Eine Arbeiterin auf einer Bananenplantage in Ecuador wäscht die Bananen, bevor sie für den Export verpackt werden. Die meisten Arbeiter in der Bananenproduktion bekommen keine existenzsichernden Löhne.
Die Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 zielt in der Hauptsache auf große europäische Einzelhandelskonzerne, die landwirtschaftlichen Erzeugern und Lebensmittelproduzenten in der EU Niedrigstpreise und andere zweifelhafte Konditionen aufzwingen. Ausdrücklich sehen die Vorschriften aber auch Beschwerdewege für Erzeuger außerhalb der EU vor, wenn die sich in der Lieferkette zum EU-Markt illegalen Praktiken ausgesetzt sehen. Ein sogenannter Missbrauchstatbestand besteht etwa darin, wenn ein großer Händler einseitig die Vertragsbedingungen ändert.
Die Agrarexpertin bei Oxfam, Marita Wiggerthale, nennt als Beispiel die Bananenproduktion. Die Erzeugerpreise deckten vielfach nicht die Produktionskosten, und Arbeiterinnen und Arbeiter erhielten keine existenzsichernden Löhne. Der Ankauf zu Dumpingpreisen führe zu Hungerlöhnen und treibe Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in den Ruin. „In Ecuador ist die Zahl der Bananen-produzierenden Familienbetriebe von 2015 bis 2018 um 60 Prozent gesunken“, sagt Wiggerthale.
Verkaufspreise dürfen Produktionskosten nicht unterbieten
Die EU-Richtlinie ist dabei kein Lieferkettengesetz durch die Hintertür. Es geht nicht um menschen- oder arbeitsrechtliche Produktionsbedingungen, sondern um unfaire Preise und Lieferkonditionen. Für den Schutz von Bauern vor Niedrigstpreisen sind bislang freiwillige Standards der einzige Weg. Initiativen wie Fairtrade oder die Rainforest Alliance, die für zertifizierte Erzeuger ein bestimmtes Preisniveau garantieren, bleiben im Welthandel indes eine Randerscheinung.
So beziehen die meisten Kakaobauern und -bäuerinnen weltweit keine existenzsichernden Einkommen, kritisiert des Forum Fairer Handel. Die Schokoladenindustrie beteuere seit 20 Jahren, ausbeuterische Kinderarbeit im Kakaoanbau beenden zu wollen, erklärte die Vorstandsvorsitzende Andrea Fütterer, „und ist bis jetzt gescheitert“. Nur ein Ende des Preiskampfes werde daran etwas ändern.
Oxfam und das Forum fordern daher in einem Bündnis von 49 Organisationen aus dem Umwelt-, Entwicklungs-, Agrar- und Lebensmittelbereich, dass die Verkaufspreise – etwa von großen Discountern – die Produktionskosten nicht unterbieten dürfen. Solche sogenannten Dumpingpreise sind schwer nachzuweisen und werden im deutschen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie nicht pauschal verboten. „Die Regierung nutzt den Spielraum nicht, den sie hätte, um unfaire Handelspraktiken wirksam zu verbieten“, kritisiert Wiggerthale.
Erzeugern außerhalb der EU eine Stimme geben
Auch eine Beschwerdestelle, bei der Lieferanten unlauteres Geschäftsgebaren anzeigen können, ist in dem Gesetz noch nicht vorgesehen. „Eine unabhängige Ombudsstelle kann hier Abhilfe schaffen und Produzenten wie auch Arbeitnehmern endlich ein Instrument an die Hand geben, ihre Rechte einzufordern und Beschwerden einzureichen“, so das Bündnis. Vermutlich wird eine Beschwerdestelle bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) eingerichtet, welche die Durchsetzung der Richtlinie überwachen soll.
Nach Einschätzung der britischen Organisation Traidcraft Exchange, die sich dafür eingesetzt hatte, dass auch Lieferanten einbezogen werden, die nicht aus der EU kommen, kann die Richtlinie Hunderttausenden von Landwirten und Erzeugern auf der ganzen Welt in ihren Handelsbeziehungen mit der EU eine Stimme geben. Immerhin importiert die EU Lebensmittel im Wert von 100 Milliarden Euro jährlich. Landwirte in Entwicklungsländern sind unfairen Handelspraktiken besonders oft ausgeliefert, weil sie weniger alternative Märkte haben und ihr Zugang zu rechtlicher Unterstützung und notwendigen Informationen oft zu eingeschränkt ist, um gegen Knebelverträge großer Konzerne vorzugehen. Wenn die Richtlinie es nun etwa schwerer mache, dass Aufträge ohne Not storniert werden, könne das die Einkommen von Produzenten berechenbarer machen, schätzt Traidcraft.
Gesetz soll im März in Kraft treten
Ein weiteres hart erkämpftes Merkmal der Richtlinie besteht darin, dass sie es anderen Organisationen wie NGOs, Erzeugerorganisationen und Gewerkschaften erlaubt, im Namen von Lieferanten Beschwerden zu formulieren. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt eingereicht werden, um auf illegale Praktiken hinzuweisen. Ein Lieferant soll auch wählen können, in welchem Land der EU er die Beschwerde vorbringt. So könnte sich ein lateinamerikanischer Produzent, der sich von deutschen Einkäufern übervorteilt fühlt, wegen der Sprachbarrieren auch an eine spanische Behörde wenden.
Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums soll der Gesetzentwurf Ende September im Kabinett besprochen werden. Die erste Lesung im Bundestag soll Ende November stattfinden, das Gesetz im März 2021 in Kraft treten.
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