Die britische Entwicklungsökonomin Frances Stewart hält die lokale Ebene für einen „Schlüsselfaktor“ bei der Bekämpfung von Ungleichheit. Denn der Blick auf Ungleichheit habe sich verändert, sagte sie beim virtuellen Bonn-Symposium der Stiftung Entwicklung und Frieden Anfang November. Als Indikator galt lange ausschließlich die Verteilung von Einkommen und Vermögen. Das greife aber zu kurz.
Neben ökonomischen Aspekten gelte es auch, soziale Kriterien wie Wohnverhältnisse, Bildung, Gesundheitssystem und politische Fragen wie etwa den Zugang zum Rechtssystem zu bedenken. Außerdem spielten auch kulturelle Aspekte wie Sprache, Religion und ethnischer Hintergrund eine Rolle. Daran gemessen kämpfen Kommunen in den Industrienationen des Nordens zunehmend mit ähnlichen Problemen und Aufgaben wie die Megastädte im globalen Süden.
In Frankreich etwa ist die Armut in den mehrheitlich von Migranten bewohnten Vorstädten überdurchschnittlich hoch. In den USA ist die Rate der von Armut betroffenen Menschen unter schwarzen Amerikanern deutlich höher als unter weißen; die Kindersterblichkeit ist in schwarzen Familien dreimal so hoch. Außerdem sei der Zugang zu öffentlichen Räumen wie Parks wichtig, sagte Stewart, das habe sich auch in der Corona-Krise gezeigt. Die Viertel der gut betuchten Städter hätten häufig wesentlich mehr Grün- und Erholungsflächen als die ärmeren Viertel.
Soziale und ökologische Aspekte sind verknüpft. Die Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung treffen sozial Benachteiligte härter, auch im globalen Norden, sagte Isabell Kempf von UNRISD, dem UN-Forschungsinstitut für soziale Entwicklung. So hätten ärmere Stadtviertel stärker mit Luftverschmutzung zu kämpfen. Die Belastung mit Feinstaub gilt weltweit als eine der Hauptursachen für eine reduzierte Lebenserwartung und als ein Treiber für Covid-Todesfälle.
Helfen neue digitale Plattformen?
Das spielt auch in Südafrika eine große Rolle, wo die Wohnviertel von Weißen und Schwarzen als Folge der Apartheid bis heute voneinander getrennt sind. Zudem gibt es in den Metropolen des Landes große Probleme mit öffentlicher Sicherheit. In Kapstadt, einer sozial und ökonomisch stark ungleichen Stadt, arbeitet das Projekt Open Streets damit, Straßen zeitweise für den Autoverkehr zu sperren und für die Menschen zu öffnen. „Straßen sind öffentliche Räume, die allen Bürgern zugänglich sein sollen“, sagte Kirsten Wilkins von Open Streets. Die autofreien Straßen stoßen eine öffentliche Debatte über Mobilität an und bringen Menschen zusammen, die sich sonst nicht begegnen. Das könne zu einem „ganz neuen Verständnis des anderen“ führen, so Wilkins.
Ob digitale Plattformen wie Uber dazu beitragen, Ungleichheit in Städten abzubauen, blieb umstritten. Sie schafften in den Ballungsräumen viele neue Jobchancen, behauptete Tola Odeyemi von Uber Westafrika, und würden dazu beitragen, Dienstleistungen wie Transportmöglichkeiten zu verbessern. Hier sind allerdings Fragezeichen angebracht: Auch wenn Gregory Randolph von der nichtstaatlichen Organisation JustJobs Network mit Sitz in Washington und Neu-Delhi betont, 70 Millionen Menschen im globalen Süden hätten auf digitalen Plattformen neue Chancen auf Einkommen erhalten. In der zunächst beeindruckend klingenden Zahl sind auch Menschen erfasst, die auf Plattformen wie Ebay verkaufen oder sich über Freelancer-Portale als Texter oder Übersetzer zu Dumpingpreisen verdingen. Umfassende Studien zu den Effekten dieser digitalen Plattformökonomie im globalen Süden gibt es noch nicht.
Interkulturelle Mediatoren aus dem Senegal, Brasilien, der Ukraine
Wer Armut in den Städten bekämpfen will, muss dies als eine Querschnittsaufgabe verstehen, in die alle Ressorts eingebunden sind. New York verfolgt diesen Ansatz seit einigen Jahren, wie Matthew Klein vom Büro des New Yorker Bürgermeisters berichtete. Wenn man alle städtischen Maßnahmen durch die „Brille der Gleichheit“ betrachte, dann könnten Kommunen sehr viel bewirken. Dazu müsse man aber auch die Betroffenen stärker mitnehmen, anstatt ihnen nur Sozialleistungen zukommen zu lassen.
Die portugiesische Stadt Braga mit einem starken Zuzug von rund 30.000 Migranten in den vergangenen Jahren hat aus diesem Grund interkulturelle Mediatoren aus dem Senegal, Brasilien, der Ukraine und aus der Roma-Community eingestellt, die als Ansprechpartner bei Problemen dienen. Ähnlich geht das Diakoniewerk Simeon in Berlin-Neukölln vor. In dem stark von Migranten geprägten Berliner Kiez können sich arbeitslose Frauen mit Migrationshintergrund in einem sechsmonatigen Kurs zur „Stadtteilmutter“ ausbilden lassen. Sie gehen dann in die migrantischen Familien, können diese in Erziehungsfragen beraten und vernetzen sich mit den Bildungseinrichtungen im Stadtteil. Die Beispiele zeigen, dass Städte wesentlich mehr tun können als bisher, um soziale Spaltung abzubauen.
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