Inlandsarbeit auf dem Prüfstand

Epd-Bild, Annette Zoepf
Weniger Geld im Klingelbeutel: Das hat Folgen für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit.
Kürzungen
In der Corona-Pandemie wird das Geld knapp, gleichzeitig wächst die Armut im globalen Süden. Was bedeutet das für die Förderung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit in Deutschland?

Weil im vergangenen Jahr die Einnahmen zurückgegangen sind, rechnet das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt damit, dass „wir weniger Mittel für Förderungen und Projekte im Inland einsetzen können“, erklärte Pressesprecherin Renate Vacker auf Anfrage. In welcher Höhe die Kürzungen ausfallen und was das für Initiativen und Vereine bedeutet, die Fördermittel bei Brot für die Welt beantragen, konnte Vacker nicht sagen.

Brot für die Welt verzeichnet weniger Kirchensteuermittel, und die Weihnachtskollekte hat wegen vielerorts ausgefallener Gottesdienste wohl weniger eingebracht als in den Jahren zuvor; genaue Zahlen liegen noch nicht vor. Mit rund 25 Millionen Euro (2019) ist die Weihnachtskollekte ein wichtiges finanzielles Standbein für Brot für die Welt.

Die Pandemie führe zu einem Rückgang der Einnahmen und zugleich zu noch größerer Not im globalen Süden, begründet Vacker die absehbaren Kürzungen in der Inlandsarbeit. Die Förderung von Projekten im Inland werde aber „ein starkes Instrument unserer Arbeit bleiben“, betont sie. Im Jahr 2019 hat Brot für die Welt insgesamt 9,9 Millionen Euro für Kampagnen, Bildungs- und Aufklärungsarbeit in Deutschland aufgewendet.

Auf die Gelder existenziell angewiesen

Der im hessischen Bensheim ansässige Verein Masifunde hat zum Beispiel für 2021 fast zwei Drittel (60 Prozent) weniger erhalten als beantragt; laut Brot für die Welt hat das allerdings nicht mit allgemeinen Sparmaßnahmen zu tun, sondern mit der normalen Prüfung eines Förderantrags. Masifunde engagiert sich für Bildungschancen für benachteiligte Heranwachsende in Südafrika. Zudem hat Brot für die Welt die Förderung der Produktion entwicklungspolitischer Filme bis Ende 2021 ausgesetzt. Diese Förderung wird über das Evangelische Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) unterstützt. Die Herausgabe und der Verleih der Filme laufen weiter. Die entwicklungsbezogene Filmarbeit ist in dieser Form einzigartig in Deutschland.

Auch das Eine Welt-Landesnetzwerk Nordrhein-Westfalen erhält Mittel von Brot für die Welt; für 2021 sind sie bereits bewilligt worden. „Brot für die Welt ist für unsere Arbeit enorm wichtig“, sagt Udo Schlüter, der im Netzwerk die Programme für Eine-Welt-Promotorinnen koordiniert. Ohne die Hilfe der evangelischen Kirche wäre der Aufbau von Strukturen zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen. „Wir hoffen, dass das so bleibt“, sagt Schlüter.

Brot für die Welt sei die einzige Förderorganisation, die nicht nur Projekte, sondern auch die Infrastruktur von Initiativen finanziere. Gerade kleine Gruppen, die nicht als Vereine verfasst sind, und professionell arbeitende nichtstaatliche Organisationen seien auf diese Geldmittel existenziell angewiesen. Ein Kahlschlag ist laut Schlüter für dieses Jahr weder bei kirchlichen noch bei staatlichen Geldgebern abzusehen, die Auswirkungen werden wohl zum Teil erst im Jahr 2022 spürbar.

Diese Einschätzung teilt auch Andreas Rosen von der Berliner Stiftung Nord-Süd-Brücken, die entwicklungspolitische Bildungsprojekte in den fünf ostdeutschen Bundesländern finanziert und die Mittel der Bundeshauptstadt im Auftrag des Berliner Senats verwaltet. Die Finanzierung von Projekten durch das Bundesentwicklungsministerium und die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen für dieses Jahr stehe wie geplant.

Humanitäre Corona-Soforthilfe

Anders als Brot für die Welt plant das katholische Hilfswerk Misereor keine Einsparungen im Bildungsbereich, versichert die Geschäftsführung gegenüber „welt-sichten“. Allerdings ist der Umfang der Misereor-Mittel für Kampagnen, Bildungs- und Informationsveranstaltungen im Inland ohnehin deutlich niedriger als bei Brot für die Welt und lag im Jahr 2019 bei 5,8 Millionen Euro.

Im vergangenen Jahr haben einige Bundesländer zusätzliche Mittel für Corona-Soforthilfe-Projekte der Eine-Welt-Partnerschaftsarbeit zur Verfügung gestellt. Bremen hat 120.000 Euro freigegeben, von denen 70.000 Euro über entwicklungspolitische Einrichtungen an Partner im Süden vergeben wurden. Nordrhein-Westfalen hat die humanitäre Corona-Soforthilfe für das Partnerland Ghana verdreifacht und insgesamt 300.000 Euro bereitgestellt. Für Berliner Eine-Welt-Organisationen hatte der Senat insgesamt 500.000 Euro zusätzlich bereitgestellt.

„Die Folgen der Pandemie werden sich erst 2022 massiv in Form von Kürzungen niederschlagen“, vermutet Martin Weber vom Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein. Dann könnten mühsam erkämpfte Strukturen wieder auf dem Prüfstand stehen. „Die entwicklungspolitische Bildungsarbeit schafft die Legitimation in der Gesellschaft für die Entwicklungszusammenarbeit im globalen Süden“, sagt Weber; deshalb sei sie so wichtig – vor allem in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Konsens, dass Entwicklungszusammenarbeit notwendig sei, durch Rechtspopulisten zunehmend hinterfragt wird.

Besonders in schweren Zeiten müsse der Solidaritätsgedanke erhalten bleiben, sagt auch Udo Schlüter. Angesichts einer wachsenden Polarisierung und demokratiefeindlichen wie nationalistischen Tendenzen sei das Engagement für die Eine Welt aus der Mitte der Gesellschaft essenziell und dürfe keinen kurzfristigen Sparvorgaben geopfert werden.

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