Am Kap der grünen Hoffnung

Frances, Le Figaro Magazin, Laif

Obst und Gemüse auf einem Biomarkt in Kapstadts Szeneviertel Woodstock. Der Veganismus fasst langsam Fuß in Südafrika. 

Südafrika
In Südafrikas Küche stehen Fleisch-, Ei- und Milch­­­­pro­dukte traditionell hoch im Kurs. Doch seit einigen Jahren blüht der Veganismus auf – allerdings nur bei denen, die es sich leisten können.

Die Zahl bewusster Käufer nimmt zu. Ihnen ist nicht mehr egal, wie sich ihr Konsum auf die Umwelt auswirkt. Auf Pflanzen umzusteigen ist für sie ein wirksamer Weg, Wandel anzustoßen.“ Diese Ansage kommt nicht aus Europa oder den USA, sondern vom Südzipfel Afrikas. Dort, im Herzen Johannesburgs, betreibt Matthew Ballenden einen veganen Supermarkt. Die Bestseller seines „Fresh Earth Food Store“ sind Biogemüse, veganer Käse, hausgemachte Mahlzeiten und Convenience Food. Darüber hinaus bewirtet Ballenden Johannesburgs vegane Community in einem eigenen Café und mit seinem Cateringservice. In einem Land, das traditionell seine Liebe zum Fleisch mit herzhaften Snacks pflegt und auch Ei- und Milchprodukte schätzt, gibt ihm der Erfolg recht. Nach 15 Jahren im vegan-vegetarischen Geschäft ist er überzeugt: „Die pflanzliche Ernährung findet täglich neue Anhänger. Die Menschen wachen auf und nehmen eine dringend nötige Veränderung vor.“ 

Veränderung? Nein, nicht für den Kapstädter George H., der im Brustton der Überzeugung erklärt: „Fleisch ist mein Gemüse!“ Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Wie ihre niederländischen Urahnen in Kolonialzeiten stellen heute vor allem weiße Südafrikaner Biltong her. Das sind würzige, herzhafte Streifchen Trockenfleisch. Mal aus Kuduantilope, mal aus Strauß, meist aus Rind. Die ausgedörrten Happen werden dann von allen Ethnien des Vielvölkerstaats vernascht, in der Mittagspause, im Stadion oder zu Hause auf der Couch. Auch das gesellschaftliche Leben in den Vororten und Townships findet meist um ein „Shisa nyama“ oder „Braai“ herum statt: Solange ein Stück Fleisch über dem Feuer brutzelt, passt die Stimmung. „Südafrika ist ein Land, reich an Kulturen, die offenbar allesamt eine Vorliebe für Fleischgerichte teilen“, bekennt sogar das Portal „The Veganary“, das sich damit rühmt, Veganer rund um die Welt zu beraten. Laut der Weltorganisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) nehmen Südafrikaner jährlich 59 Kilo Fleisch zu sich. Das ist immer noch weniger als in Deutschland (88 kg), doch auf dem afrikanischen Kontinent ist Südafrika Spitzenreiter und wird nur noch vom westafrikanischen Gabun (66 kg) übertroffen. 

Allmählich verändern sich die Essgewohnheiten

Für eine allmähliche Veränderung traditioneller Essgewohnheiten sprechen dagegen Geschichten wie die von Michelle October. Nachdem die Journalistin beim südafrikanischen Magazin „Women’s Health“ ein Youtubevideo über die Massentierhaltung in der Milch­industrie gesehen hatte, wagte sie 2016 den Selbstversuch. Sie verzichtete von heute auf morgen auf Tierprodukte. „Ich tat es für die Tiere, aber auch für meine Gesundheit. Mein Cholesterin ging runter und ich fühle mich viel besser als vorher.“ Der „minimale Aufwand“, der mit der Ernährungsumstellung kam, sei es wert gewesen, schreibt October. Auch sie ist mit ihrer Einstellung in Südafrika längst nicht mehr allein. Immer mehr der 58 Millionen Einwohner des Schwellenlands verzichten gänzlich auf Tierprodukte. Ihr Beweggrund ist derselbe wie für Veganer in Europa oder den USA: eine gesündere Lebensweise, das Tierwohl, das Klima, Natur-, Arten- und Meeresschutz. Der konkrete Schritt hat dann „viel mit Gruppendynamik zu tun und damit, einem Trend zu folgen“, meint die Ernährungswissenschaftlerin Sheryl Hendriks von der Universität Pretoria. 

Da es bislang keine Statistiken oder Studien über Veganismus am Kap gibt, wird der Trend am besten im Internet sichtbar. Google-Trends etwa listet die Häufigkeit von Suchbegriffen nach Region. Demnach lag Südafrika 2019 sowohl bei dem Suchbegriff „Veganismus“ als auch bei „vegane Rezepte“ und „vegane Restaurants“ im Englischen jeweils auf Platz 7. Bei „Veganismus“ landete Südafrika noch vor den USA. Und selbst beim Begriff „vegan“, der im Deutschen und Englischen dieselbe Bedeutung hat, lag Südafrika auf Platz 13. 

Glaubt man der Google-Auswertung, ist das vegane Zentrum des Landes die Provinz Westkap mit Südafrikas Parlamentshauptstadt Kapstadt. Hier gründeten die beiden Schwestern Taryn und Keri Young 2008 das Unternehmen Pop Secret. Ihre Spezialität: milch- und eifreies Eis am Stiel. „Es fand sofort Anklang, sowohl bei Veganern als auch bei Nichtveganern“, erinnert sich Taryn Young. Fünf Sorten, darunter „Erdbeertraum“ oder „Erdnussbutter-Schoko“ gebe es immer im Sortiment, daneben werde je nach Saison und Anlass experimentiert. „Südafrika ist ohne Zweifel ein Land, das Fleisch und Milch liebt. Aber wir erkannten, dass immer mehr Menschen gesundheitsbewusster dachten und diese Produkte einsparten.“ Dass Südafrikaner die pflanzliche Ernährung individuell auslegen, zeigt sich an den Eislollis: „Wir betreiben kein komplett veganes Unternehmen, da wir einige Eislutscher mit Honig süßen. Der ist streng genommen nicht vegan.“ Einige Veganer störe das, andere nicht. 

Imbisse versorgen Hungrige mit veganem Junkfood

Vegane Kebapspieße, Cheeseburger, Hotdogs – in Kapstadt sucht man nicht lange nach Läden, die auf reine Pflanzenkost setzen. Gleich zwei Imbissbuden in der Innenstadt versorgen die Kapstädter in ihrer Mittagspause mit „veganem Junkfood“. Das Internetportal „vegan SA“ bietet Interessierten ein Verzeichnis an Restaurants, Cafés und Läden, die ihr gesamtes oder zumindest einen ausgewählten Teil ihres Angebots vegan halten. In Johannesburg finden sich 30, in Kapstadt gleich 60 Restaurants mit entsprechenden Gerichten auf der Speisekarte. Im September soll mit der „Vegan & Plant Powered Show“ in der Atlantikmetropole die erste große Veganer-Expo Afrikas stattfinden. 

Autor

Markus Schönherr

ist freier Korrespondent in Kapstadt und berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus dem südlichen Afrika.
Selbst einige Ernährungsexperten wie Hendriks sind erstaunt über den veganen Trend. Wie in Europa muss man in Südafrika längst keine Fachgeschäfte mehr aufsuchen, um mit dem Thema konfrontiert zu werden. „In den Supermarktregalen findet man immer mehr vegane Produkte. Viele sind importiert, aber auch örtlich produzierte Lebensmittel, Hygiene- und Reinigungsmittel nehmen zu“, so die Dozentin. Laut Pick n Pay, einer der größten Supermarktketten des Landes, habe sich die Nachfrage nach veganen Produkten im zweiten Halbjahr von 2019 gegenüber der ersten Jahreshälfte mehr als verdoppelt. Der Großkonzern reagierte inzwischen mit veganen Samosas und Snacks aus dem Tiefkühlregal sowie mit veganer Schokolade. Schon 2017 untersuchte das

Marktforschungsunternehmen Mintel in London die Neuvermarktungen veganer Produkte. Rund vier Prozent davon kamen damals in Südafrika neu auf den Markt – damit lag es zwar nur im Mittelfeld, aber immer noch vor Industriestaaten wie Spanien, Italien oder Österreich. „Genauso wie veganes Essen immer populärer wird, steigt auch die Nachfrage nach veganen

Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetikartikeln und Haushaltswaren“, sagt Drue Birch, Marketingbeauftragter bei Wellness Warehouse. Die südafrikanische Reformhauskette reagierte auf den Trend mit eigenen Pop-up-Shops in ihren Läden unter dem Motto „Plant Power“: Für pflanzliche Babynahrung, Reinigungsartikel, Kosmetik und Knabbereien gibt es nun eine einzige Anlaufstelle. „Es liegt an uns, mit den Wünschen und Nachfragen von Konsumenten auf dem neuesten Stand zu bleiben“, so Birch.   

„Südafrikaner zahlen Unsummen für ein Hackfleischlaibchen aus dem Labor, welches zwar bluten kann, aber kein Gramm Fleisch enthält“ – mit diesem Aufmacher sorgte zu Jahresbeginn die südafrikanische „Sunday Times“ für Aufsehen. Die Frikadelle aus Erbsenprotein soll durch ihr Rote-Beete-Blut überzeugen. Längst habe es der „Burger-Doppelgänger“ in die Menükarten von Fast-Food-Ketten und Cafés geschafft. Es gehe nicht darum, Ei, Milch und Fleisch von seinem Speiseplan zu verbannen, sondern um einen aufgeklärten, engagierten und mitfühlenden Lebensstil, meint eine Kapstädter Journalistin. Für viele aber bleibt dieser Lebensstil unerschwinglicher Luxus. Südafrika gilt als Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung der Welt. Jeder Dritte ist arbeitslos, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Nach 26 Jahren nennen immer noch viele ein Township ihr Zuhause. 

Pflanzliche Ersatzprodukte sind für arme Südafrikaner zu teuer 

Linsen, Kartoffeln, Zwiebeln und Kürbisse sind billiger als alles andere und als Grundnahrungsmittel in Südafrika sogar von der Mehrwertsteuer ausgenommen. Viele Townshipbewohner, erzählt Hendriks, ernähren sich von Pap, dem traditionellen Maisbrei, und dazu einer Soße aus Tomaten und Zwiebeln. „Sie nennen es nicht vegan, auch wenn sie entsprechend essen.“ Doch über das Grundlegende geht der Speiseplan meist nicht hinaus. Eine pflanzliche Ernährung scheint für ärmere Haushalte unpraktisch. Wer Abwechslung will, muss mit Milch, Ei und Fleisch kochen – oder tief in die Tasche greifen. So zählen Ersatzlebensmittel wie Mandelmilch oder Sojajoghurt zu den teuersten Lebensmitteln, die es in Südafrika zu kaufen gibt. 

Ist der vegane Trend demnach ein Anzeichen für eine wachsende Mittelschicht in Südafrika? „Darüber gibt es noch keine Untersuchungen. Allgemein lässt sich aber beobachten, dass es in der Mittelschicht einen Trend hin zu einer pflanzlichen Ernährung gibt“, meint Kirby Hendricks von der Südafrikanischen Diätologenvereinigung. Dies könne durchaus mit Aufklärung zu tun haben. „Untersuchungen zeigen, dass eine Person umso mehr über die Auswirkungen ihres Handelns auf ihr Umfeld und ihre Umwelt nachdenkt, je größer ihr Zugang zu Bildung ist“, so Hendricks. 

Nicola Kagoro hat es sich zum Ziel gesetzt, den Südafrikanern, unabhängig von Ethnie und Einkommen, die vegane Küche näherzubringen. 2016 gründete die Köchin die Bewegung „African Vegan on a Budget“, seitdem veranstaltet sie vegane Dinner und Kochkurse. Zunächst beäugte man sie mit Skepsis. „Ich bekam Reaktionen wie ‚Eine Mahlzeit ohne Fleisch ist keine Mahlzeit‘.“ Doch mit ihren sechsgängigen Menüs, die zu hundert Prozent aus Pflanzen zubereitet werden, habe sie schon so manchen Kritiker überzeugt. 

Auch „Chef Cola“, wie Köchin 

Nicola Kagoro in der Küche genannt wird, sieht das Problem, dass ein abwechslungsreicher, ausgewogener veganer Lebensstil ein gewisses Budget voraussetzt. Umso mehr begrüßt sie, dass die pflanzliche Ernährung zunehmend auch Anhänger in der bis 1994 unterdrückten schwarzen Bevölkerungsmehrheit Südafrikas findet. Oder besser gesagt, dass diese zu ihrer ursprünglichen Ernährung zurückfinde. Denn Kagoro ist überzeugt: „Veganismus ist kein Konzept, das im Westen erfunden und nach Afrika gebracht wurde. Es ist ein Lebensstil, der von Beginn an Teil afrikanischer Kulturen war.“ Während Ernährungsforscher Südafrikas indigene Einwohner als Jäger und Sammler einstufen, die etwa Straußeneiner aßen und Jagd auf Vögel und Antilopen machten, wagt die Köchin die Theorie: „Wenn überhaupt, dann hat erst die Kolonialisierung den Fleischkonsum unter Afrikanern vorangetrieben.“

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Motorrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 7 / 2020: Der Plan für die Zukunft?
Dies ist keine Paywall.
Aber Geld brauchen wir schon:
Unseren Journalismus, der vernachlässigte Themen und Sichtweisen aus dem globalen Süden aufgreift, gibt es nicht für lau. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung – schon 3 Euro im Monat helfen!
Ja, ich unterstütze die Arbeit von welt-sichten mit einem freiwilligen Beitrag.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!