Theoretisch gut, doch politisch naiv

Naturschutz
Um das Artensterben zu bremsen, muss die Hälfte der Landfläche unter Naturschutz gestellt werden, fordern Wissenschaftler. Sie haben nun eine Landkarte der Gebiete erstellt, die zu schützen am meisten zum Klima- und Artenschutz beitragen würde. Das ist ein fragwürdiger Ansatz, globalen Naturschutz voranzubringen.

Mit dem Artensterben drohen nicht nur einzelne Tier- und Pflanzenarten zu verschwinden, sondern ganze Ökosysteme wie der Regenwald: Es ist der bedrohlichste Megatrend neben dem Klimawandel. Beide verstärken sich gegenseitig – und beide kann man laut einer Gruppe um den US-amerikanischen Naturschützer Eric Dinerstein dadurch abmildern, dass etwa die Hälfte der Landfläche einen Schutzstatus bekommt. Die Forderung von 2019 hat die Gruppe nun konkretisiert mit einer Landkarte der zu schützenden Gebiete namens „Global Safety Net“. Die für biologische Vielfalt wichtigen Regionen stimmen demnach weitgehend mit denen überein, die viel Kohlenstoff binden.

Das ist ein wichtiger Befund, aber ein fragwürdiger Politikansatz. Den Anteil von Naturparks und Schutzgebieten an der globalen Landfläche von heute rund 15 auf 30 Prozent auszuweiten, ist unter den Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention umstritten. Und Organisationen wie Survival International kritisieren schon diese Zielmarke als Landnahme: Schon heute würden lokale Gemeinschaften, besonders indigene, im Namen des Naturschutzes gewaltsam vertrieben oder an der Nutzung ihres Landes gehindert.

Lokale Umweltinitiativen international schützen

Das will die Gruppe um Dinerstein zwar nicht: Sie sieht, dass ein gutes Drittel des zusätzlich zu schützenden Landes von Indigenen bewohnt wird, und fordert, deren Landrechte zu sichern und ihre naturverträglichen Wirtschaftsweisen zu schützen. Aber das ist politisch naiv. Zu den Ländern, die nach dem Plan der Gruppe die größten Gebiete neu schützen müssten, gehören Russland, China, Brasilien, Indonesien und die USA. Werden die wegen des „Global Safety Net“ Minderheiten mehr Landrechte oder ein Veto gegen Bergbau- und Agrarprojekte geben? Unter den herrschenden Machtverhältnissen werden im Norden erdachte Naturschutzziele am ehesten im Süden durchgesetzt und da, wo Betroffene sich kaum wehren können. Nicht zufällig finden sich die meisten großen Naturparks in armen Ländern mit dem größten Mangel an demokratischen Institutionen.

Wichtiger als Zielzahlen wäre, lokale Umweltschutzinitiativen mehr international zu schützen und die Nachfrage reicher Länder nach Soja, Rindfleisch und Bergbauprodukten zu verringern, denn die treibt die Erschließung von ungenutztem Land mit voran. Dafür allerdings müssten Naturschützer mehr Konflikte annehmen – auch mit Wirtschaftsinteressen zu Hause. (bl)

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erschienen in Ausgabe 10 / 2020: Idealismus und Karriere
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