Keine Gäste wegen Corona: Der Hotelbesitzer Lionel Lopez inspiziert
in Ndangane im Senegal die leeren Bungalows seiner Anlage.
Der Tourismus ist eine der Wirtschaftsbranchen in Entwicklungsländern,
die als Folge der Pandemie hohe Verluste verzeichnen.
Die Corona-Pandemie treibt Entwicklungsländer in eine schwere wirtschaftliche Krise. Aufgrund der Krise flauen Rohstoffexporte ab, der Tourismus bricht ein, Arbeitsmigrantinnen und -migranten verlieren ihre Jobs und können kein Geld mehr in ihre Heimatländer überweisen. Schwache öffentliche Gesundheitssysteme sind von der wachsenden Zahl an Covid-19-Fällen gefordert.
Während westliche Länder milliardenschwere Rettungspakete für ihre Wirtschaft schnüren, ist das für viele Entwicklungsländer nicht möglich. Die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds und der Vereinten Nationen reicht nicht aus, um die Folgen der Krise deutlich abzuschwächen.
Einen Weg, um für diese Länder die Folgen der Krise zu lindern, sehen zivilgesellschaftliche Organisationen in einem Schuldenerlass und in der Streichung aller Schuldendienstzahlungen. Das sei „der schnellste Weg, um finanzielle Mittel, die bereits im Land sind, zur Bekämpfung der gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen, die durch die globale Covid-19-Pandemie entstehen, zu mobilisieren“, heißt es in einer Stellungnahme des deutschen Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de, die 200 zivilgesellschaftliche Organisationen unterschrieben haben. Darunter ist auch die Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud, die in der Schweiz eine „Zivilgesellschaftliche Aktion für einen Schuldenerlass für arme Länder durch Schweizer Banken“ lanciert hat.
Gemäß Zahlen der Schweizer Nationalbank haben 86 der ärmsten Länder insgesamt 5,7 Milliarden Franken Schulden bei 40 Schweizer Banken. Gemeinsam mit weiteren Organisationen fordert Alliance Sud diese Banken nun auf, die Forderungen abzuschreiben. Die Schweizer Regierung solle zu diesem Zweck einen runden Tisch einberufen, an dem Banken, die Zivilgesellschaft und die Schuldnerregierungen über die Modalitäten des Erlasses verhandeln.
Schulden in Höhe der Hälfte der Wirtschaftsleistung
Gemäß Zahlen der Weltbank sind die Schulden der ärmsten Länder in nur vier Jahren von durchschnittlich 30 Prozent (2013) auf 50 Prozent (2017) des Bruttoinlandprodukts gewachsen. Der von den NGOs geforderte Schuldenerlass würde die dringend nötige Entlastung der Staatshaushalte bringen, sagte Silva Lieberherr von Brot für alle in einem Interview mit dem Onlinedienst „reformiert.ch“. Die 5,7 Milliarden Franken entsprächen einem Viertel der gesamten Ausgaben für das Gesundheitswesen der 70 ärmsten Länder.
Mit dieser Forderung knüpfen die NGOs an die Vorreiterrolle der Schweiz in der Kampagne „Entwicklung braucht Entschuldung“ Anfang der 1990er Jahre an. Das Parlament bewilligte damals 500 Millionen Franken für das Schweizer Entschuldungsprogramm. Es war weltweit eines der ersten dieser Art und bereitete den Weg für die multilateralen Entschuldungsprogramme der 1990er Jahre. Lieberherr gibt der Forderung nach einem Schuldenerlass auch heute gute Chancen. Für die 40 Schweizer Banken seien die insgesamt knapp sechs Milliarden Franken keine bedeutende Summe. Zum Vergleich erwähnt sie das Bußgeld in Höhe von 4,5 Milliarden, das allein die Großbank UBS im Jahr 2019 in Frankreich wegen Beteiligung an Steuerhinterziehung zahlen musste.
Auf Medienanfragen erklärte die Schweizer Bankiervereinigung, sie sei für eine Teilnahme an einem runden Tisch bereit, wenn der Bundesrat, die Schweizer Regierung, diesen ins Leben rufe. Offen ist, ob das zuständige Finanzdepartement sich für einen Schuldenerlass oder einen runden Tisch einsetzen wird.
Kurz nachdem die NGOs ihre Forderung lanciert hatten, reichte die Grünen-Fraktion während der Parlamentssession eine Frage dazu ein. Der Bundesrat antwortete Anfang Juni, er halte einen generellen Schuldenerlass nicht für sinnvoll. „Störungen des Vertrauens ins Marktsystem“ seien zu vermeiden, auch weil diese den Zugang von Ländern zu Kapital im Ausland gefährden könnten. Die Schweiz unterstütze bereits die G20-Initiative, die vorsieht, den Schuldendienst der ärmsten Länder gegenüber ihren öffentlichen Gläubigern vorübergehend auszusetzen. Es gelte nun vor allem, die Pandemie weltweit rasch einzudämmen.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. In der G20-Initiative gehe es nur um ein Schuldenmoratorium, sagt Dominik Gross, Finanzexperte bei Alliance Sud. Das löse das Problem nicht, sondern verschiebe es nur. Deshalb bleiben die NGOs bei ihrer Forderung nach einer Schuldenstreichung.
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