ein historischer Meilenstein und ein dringend nötiger Weckruf, für die anderen ein Sicherheitsrisiko: Am 22. Januar ist der UN-Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Kraft getreten. Mehr als 120 Staaten haben ihn bisher unterzeichnet, hauptsächlich aus dem globalen Süden und sämtlich ohne Atomwaffen. Der Vertrag verbietet es, Atomwaffen zu entwickeln, zu produzieren, zu besitzen, zu testen, zu lagern, einzusetzen und damit zu drohen. Seine größte Errungenschaft ist aus Sicht der Befürworter, dass nach Chemie- und Biowaffen damit auch Atomwaffen völkerrechtlich geächtet werden.  

Aber weder die Atomwaffenstaaten noch Staaten, die den „Schutz durch nukleare Abschreckung“ mittelbar genießen, etwa über ihre Nato-Mitgliedschaft, sind dem Abkommen bisher beigetreten. Und es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass diese 39 Staaten das noch tun werden. Südkorea und Japan etwa betrachten den nuklearen Schutzschirm der USA als ihre Lebensversicherung angesichts der atomaren Bedrohung durch Nordkorea.  

"Teil einer nuklearen Abrüstungsarchitektur" 

Auch Deutschland, wo noch rund 20 Atomwaffen der USA lagern, die im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ im Angriffsfall von deutschen Soldaten abgeworfen werden müssten, spricht sich vehement gegen einen Beitritt aus. Eine Begründung lautet, der neue Vertrag schwäche den Atomwaffensperrvertrag von 1968, in dem sich alle inzwischen 191 Vertragsparteien dem Ziel der nuklearen Abrüstung verschrieben haben. Dieses Argument jedoch hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten entkräftet: Der neue Vertrag würde den alten ergänzen und sei Teil „einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur“.  

Tatsächlich haben die USA und Russland, die nach wie vor neun von zehn Atomwaffen weltweit besitzen, nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich abgerüstet: Die Zahl der Atomsprengköpfe ist von rund 70.000 (im Jahr 1986) auf heute 13.400 gesunken. Doch seitdem hat sich in Sachen Abrüstung nicht mehr viel getan. Im Gegenteil. Sowohl die USA als auch Russland haben ihre Arsenale modernisiert. Sie entwickeln kleine „smarte“ Atomsprengköpfe, die die Hemmschwelle senken könnten, sie einzusetzen. 

Große Gefahr von Fehleinschätzungen

Auch kleine Staaten wie der Iran und Nordkorea versuchen Atomwaffen zu entwickeln: Sie fühlen sich von Großmächten bedroht und glauben, sich nur damit vor Angriffen schützen zu können. Dadurch wiederum fühlen sich deren Nachbarstaaten bedroht. Auch die geopolitische Ordnung hat sich verändert: Es stehen sich nicht mehr zwei Großmächte gegenüber wie im Kalten Krieg. China wird zur Weltmacht und zahlreiche regionale Kriege können eskalieren, so im Nahen Osten oder in Kaschmir zwischen Indien und Pakistan. Viele Experten, wie etwa Izumi Nakamitsu, die Hohe Repräsentantin der UN für Abrüstungsfragen, schätzen daher das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen heute höher ein als „seit den dunkelsten Tagen des Kalten Krieges“. Denn je mehr Atommächte es gibt, desto größer ist auch die Gefahr von Fehleinschätzungen oder eines „versehentlichen“ Einsatzes. Heute noch an „Sicherheit durch Atomwaffen“ festzuhalten, ist ein gefährlicher Irrglaube. 

Es ist höchste Zeit, weiter abzurüsten – und zwar auf allen Seiten. Dafür müssen alle Mitgliedsstaaten auf die Verpflichtungen im Atomwaffensperrvertrag pochen – etwa bei der nächsten Überprüfungskonferenz im August. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist die Verlängerung des New-Start-Vertrages zwischen Russland und den USA unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden. 

Auch kleine Staaten können Druck ausüben

Der Atomwaffenverbotsvertrag geht aber noch darüber hinaus und vereinfacht die internationale Rechtslage. Er zeigt, dass die Staaten ohne Kernwaffen und die große Mehrheit der Weltbevölkerung sich eine atomwaffenfreie Welt wünschen. Der Vertrag hilft ihnen, auf die mächtigeren Staaten Druck auszuüben. Zum Beispiel können die Vertragsparteien den Transport von Atomwaffen durch ihren Luftraum oder ihre Küstengewässer untersagen. Auch Finanzinstitutionen in den Vertragsstaaten dürfen nicht mehr in Atomwaffen investieren, einige wie etwa die Deutsche Bank haben bereits ihre Investmentstrategien geändert. 

Deutschlands Nato-Mitgliedschaft ist kein Hinderungsgrund für einen Beitritt zum AVV. Das haben zwei ehemalige Nato-Generalsekretäre sowie diverse ehemalige, auch deutsche Außen- und Verteidigungsminister in einem offenen Brief klar gemacht. Allerdings müsste Deutschland im Fall eines Beitritts einen Plan zum Ausstieg aus der „nuklearen Teilhabe“ verfolgen. Zunächst sollte Berlin 2022 als Beobachter an der ersten AVV-Konferenz in Wien teilnehmen. Das würde signalisieren, dass die Bundesregierung ihren Worten von der „atomwaffenfreien Welt“ auch Taten folgen lässt. Mehr als 90 Prozent der deutschen Bevölkerung, die laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage den Beitritt zum Atomverbotsvertrag fordern, wüsste sie dabei hinter sich. 
 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
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