Ertüchtigung am Hindukusch: Ein deutscher Polizist (rechts) lehrt 2012 in Masar-i-Scharif afghanische Kollegen das Schießen.
Die sogenannte Ertüchtigung von Sicherheitskräften in Kriegs- und Krisengebieten ist ein sicherheitspolitischer Wachstumsmarkt. Mit Ertüchtigung beschreibt die Bundesregierung ihre Hilfe bei der Ausstattung, Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften wie Armee oder Polizei, aber auch Grenztruppen oder Geheimdiensten in Ländern des globalen Südens. Dabei steht die Professionalisierung des Kerngeschäfts („Sicherheit schaffen“) im Vordergrund. Demgegenüber zielen Hilfen zur Reform des Sicherheitssektors darauf, solche Länder beim Umkrempeln ihrer repressiven, übermächtigen Sicherheitsorgane in einen „politisch legitimierten, rechenschaftspflichtigen und professionell agierenden Sicherheitssektor“ zu unterstützen, „der das Vertrauen der Bevölkerung genießt“. So heißt es in den Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aus dem Jahr 2017.
Deutschland hat sich in diesem Bereich jahrzehntelang zurückgehalten. Im Hinblick sowohl auf Professionalisierungs- wie auf Reformarbeit blicken zum Beispiel Frankreich, Großbritannien und die USA in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie im Nahen Osten auf langjährige, sehr durchwachsene Erfahrungen bis in die jeweilige Kolonialzeit zurück. Die Rollen Deutschlands und der Europäischen Union sind in den vergangenen Jahren gewachsen. In Afghanistan und Tunesien gehört Berlin bereits zu den größten Gebern bei Professionalisierung und Reform der Sicherheitsinstitutionen, in beiden Bereichen engagiert Deutschland sich stärker als früher. Insofern lohnt ein Blick darauf, wo und wie sich die Bundesregierung engagiert und was sie bewirkt.
Idealerweise dient das eine dem anderen: Professionalisierung heißt nicht nur, zielsicherer zu schießen oder immer genug Nachschub an den richtigen Ort zu schaffen. Es heißt auch, unbewaffnete Demonstranten nicht zu verprügeln oder gar zu erschießen, Diskriminierung zu reduzieren und die Rolle der Sicherheitskräfte im Staat so zu beschränken, dass sie Freiheit und Wohlstand ermöglichen, statt Politik und Wirtschaft zu dominieren. Doch in der Praxis macht selbst erfolgreiche Ertüchtigung repressive Sicherheitskräfte nicht automatisch vertrauenswürdiger – und ob die Lehr- und Beratungsmethoden der deutschen Ertüchtiger so erfolgversprechend sind, ist unklar.
Kein Überblick über die Kosten, keine Details
Finanzieller Kern dieses Engagements ist mit inzwischen etwa 130 Millionen Euro im Jahr die sogenannte Ertüchtigungsinitiative, die im Jahr 2016 eingerichtet wurde. Ähnliche Programme gab es in kleinerem Umfang bereits vorher, von Beiträgen zu NATO-Einsätzen in Bosnien, im Kosovo oder in Afghanistan über die Mittel für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung bis zur Entwicklungszusammenarbeit. Neu an den Ertüchtigungsmitteln ist, dass sie deutlich gestiegen sind und neben „nicht tödlicher“ Ausrüstung wie Lastwagen oder Funkgeräten auch die Lieferung von Waffen und Munition erlauben. Die ersten Partnerländer der neuen Initiative waren der Irak, Jordanien, Tunesien, Mali und Nigeria, 2018 kamen Burkina Faso und der Niger hinzu, 2019 Somalia und Gambia. Außerdem gibt es Einzelprojekte mit dem Libanon, den Vereinten Nationen oder der Afrikanischen Union.
Das schon seit den 1960er Jahren bestehende „Ausstattungshilfeprogramm für ausländische Streitkräfte“ (in Subsahara-Afrika) und das 2017 neu geschaffene „Polizei-Ausstattungs- und Ausbildungshilfeprogramm“ für Partner in Nordafrika, dem Nahen Osten und Nigeria geben zusammen noch einmal etwa 20 Millionen Euro pro Jahr aus. Dazu kommen die Personal- und Reisekosten der begleitenden Ausbilder- und Beraterteams aus Bundeswehr, Bundespolizei oder zivilen Expertinnen und Experten, teils – wie in Afghanistan oder in Mali – im Rahmen multilateraler Einsätze, sowie einschlägige Projekte der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, zum Beispiel zum Polizeiaufbau und Grenzmanagement in Subsahara-Afrika. All diese Aktivitäten steuert das Auswärtige Amt, meist gemeinsam mit dem Verteidigungs- beziehungsweise dem Innenministerium. Einen vollständigen öffentlichen Überblick über Kosten oder Personalaufwand gibt es nicht.
Die Bundesregierung nennt auch kaum Details dazu, was sie im Rahmen der Ertüchtigungsprojekte genau macht. Meist geht es wohl um Unterstützung beim Aufbau oder der Weiterentwicklung militärischer Fähigkeiten im Transport-, Logistik-, Sanitäts- und Pionierwesen, in einigen Ländern auch um Aufklärungs- und Führungsfähigkeiten. Im polizeilichen Bereich liegen die Schwerpunkte in der Kriminaltechnik, etwa der Forensik, und im Grenzmanagement, unter anderem in der Professionalisierung von Grenzkontrollen und in der Terrorprävention.
Im Vergleich zu den Investitionen in die Ertüchtigung und die Ausbildungs- und Beratungsmissionen, die im dreistelligen Millionenbereich jährlich liegen, sind die Ausgaben für die direkte Förderung von Reformprozessen gering: Im Jahr 2017 konnte die Bundesregierung weltweit nur fünf laufende Projekte in vier Ländern nennen, mit einem Gesamtumfang von 3,7 Millionen Euro über mehrere Jahre.
All diesen Aktivitäten ist gemein – gerade im Unterschied zu Frankreich, Großbritannien und den USA –, dass die Bundesregierung ihre Unterstützung als „rein fachlich“ in dem Sinne versteht, dass sie nicht in „politische“ Entscheidungen der Partnerregierung einzugreifen versucht. Das aus der Entwicklungspolitik entlehnte Prinzip der „local ownership“ wird sehr ernst genommen.
Wunschliste mit Schlagseite
Es sind allerdings nur die staatlichen Partner vor Ort, die ihren „Bedarf“ formulieren sollen. Das machen die auch, das Ergebnis ist meist eine Wunschliste mit Schlagseite: staats- beziehungsweise elitenzentriert, pragmatisch orientiert am Sofortbedarf oder aber Utopien mit geringem Bezug zur politischen Umsetzbarkeit. Die deutsche Seite streicht dann aus der Liste, was den deutschen Partner (Bundeswehr, Polizei usw.) personell überfordern oder für allzu aggressive oder repressive Zwecke missbraucht werden könnte. Der Großteil der Anschaffungsmittel fließt deshalb in Transportfahrzeuge oder medizinische Ausrüstung, während nur ein kleinerer Teil der Projekte zum Beispiel Waffen oder Munition zum Kampf etwa gegen den Islamischen Staat oder Boko Haram kauft.
Autor
Philipp Rotmann
leitet die Arbeit zu Frieden und Sicherheit am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Zuletzt ist von ihm das Buch „Krieg vor der Haustür: Die Gewalt in Europas Nachbarschaft und was wir dagegen tun können“ (Dietz/bpb 2019, mit Sarah Brockmeier) erschienen.Daraus wird zunächst klar, dass das zugrundeliegende Problem tatsächlich besteht: In vielen Ländern versagen die Sicherheitskräfte allzu häufig bei dem Versuch, für mehr Sicherheit zu sorgen. Im Gegenteil, oft schaffen sie für den Großteil der Bevölkerung oder bestimmte Gruppen vor allem Unsicherheit. Welche gravierenden Auswirkungen der Missbrauch des Gewaltmonopols und der Verlust gesellschaftlichen Vertrauens hat, nehmen wir in Deutschland als NSU- und Rassismus-„Skandale“, als Abweichung von einer Norm wahr. In vielen der Partnerländer von Ertüchtigungs- oder Reformprojekten sind einzelne Übergriffe der Polizei kaum mehr berichtenswert, und in den Streitkräften schaffen Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft erst die Räume, aus denen heraus nichtstaatliche Gewaltakteure den Staat und die vielen Menschen bedrohen, die auf den Schutz des Staates in all seiner Unvollkommenheit angewiesen sind. So hemmen die großen Defizite im Sicherheitsapparat alle Aspekte menschlicher Entwicklung, von alltäglicher Sicherheit über rechtsstaatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bis zu Demokratisierung.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob es gelingen kann, diese Defizite durch rein „fachlich“ im Sinne der deutschen Praxis ausgerichtete Ertüchtigungs- und Reformhilfen zu bearbeiten, ohne ausdrücklich auch politisch Einfluss zu nehmen. Die Angehörigen der lokalen sicherheitspolitischen Eliten und der uniformierten Führungszirkel sind mitverantwortlich für den Zustand ihrer Truppen. Sie leben von ihrer Rolle darin, die von den nötigen Veränderungen nicht unberührt bliebe. Deshalb haben die wenigsten Interesse an echten Reformen.
Aus den öffentlich zugänglichen Angaben der Bundesregierung geht nicht hervor, dass im Rahmen der Projektentwicklung auch untersucht würde, welche Interessen innerhalb der Sicherheitsorgane durch die angestrebte Professionalisierung oder Reform berührt würden oder wie sie sich auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auswirken würden. Dabei erfordert bereits die Professionalisierung von Sicherheitskräften die Umverteilung von Macht, wenn zum Beispiel der Kommandeur nicht mehr zwischen Armee, Familie und ethnischer Gruppe lavieren, sondern die ihm verliehene Autorität nur noch regelkonform ausüben soll.
Riesige Apparate, vielfältige Beharrungskräfte
Noch politischer wird es bei Reformvorhaben, wenn ganze Institutionen nicht mehr der Sicherheit des Regimes, sondern der Bevölkerung dienen sollen. Die politischen Herausforderungen einer solchen Umorientierung riesiger Apparate gegen vielfältige Beharrungskräfte können veränderungswillige Generäle oder Politiker allein nicht stemmen, auch nicht mit ein bisschen Ertüchtigung, Beratung oder gut gemeinten Menschenrechtstrainings. Als unpolitisch-technische Projekte können Ertüchtigungs- und Reformprogramme also nicht erfolgreich sein.
Die Beharrungskräfte und die Interessen der Menschen in den Sicherheitsbehörden sind weder illegitim noch Grund, von einer Zusammenarbeit abzusehen. Doch die zuständigen deutschen Entscheidungsträger stellen sich heikle Fragen wie die nach den Reform- und Professionalisierungsblockaden bislang nur selten. Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung für wirksame Ertüchtigungs- oder Reformprogramme.
Das ist im militärischen Kontext am besten erforscht. Eine Studie über die langjährige Ertüchtigungspraxis der USA kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die seltenen Erfolge nur dann erzielt wurden, wenn es gelang, zum Beispiel durch direkte politische Einflussnahme auf die Auswahl von Spitzenpersonal die Qualität der fachlichen Führung der Partnerstreitkräfte zu stärken, ohne dass die US-Regierung in eine politische Abhängigkeit gegenüber dem Partner geriet. Nur dann konnte Ausstattungs- und Ausbildungshilfe wirken. Das ist den USA im griechischen Bürgerkrieg 1946–49, in Südkorea 1949–53 und in den 2000er Jahren bei einzelnen Spezialeinheiten in Afghanistan und Irak gelungen. Weitaus häufiger ist es gescheitert: in Vietnam, El Salvador, Pakistan und beim Großteil der afghanischen und irakischen Sicherheitskräfte.
Die Studie ist nur eine von vielen, die zu dem Schluss kommen, dass die entscheidenden Faktoren politisch sind: Ist die Partnerregierung gewillt und fähig, die Bevölkerung von der Legitimität ihrer Herrschaft zu überzeugen und die hierfür nötigen Schritte zu gehen? Haben die herrschenden Eliten und ihre internationalen Unterstützer ein gemeinsames Verständnis dieses politischen Ziels? Die Forschung lehrt, genauer hinzuschauen, wenn es scheint, als stünden nur „technische“ Defizite der Schnittmenge der politischen Interessen Deutschlands oder Europas mit denen der Partnerregierung im Weg.
Mali, Afghanistan, der Irak oder auch relativ stabile Länder wie Jordanien oder Tunesien brauchen zweifellos handfeste Unterstützung, gerade auch bei der Verbesserung ihrer Menschenrechtsbilanz. Doch es gibt nicht nur Schnittmengen, sondern auch Interessenskonflikte mit denen, die eine Partnerregierung und ihren Sicherheitsapparat tragen. Und wenn eine Polizei oder Streitkraft in der einen oder anderen Hinsicht nicht so tüchtig ist, dann fehlt es nicht nur an Werkzeug oder Wissen, sondern auch an politischen Voraussetzungen für deren erfolgreichen Einsatz – wie in den Ländern des Nordens auch, wo kaum jemand als Lösung für das Polizeiproblem in den USA ein Ertüchtigungsprojekt vorschlagen würde.
Die „nicht so tüchtigen“ Partner sind nämlich nicht Generäle und Minister geworden, weil sie dumm wären, weil ihnen der Zugang zu Geld oder Fachwissen fehlte. „Ertüchtigung“ allein wird ihre politischen Probleme nicht lösen. Ohne die Bereitschaft, ihren politischen Einfluss – nicht mit dem deutschen Zeigefinger, sondern mit dem nötigen Fingerspitzengefühl und Respekt für die lokalen Realitäten – in die Waagschale zu werfen, werden Deutschland und Europa keinen wirksamen Beitrag zu sicherheitspolitischen Reformplänen ihrer Partner leisten können. Auch ohne öffentlich zugängliche Evaluierungen legt der Blick auf Afghanistan, dem Irak oder Mali nahe, dass hier noch Nachholbedarf besteht.
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