Bei der Sudan-Partnerschaftskonferenz am 25. Juni haben internationale Geber rund 1,8 Milliarden US-Dollar für den Sudan zugesagt, um den demokratischen Übergang nach dem Sturz Al-Baschirs zu unterstützen. Was soll mit dem Geld passieren?
Hauptsächlich soll das soziale Sicherungssystem im Sudan finanziert werden. Mit einer Art Grundeinkommen für arme Bevölkerungsschichten sollen die Folgen des Abbaus der Subventionen für Benzin und Speiseöl abgefedert werden. Außerdem sollen Gelder in den Gesundheits- und den Energiesektor fließen. Beides ist wahnsinnig wichtig. Die Coronapandemie hat deutlich gemacht, wie schlecht die Krankenhäuser im Sudan ausgestattet sind. Und für die Modernisierung der Wirtschaft braucht es Strom.
Über welche Kanäle fließt das Geld ins Land?
Es gibt unterschiedliche Fonds, die von der Weltbank aufgelegt werden. Manche Vorhaben werden von internationalen Organisationen und den Vereinten Nationen abgewickelt. Die Gelder für das soziale Sicherungssystem werden direkt vom sudanesischen Ministerium für Arbeit verteilt.
Vor knapp einem Jahr, im Sommer 2019, wurde eine Übergangsregierung aus Militärs, Milizen und Zivilisten gebildet. Der Übergangsrat soll demokratische Reformen auf den Weg bringen und Wahlen im Jahr 2022 vorbereiten. Was wurde bisher erreicht?
Die Erwartungen seitens der Bevölkerung sowie der Aktivistinnen und Aktivisten an den Übergangsrat sind unglaublich hoch. Sie kritisieren, dass die Reformen im Sicherheitssektor und im Justizbereich nicht wirklich vorankommen. Zum Beispiel wurde das Massaker von Paramilitärs an Demonstrierenden am 3. Juni 2019 noch nicht aufgearbeitet. Gleichzeitig gibt es nach wie vor ein großes Vertrauen in die Regierung von Premierminister Abdalla Hamdok. Das zeigt sich in der Coronapandemie: Nur wenige Menschen haben sich nicht an die Maßnahmen der Regierung gehalten. Die größte Baustelle ist derzeit die Wirtschaft.
Inwiefern?
Die Inflationsrate liegt bei 120 Prozent, es wird für viele Sudanesinnen und Sudanesen immer schwieriger, die lebensnotwendigen Güter zu bezahlen. Von ihren Einnahmen überleben zu können, ist eine berechtigte Erwartung vieler Sudanesinnen und Sudanesen.
Gefährdet die wirtschaftliche Krise den demokratischen Übergang?
Ja. Wenn es die Regierung nicht schafft, die Lage zu verbessern, verliert sie das Vertrauen der Bevölkerung. Viele Menschen verbinden mit der Revolution und Demokratie die Hoffnung auf ein besseres Leben – dass sie sich ernähren können und eine lebenswerte Zukunft haben. Wenn das nicht gelingt, wird es viel schwieriger für die Übergangsregierung und einen demokratischen Neustart.
Welche Reformen sind nötig, um die wirtschaftliche Lage des Sudan zu verbessern?
Man schätzt, dass die Elite des alten Regimes Gelder in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags auf Konten in den Golfstaaten, aber auch in Europa gelagert hat. Dieses Geld braucht der Sudan, um das nächste Jahr zu überleben. Langfristig muss sich die Wirtschaft diversifizieren, das Land sollte sich nicht nur auf Einnahmen aus dem Ölsektor verlassen. Man sollte unter anderem über eine Industrialisierung, den Aufbau des Minensektors und die Förderung des Tourismus nachdenken.
Die Übergangsregierung setzt sich aus Zivilisten, Generälen und Milizenführern zusammen. Wer gibt momentan den Ton an?
Die politische Gestaltungsmacht liegt bei den zivilen Fraktionen: Sie treiben die Projekte voran und sind federführend bei der politischen Planung. Gleichzeitig profiliert sich der Führer der paramilitärischen Rapid Support Forces, Mohammed Hamdan Daglo, in der Region. Er reist häufig in die Golfstaaten und ist bei den Friedensverhandlungen im Südsudan dabei. Wenn es zu einem Konflikt kommt, ist er sicherlich einer der mächtigsten Männer im Sudan.
Befürchten Sie einen Putsch des Militärs oder paramilitärischer Einheiten, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung schwindet?
Diese Gefahr besteht. Das Militär könnte übernehmen und sich als Macht darstellen, die Ordnung ins Chaos bringt. Das Militär würde die Situation der Bevölkerung aber nicht verbessern, sondern in die eigene Tasche wirtschaften.
Wie kann die Europäische Union die demokratischen Kräfte im Sudan unterstützen?
Die Partnerschaftskonferenz am 25. Juni hat gezeigt, wie es geht. Die Statements haben deutlich gemacht, dass man die Revolution und die zivilen Kräfte unterstützen will. Gut war auch, dass die Konferenz im Internet übertragen wurde und transparent war. Die Sudanesinnen und Sudanesen haben während der Revolution und danach klargemacht, dass sie keine Einmischung von außen wollen. Die EU sollte nicht mit einem Demokratisierungsplan in den Sudan kommen, sondern die demokratischen und zivilen Kräfte im Land unterstützen.
Wie sollte sie sich gegenüber den Generälen und Milizenführern in der Übergangsregierung verhalten?
Auch bei dieser Frage würde ich mich an den Sudanesen orientieren. Sie haben entschieden, dass die Generäle und Milizenführer ein Teil ihrer Übergangsregierung sind. Deshalb muss man auch mit Leuten wie dem General Abdel Fattah Abdelrahman Burhan sprechen. Auf der anderen Seite sollte man klar machen, dass Premierminister Hamdok die Führung innehat – und nicht etwa der Milizenführer Mohammed Hamdan Daglo. Das machen die Europäer eigentlich schon ganz richtig.
Das Gespräch führte Moritz Elliesen.
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