Zuschuss auch fürs neue Smartphone

Bloomberg via Getty Images
Shoppingmall in Johannesburg.
Südafrika
Es ist unter schwarzen Südafrikanerinnen und Südafrikanern üblich, Verwandte und Nachbarn mit Geld zu unterstützen. Doch inzwischen kritisieren das viele als Schwarzensteuer, die nach dem Ende der Apartheid den sozialen Aufstieg behindere.

Taschengeld mit 80 Jahren? Für viele Südafrikaner ist es normal, im hohen Alter von Kindern, Nachbarn und Freunden versorgt zu werden. Denn zum Leben reicht die Rente von umgerechnet 110 Euro, die arme Südafrikaner aus dem Sozialsystem erhalten, längst nicht aus. Die Gemeinschaft hält zusammen, so ist es in dem Schwellenland seit Generationen. Doch dass sie nach dem afrikanischen Konzept der Nächstenliebe und Menschlichkeit (Ubuntu) Bedürftige in ihrer Familie, der Nachbarschaft oder im Freundeskreis unterstützen müssen, empfindet die emanzipierte schwarze Mittelschicht zunehmend als Bürde. 

„Black Tax“, Schwarzensteuer, lautet der umgangssprachliche Begriff für die Erwartung an besserverdienende schwarze Südafrikaner, einen Teil ihrer Einkünfte derart zu teilen. „In dem Moment, in dem sie zum ersten Mal Geld verdienen, sieht man in ihnen den Messias, der die Familie aus der Armut retten wird“, sagt Niq Mhlongo. Der südafrikanische Autor und Reisejournalist beobachtet seit seiner Kindheit im Township Soweto, wie seine schwarzen Landsleute zu „Stellvertretereltern“ ihrer Schwestern, Neffen und Cousins werden. Mit seinem Buch „Black Tax – Burden or Ubuntu?“ hat der 47-Jährige vergangenes Jahr eine Diskussion um das Thema angestoßen.

Dabei ist die Schwarzensteuer weder ein fester Betrag noch eine niedergeschriebene Schuld. Viel eher handelt es sich dabei um ein lebenslanges Geben und Nehmen. Ein Autor, der zu Mhlongos Sammelband beigetragen hat, erhält zum Beispiel jedes Mal zu Monatsende eine SMS von seiner Mutter mit dem Text: „Vergiss nicht, mein Kind.“ Es ist eine Erinnerung daran, sich trotz seines kleinen Einkommens bei seiner Tante und anderen Verwandten erkenntlich zu zeigen, nachdem diese ihm sein Studium ermöglicht haben. 

Doch nicht immer entsteht die Schuld aus einem Kredit oder empfangener Hilfe. Wer profitiert, der muss wiederum jemand anderem auf die Beine helfen. Jobeinsteiger übernehmen etwa die Schulgebühren für ihre jüngeren Geschwister. Der Student zweigt etwas von seinem Stipendiengeld ab, um für seine Wohngemeinschaft Essen auf den Tisch zu bringen. Und die Nachbarin gibt dem Jungen von nebenan Geld für ein Taxi, damit dieser zum Vorstellungsgespräch fahren kann. 

Ein Autor in Mhlongos Sammelwerk berichtet, wie sein Elternhaus in einem Armenviertel zur Zuflucht für die ganze Verwandtschaft und für Freunde wurde. Für die kostenlose Unterkunft und Verpflegung wurde keine Gegenleistung erwartet, stattdessen sollten die Gäste später jemand anderem die Ausbildung finanzieren oder finanziell aushelfen. 

Slum in Johannesburg

„Es war immer schon Gepflogenheit, und Black Tax, bei der die reichere Mittelschicht etwas beiträgt, bestätigt dies“, sagt der Politologe Ralph Mathekga in Johannesburg. Er selbst helfe monatlich seinen Geschwistern aus. „Für mich ist es erschwinglich und es ist eine gute Sache. Ich sehe es keineswegs als Steuer an.“ Auch Niq Mhlongo sieht es als „nicht diskutierbare Verantwortung“, Verwandte und Freunde zu unterstützen. Aber er hält im Vorwort seines Buches auch fest: Diese Auffassung ist umstritten, auch unter den Autoren des Buches. Er sieht das Problem in der Globalisierung: Erst durch die koloniale Brille werde das uralte afrikanische Konzept von Ubuntu zur „Steuer“ – und somit zur Belastung.

Autor

Markus Schönherr

ist freier Korrespondent in Kapstadt und berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus dem südlichen Afrika.
Doch die Belastung ist real: Akademiker reichen bis zur Hälfte ihres Einkommens an Mitglieder der erweiterten Familie weiter. Und je mehr sie verdienen, desto größer die Erwartung der Verwandtschaft. Südafrikas schwarze Mittelschicht wächst. Sie ist jung und hat teils gut bezahlte Jobs. Vor manchem Haus im Johannesburger Nobelvorort parken zwei Autos, mit denen die Kinder zur Privatschule gefahren werden. All das hat sie durch Fleiß oder eine gute Ausbildung erreicht, und in einigen Fällen auch durch politische Beziehungen oder umstrittene Förderprogramme für schwarze Unternehmer. 

Die schwarze Mittelschicht soll Südafrikas wirtschaftliches Rückgrat sein – jene Generation, die endlich den Teufelskreis der Armut durchbricht. Dabei wackelt ihr Status gewaltig. Denn hinter so gut wie jedem Südafrikaner, der den Sprung aus der Armut geschafft hat, stehen Verwandte, die es zu unterstützen gilt. 

Für einige emanzipierte junge Südafrikaner ist Black Tax vor allem eins: ein Entwicklungshindernis. „Gäbe es keine Black Tax, hätte ich schon meinen zweiten Universitätsabschluss und ein Haus“, sagt eine Betroffene. Auch die südafrikanische Schriftstellerin und Moderatorin Primrose Mrwebi klagt: „Manchmal folgt Black Tax dir sogar ins Eheleben. Es gibt Schwiegereltern, die von dir erwarten, dass du dich genauso um sie kümmerst wie um deine eigene Familie.“ Darüber hinaus berichten einige Betroffene von „Missbrauch“ dieses Sozialvertrags, vor allem wenn Verwandte sie um Luxusgüter wie ein neues Smartphone bitten. „Die Erwartungen schwarzer Eltern und ihr Bedürfnis, in den Augen anderer ein großartiges Leben zu führen, schaffen gleichzeitig eine emotionale Steuer für schwarze Berufstätige“, wird die südafrikanische Poetin Nkateko Masinga in Mhlongos Buch zitiert. 

Grundschule in Johannesburg. Für Bildung und Ausbildung ihrer jüngeren Geschwister müssen oft die älteren zahlen. 

Andere berichten, von Verwandten nach Geld für Fernsehabonnements und Spirituosen gefragt worden zu sein. Masinga spricht in dem Zusammenhang vom „Recht zu prahlen“. Das seien junge, erfolgreiche Schwarze ihren Eltern gewissermaßen schuldig: „Ich schulde meinem Vater ein schickes deutsches Auto in seiner Auffahrt, so dass die Nachbarn erkennen, wir haben es zu etwas gebracht.“ Aber zugleich hält sie fest: Dieser Erwartung könne sie nicht gerecht werden. 

Was Südafrikas Black Tax von Familienunterstützung in Europa oder dem restlichen Afrika unterscheidet? Die Antwort liegt in der jüngeren rassistischen Vergangenheit des Landes. 1994 fiel mit der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten die Rassentrennung. Während per Gesetz alle Südafrikaner und Südafrikanerinnen heute gleichberechtigt sind, zieht sich wirtschaftlich immer noch ein tiefer Riss durch den Vielvölkerstaat. Laut Weltbank gilt Südafrika als der Staat mit dem größten Einkommensunterschied. Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Südafrika mit etwa 6000 US-Dollar fast viermal so hoch wie im Durchschnitt Afrikas südlich der Sahara, dennoch leben 54 Prozent der Bevölkerung in Armut. 

Die schicken Villen und Pools in Kapstadts Vororten trennt meist nur eine Mauer oder ein Bahngleis von den Wellblechschuppen des nächsten Townships. Und obwohl die Grenzen 26 Jahre nach der Apartheid zusehends verschwimmen, orientiert sich der Wohlstand nach wie vor an der Hautfarbe. Vor allem in der Privatwirtschaft haben weiße Südafrikaner häufiger besser bezahlte Jobs als schwarze. 

„Wir sprechen hier von einer Ungleichheit, die während der Apartheid aufgebaut wurde. Deren Grundmauern stehen bis heute“, sagt Mhlongo. Weiße Familien hatten während der Apartheid Zeit, Wohlstand anzusammeln. Das kann ein Haus, ein Unternehmen oder eine Sparanlage sein, die sich nun in Besitz von Kindern und Enkeln befindet. 

„Ich behaupte nicht, dass alle Weißen Wohlstandskinder sind und mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen sind“, sagt der renommierte Autor Fred Khumalo. Auch einige weiße Südafrikaner müssten etwa einen Studienkredit zurückzahlen. Aber: „Sie müssen nicht das Haus ihrer Eltern reparieren und ans Stromnetz anschließen, ihre Arztrechnungen zahlen oder ihren Nachbarn etwas zahlen, weil die zu ihrem Studium beigetragen haben.“

Unter der Apartheid war die soziale Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß politisch festgeschrieben. Jetzt aber sind die Volksgruppen gleichberechtigt, zumindest theoretisch. Anders als früher messen nun die meisten schwarzen Südafrikaner ihren Wohlstand an dem der weißen und möchten dieselben Aufstiegschancen. Black Tax nehmen dabei viele als großes Hindernis auf dem Weg zum wohlverdienten Reichtum wahr. Nach dem Ende der Apartheid wurde das zunächst stillschweigend hingenommen, doch da die ANC-Regierung den Großteil der Bevölkerung nicht in den Mittelstand holen konnte, ist nun die Geduld strapaziert. Deshalb auch die lauter werdende Diskussion über die Schwarzensteuer. 

Fest steht aber, dass die für viele Familien in den nächsten Monaten wichtiger für das Überleben wird als je zuvor. Zwei Monate lang herrschte in Südafrika wegen der Corona-Pandemie ab Ende März eine strenge Ausgangssperre. Straßenhändlerinnen, Kellner, Reinigungskräfte und Friseure hatten kein Einkommen. Jeden zehnten Südafrikaner könnte die Pandemie Ökonomen zufolge seinen Job gekostet haben. 

Bedürftige haben seit Mai eine Corona-Nothilfe von 20 Euro im Monat vom Staat erhalten. Für die meisten Südafrikaner blieben aber während der Pandemie Freunde und Verwandte das wichtigste Sozialsystem. Nicht zuletzt deshalb wünscht Mhlongo sich eine breitere Diskussion über die umstrittene Black Tax. 

Einen ersten Schritt macht neben Mhlongos Buch eine gleichnamige Sitcom: „Black Tax“ ging rechtzeitig vor dem Lockdown im südafrikanischen Video-on-Demand-Portal Showmax online. In 13 Folgen wird darin die Geschichte von Thuli Dlamini erzählt, einer hart arbeitenden, alleinerziehenden Mutter zweier Jugendlicher. Eines Tages stehen Dlaminis Eltern vor der Tür. Sie haben ihr Haus verloren. Dlamini nimmt sie bei sich auf – und der friedliche Alltag ist dahin. 

Jo-Anne Reyneke, die Hauptdarstellerin der Serie, erkennt in ihrer Rolle sich selbst wieder und erklärte der lokalen Zeitung „The Citizen“ im Interview: „Wenn meine Mutter in mich investiert, will ich, dass sie sieht, dass sich ihr Investment ausgezahlt hat.“ Der Nebendarsteller Sne Dladla sieht die neue Sitcom als eine Art Fernsehtherapie für alle Südafrikaner, die das Thema Black Tax frustriert, denn: „Es ist gut, zu sehen, dass du nicht allein damit bist.“

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erschienen in Ausgabe 11 / 2020: Erbe des Kolonialismus
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