Morgens im Dorf Kwa Kilii im Südosten Kenias: Das Grün von Bäumen und Sträuchern betupft die über sanfte Hügel ausgedehnte rote Erde. Dazwischen Felder und kleine Fruchtplantagen. Das Dorf befindet sich in Makueni, einem County in Kenia, das sich auf einer Fläche fast so groß wie die Insel Zypern erstreckt. Die meisten der knapp 900.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Makueni sind Kleinbauern.
Die Familie Kilii zum Beispiel. Abula Kilii ist gemäß lokaler Tradition das Familienoberhaupt, seit ihr Ehemann vor Jahrzehnten gestorben ist. Die 54-Jährige hat drei Töchter und zwei Söhne. Nur der zweite Sohn ist noch hier, der 40-jährige Steven Kilii mit seiner Frau und fünf Kindern zwischen fünf und dreizehn Jahren. Wie die Mutter wohnen sie in einem einfachen grauen Häuschen.
Die kleinen Häuser stehen in der Mitte eines Hangs. Darunter erstreckt sich ihr Land von rund eineinhalb Hektar bis hinunter zum Fluss. Die Trockenzeit neigt sich dem Ende zu, die meisten Felder liegen brach. Nur die Mango- und Papayabäume ragen in die Höhe und tragen reifende Früchte. Dazwischen liegt eine kleine, abgeerntete Tomatenplantage. Kurz vor dem ersten Regen werden Abula und Steven Mais und verschiedene Hülsenfrüchte aussähen. Ein Dutzend Hühner rennt um die drei Häuser herum; vier Kühe und eine Ziege grasen unten am Fluss.
Am späten Morgen nach der ersten Arbeit sitzt Abula auf einem Plastikstuhl neben einem kleinen Heuschober. Die kleine drahtige Frau trägt ein rotes Kopftuch und eine kleine Tasche mit ihrem Mobiltelefon um den Hals. Die mehrfache Großmutter erinnert sich an die alten Zeiten, vor dreißig oder vierzig Jahren: „Früher hat es sehr viel mehr geregnet, und die Jahreszeiten waren sehr regelmäßig.“ Neben Mais, Bohnen und Kuherbsen bauten sie damals noch die traditionellen Hirsearten Sorghum und Millet an. Früher wussten die Bauern fast auf den Tag genau, wann die Jahreszeiten wechseln, wann sie ernten oder aussäen mussten: erst die heiße Trockenzeit, dann die erste Regenzeit, dann die kühle Trockenzeit, dann die zweite Regenzeit.
Doch schleichend veränderte sich das jahrhundertealte ökologisch-meteorologische Gleichgewicht. „Es gibt nun viel weniger Regenfälle, aber immer wieder auch so starke, dass sie Felder überfluten, die manchmal sogar wegbrechen“, sagt Abula. „Mal verlieren wir Ernten, weil es zu trocken ist, mal, weil es zu stark oder zur falschen Zeit regnet.“ Auch ihre Tiere, Pflanzen und sogar sie selbst würden häufiger krank. Die Bauern wissen nicht mehr, wann die Jahreszeiten wechseln und wann was zu tun ist.
Die besten Lösungen identifizieren
„Climate change“, sagt Abula auf Englisch, obwohl sie sonst nur die Lokalsprache Kikamba und etwas Kiswahili spricht. Den Begriff und den Grund für die großen Veränderungen der letzten Jahrzehnte kennt sie seit dem Jahr 2013. Da bekamen sie und ihr Sohn Besuch von Mitgliedern des „Ward Climate Change Planning Committee“, des Komitees für den Umgang mit dem Klimawandel in ihrem Bezirk (ward). Das Komitee besteht aus elf Mitgliedern, die zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern die drängendsten Probleme des Klimawandels und die besten Lösungen identifizieren sollen. Mehrere Male trafen sich Abula, Steven und ihre Nachbarn mit den Dorfbewohnern von der anderen Seite des Kikuu-Flusses in Versammlungen, die das Komitee organisierte.
Autor
Markus Spörndli
ist Journalist in Nairobi, Kenia, und auf Entwicklungsfragen spezialisiert. Er schreibt regelmäßig für die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ), „Die Wochenzeitung“ (WOZ) und „der Freitag“.Vor vier Jahren wurde direkt unterhalb der Felder der Familie Kilii die Staumauer errichtet, rund drei Meter hoch und dreißig Meter breit. Die Kiliis gaben etwas von ihrem Land ab, und Steven arbeitete am Bau mit. Nach rund sechs Wochen war das Projekt vollendet.
Mittags am Fluss: Der Kikuu fließt nicht, noch ist Trockenzeit. Auf den ersten Blick ist kein Tropfen Wasser zu sehen. Von der Staumauer erstreckt sich flussaufwärts eine mehrere hundert Meter lange Sandmasse. Von der grellen Mittagssonne beschienen und menschenleer sieht die Fläche wie eine Miniaturwüste aus. Doch bei näherer Betrachtung entdeckt man Dutzende von Gruben, manche klein und rund, andere groß und quadratisch und mit Zweigen abgesteckt. Und in diesen Gruben steht es: das Wasser. Die Staumauer hält während der Regenzeit, wenn der Fluss fließt und viel Sand mit sich führt, das sandige Fluss- und das frische Regenwasser auf. Auch in der Trockenzeit besteht ein Drittel der Sandmasse aus dem wertvollen Nass. Gräbt man eine Grube, kommt es von unten hoch.
Jede Familie hat ihr eigenes Wasserloch
Die Sonne beginnt zu sinken, das Licht erhält einen Ton Orange. Noch immer ist es am Sanddamm still wie in einer Wüste. Jetzt kommt die Zeit der Kinder und der Esel. Langsam trotten die grauen Tiere, beladen mit leeren gelben Kanistern, von den Flussbänken links und rechts zur Sandfläche hinunter. Sie wissen, was zu tun ist, die Kinder müssen sich nicht um sie kümmern. Die Esel halten an den verschiedenen kleinen Gruben. Jede Familie, die am Sanddamm beteiligt ist, hat ihr eigenes Wasserloch. Die großen Esel haben jeweils vier Kanister umgebunden, die jüngsten Tiere nur zwei.
Ein Kind bindet die 20-Liter-Kanister los, während ein anderes mit einem Becher in die Grube steigt und brackiges Wasser auf den Sand daneben schüttet. Der Sand verzögert nicht nur das Abfließen und die Verdunstung des Wassers, er reinigt es auch. Klareres Wasser dringt in die Grube. Das Kind nimmt einen Trichter und füllt die gelben Kanister. Wenn sie voll sind, hieven die Kinder gemeinsam die schweren Gefäße zum Esel hoch und zurren sie fest. Dann trotten die Tiere wieder nach Hause.
Die größeren, quadratischen Gruben sind mit stacheligen Zweigen umzäunt, damit Esel und Kühe nicht daraus trinken. Das dürfen die Tiere nur an den kleinen Familiengruben. Aus den großen Gruben pumpen Kleinunternehmer Wasser in blaue Tankanhänger. Mit dem Traktor fahren sie in die umliegenden Kleinstädte oder zu Bauern auf den Hügeln und verkaufen das kostbare Nass. Für 5000 Liter des Wassers, das sie gratis abpumpen dürfen, verlangen sie umgerechnet 23 Euro.
Sandabbau ist ein wichtiger Wirtschaftszweig im County
Wieder andere Bewohner der Umgebung füllen hier nicht Wasser ab, sondern Sand. Weit weg von der Staumauer, wo der Sand trocken ist, schaufeln Männer ihn auf kleine Lastwagen, um ihn später an Baufirmen zu verkaufen. Sandabbau ist ein wichtiger Wirtschaftszweig im County – und zumindest hier heißt es, Sand aus Makueni sei der beste des Landes.
Gibt es keinen Interessenkonflikt zwischen denen, die den Sand abtragen und denen, die ihn zur Wasserversorgung brauchen? Nein, denn der Sandabbau ist für das Funktionieren des Damms essenziell. Vor jeder Regenzeit muss Platz geschaffen werden, denn wenn der Fluss nach den Regenfällen wieder fließt, trägt er neuen Sand nach unten.
Indem sie Land abgegeben hat, hat Familie Kilii besonders viel zum Damm beigetragen. Dafür ist ihr Grundstück direkt mit dem Projekt verbunden. Mit Rohren und einer benzinbetriebenen Pumpe bringt Steven das Wasser in der Trockenzeit direkt auf die Felder. „Seit wir den Damm haben, können wir wieder Mais sowie Tomaten und Gemüse pflanzen“, sagt der große, drahtige Mann.
Trotzdem können die Kleinbauern nicht alles wieder so machen wie früher, als von „Climate Change“ noch keine Rede war. Auch mit der neuen Infrastruktur müssen sie sparsam mit dem Wasser umgehen, und das Problem von Unwettern und heftigen Regenfällen bleibt ungelöst. Hirse wird immer noch nicht angebaut, am besten gedeihen weiterhin trockenheitsresistente Hülsenfrüchte wie Mungbohnen. Auch der Mais ist nicht mehr der von früher: Nun kommen meist neue Sorten zum Einsatz, die weniger Wasser benötigen.
Der Sanddamm erlaubt es rund 300 Bauernfamilien, sich rudimentär an den Klimawandel anzupassen. Für die Feinabstimmung benötigen sie zusätzlich präzise saisonale Wettervorhersagen und Empfehlungen, welche Pflanzen je nach Prognose geeignet sind. Deshalb verkünden die County-Behörden seit ein paar Jahren über verschiedene Kanäle regelmäßig meteorologische Informationen und kombinieren sie mit landwirtschaftlicher Beratung. Derzeit sollen etwa die Bauern in dieser Gegend keine Pflanzen mit großem Wasserbedarf aussäen, weil die Regenfälle in den kommenden Monaten voraussichtlich unterdurchschnittlich ausfallen werden.
Verbreitung von meteorologisch-landwirtschaftlichen Informationen
Abends in Wote, der größten Stadt weit und breit mit vielleicht 7.000 Einwohnern. Ein paar größere Gebäude für die Politiker und Beamtinnen stehen hier – und das Hotel Le Panda mit beinahe weltläufig anmutender Bar, mit einer kenianischen, französischen und britischen Flagge sowie ein oder zwei SUVs davor.
David Mutua fährt mit einem zerbeulten grauen Kleinwagen vor. Für den County-Direktor für Meteorologie hat die Anpassung an den Klimawandel höchste Priorität: „Makueni hat schon immer unter Trockenheit gelitten, aber seit einigen Jahren verschärft sich die Situation.“ Die Wetterprognosen seines Amts sollen sicherstellen, dass die County-Bewohnerinnen und Bewohner genug zu essen haben. Mutua sitzt deshalb auch in der Planungskommission des Klimafonds CCCF, aus dem die Verbesserung und die Verbreitung der meteorologisch-landwirtschaftlichen Informationen finanziert werden.
„Wir erreichen damit über neunzig Prozent der Bauern“, sagt Mutua. „Die meisten erhalten die Informationen über lokale Radiostationen, wir haben aber auch SMS- und WhatsApp-Dienste.“ Am meisten hörten die Leute aber auf Autoritätspersonen in ihrem Umfeld. „Deshalb wollen wir die Verbreitung über Chiefs, Priester oder Imame noch ausbauen“, sagt Mutua.
Es ist dunkel geworden in Wote. Nach einem langen Arbeitstag kommt Mary Mbenge mit ihrer Tochter ins Le Panda. Die Chefbeamtin von Makueni für natürliche Ressourcen, Umwelt und Klimawandel hatte mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) Naturschutz und Landschaftsökologie an der Universität Greifswald studiert. Seit fünf Jahren will sie mit ihren 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Makueni zum Vorzeige-County in den Bereichen Umwelt und Klimawandel machen. „Von der Landesregierung in Nairobi können wir nicht viel erwarten“, sagt die Beamtin, die den Tatendrang einer Aktivistin versprüht. „Wir müssen das Heft selbst in die Hand nehmen.“ Kurz nach Mbenges Amtsantritt verabschiedete das Makueni County eine Rechtsgrundlage für den Umgang mit dem Klimawandel, es war die erste in Kenia, möglicherweise die erste in Afrika südlich der Sahara.
Am wichtigsten ist die Wasserversorgung
Seither fließt mindestens ein Prozent des County-Budgets in Anpassungsmaßnahmen. „Immer fragen wir die Betroffenen, was sie benötigen, und die Antwort ist überall: Wasser“, sagt Mbenge. „Die Wasserversorgung hat weit mehr als Ernährungssicherheit zur Folge, sie führt etwa auch zu besserer Gesundheit und zu einem verlängerten Schulbesuch der Kinder, weil den Eltern mehr Einkommen zur Verfügung steht.“ Die Möglichkeit, das Land zu bewässern, sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, da etwa im Gemüseanbau neue Jobs geschaffen würden.
Mbenge findet so wie viele Fachleute aus dem globalen Süden, dass die Anpassung an den Klimawandel international immer noch zu wenig Aufmerksamkeit und Finanzierung erhält. Doch auch sie versucht, den Klimawandel zu bremsen, etwa indem sie das Pflanzen von Fruchtbäumen fördert. „Jeder Baum ist gut fürs Klima“, sagt sie. Nun baue fast jeder Bauer Mangos oder Orangen an. „Bald hatten wir im County ein Überangebot an Früchten. Also haben wir den Bau einer Lebensmittelfabrik angestoßen, in der die Früchte zu Marmelade oder Säften verarbeitet werden.“
Für manche in Makueni bietet die Klimakrise eine neue Chance. Für die allermeisten bleibt sie eine existenzielle Bedrohung. Auch für die Familie Kilii und ihre Nachbarn im Dorf. Der Sanddamm oder das Informationsangebot helfen ihnen zwar, sich an den Klimawandel anzupassen. Doch das sichert ihnen gerade so das Überleben – zumindest solange das Klima nicht noch verrückter spielt.
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