Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Juli „globale Antworten“ auf Corona gefordert. Nur so könne man jetzt und zukünftig Pandemien eindämmen. Auch die Staats- und Regierungschefs anderer Länder fordern Solidarität, Kooperation und Hilfe, um die Corona-Krise zu bewältigen. Doch beim Thema Unterstützung für arme Länder und Bevölkerungsgruppen bleibt von solchen Bekundungen nicht viel übrig.
Das spiegelt sich in der Ausstattung verschiedener multilateraler Hilfsfonds und Initiativen wider. Finanziell vergleichsweise gut bestückt ist vor allem die Plattform ACT-A, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der EU-Kommission und der Gates-Stiftung ins Leben gerufen worden ist. Der auf zwei Jahre angelegte Fonds konnte bisher mehr als 18 Milliarden US-Dollar mobilisieren. Davon sollen vor allem Impfstoffdosen, Medikamente und Corona-Tests für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanziert werden.
Allerdings fließt vergleichsweise wenig Geld aus dem Fonds in den Aufbau nachhaltiger Gesundheitssysteme dieser Länder. Das aber wäre nötig, um dort die Gesundheitsversorgung insgesamt zu stärken – auch für die Zeit nach Corona. Zudem unterlaufen viele Geberländer die Ziele des Fonds. So haben viele Staaten, unter anderem Deutschland und Frankreich, Exportverbote für medizinisches Equipment erlassen, um Mangel daran in den eigenen Gesundheitssystemen vorzubeugen.
Vor allem mit Blick auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie bleibt für arme Länder von den Solidaritätsbekundungen nicht viel übrig. Der von der UN-Agentur für humanitäre Hilfe (OCHA) bereits Ende März aufgelegte Corona-Hilfsfonds ist dramatisch unterfinanziert. Insgesamt 10,3 Milliarden US-Dollar fordert die OCHA, um Menschen zu unterstützen, die durch die Pandemie in wirtschaftliche Not geraten sind. Mit dem Geld soll 250 Millionen Menschen in 63 Ländern geholfen werden, etwa in Bangladesch, Afghanistan, dem Sudan und vielen lateinamerikanischen Ländern.
Lokale Organisationen im globalen Süden bleiben wieder einmal außen vor
Fast ein Viertel des Geldes wird für Nahrungsmittelhilfen benötigt, der Rest soll unter anderem in den Bildungssektor, den Kinderschutz und die Infrastruktur in Flüchtlingslagern fließen. Doch trotz eindringlicher Appelle des UN-Nothilfekoordinators Mark Lowcock fehlt dafür das Geld. Ganze 3,6 Milliarden US-Dollar haben Regierungen, Entwicklungsbanken und andere Geber bisher bereitgestellt. Zum Vergleich: Allein das von der deutschen Bundesregierung im Juni verabschiedete Konjunkturprogramm hat ein Volumen von 130 Milliarden Euro.
Zudem bleiben bei der Verteilung der Hilfsgelder lokale Organisationen im globalen Süden wieder einmal außen vor. Weniger als ein Prozent aus dem Corona-Hilfsfonds ist bisher an sie gegangen, das Geld wird fast ausschließlich von UN-Organisationen und großen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen verteilt. Das widerspricht einem wichtigen Beschluss des humanitären Weltgipfels vom Jahr 2016: Damals hatten Geberländer und UN-Organisationen sich darauf geeinigt, mindestens ein Viertel der humanitären Hilfe an lokale Organisationen zu geben. Zu Recht wird in der Pandemie der Beitrag lokaler Helferinnen und Helfer gelobt. Das nützt ihnen aber wenig, wenn sie nicht auch finanziell unterstützt werden.
Von Beginn an eine soziale Krise
Dass dem OCHA-Hilfsfonds so wenig Geld zur Verfügung steht, zeugt von einem verengten Verständnis der Pandemie. Corona war in den Ländern des globalen Südens, mehr noch als in den reichen Industrieländern, nie nur eine Gesundheitskrise, sondern von Beginn an vor allem eine soziale Krise. Aufgrund von Ausgangssperren und der Wirtschaftskrise haben Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern im informellen Sektor von einem Tag auf den anderen ihr Einkommen verloren. Die Weltbank prognostiziert, dass Corona bis Ende des Jahres bis zu 115 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut stürzt. Der Anteil der absolut Armen – also von Menschen, die von weniger als umgerechnet 1,90 US-Dollar am Tag leben – steigt damit erstmals seit 20 Jahren wieder. Dagegen helfen keine Medikamente, Corona-Tests oder Impfstoffe.
Eine solidarische Antwort auf die Pandemie müsste deshalb die sozialen und wirtschaftlichen Folgen stärker in den Blick nehmen. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hat bereits im Juli einen Vorstoß gewagt und die vorübergehende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für rund 2,7 Milliarden Menschen in 132 Entwicklungsländern vorgeschlagen. Ernsthaft diskutiert wurde die Idee nie. Vielleicht lag das an den Kosten: Knapp 200 Milliarden US-Dollar müsste die internationale Gemeinschaft pro Monat nach Berechnungen des UNDP für ein solches Grundeinkommen aufbringen. Das ist viel Geld, keine Frage. Aber so ist das eben mit der Solidarität: Umsonst ist sie nicht zu haben.
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