Rezession, Coronavirus und dazu Wirtschaftssanktionen: Eine Frau in Harare in Simbabwe deckt sich mit Lebensmitteln ein.
Das Coronavirus ist die größte Bedrohung der öffentlichen Gesundheit weltweit seit über einem Jahrhundert. Schon vor der Pandemie drohten in mehreren Ländern aufgrund lang anhaltender Konflikte, extremer Wetterereignisse und wirtschaftlicher Erschütterungen Hungersnöte, vor allem in Afrika südlich der Sahara und im Nahen Osten. Darüber hinaus leidet die Bevölkerung in vielen Ländern wie Simbabwe oder Iran unter Wirtschaftssanktionen der Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union. Die Pandemie macht deutlich: Solche einseitigen Sanktionen verletzen die Menschenrechte und sollten aufgehoben werden.
Covid-19 bringt nicht nur die Gesundheits- und Ernährungssysteme in vielen Ländern an ihre Grenzen, sondern zeigt uns einmal mehr, wie ungerecht und instabil die gegenwärtige Weltordnung ist. Die Pandemie hat die globalen Lieferketten für Nahrungsmittel unterbrochen, sehr zum Nachteil der Länder, die sich nicht selbst versorgen können und Lebensmittel importieren müssen. Corona vergrößert die seit langem bestehenden strukturellen Ungleichheiten in unseren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen.
Autorin
Hilal Elver
lehrt am Resnick Food Law and Policy Center an der University of California in Los Angeles. Von 2014 bis Mai 2020 war sie Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung.Während einige Sanktionen vom UN-Sicherheitsrat mandatiert sind, etwa Waffenembargos gegen Länder in bewaffneten Konflikten, werden die meisten einseitig von Staaten verhängt, vor allem von den Vereinigten Staaten, gefolgt von ihren engen Verbündeten in der Europäischen Union. Zu den Ländern, die derzeit vielfältigen Formen pauschaler Wirtschaftssanktionen unterliegen, gehören Burundi, Kuba, Iran, Libyen, Pakistan, Russland, Somalia, Sudan, Syrien, Jemen, Venezuela und Simbabwe.
Die Sanktionen treffen nicht die Eliten
In vielen Fällen wirken sich Wirtschaftssanktionen unverhältnismäßig stark auf besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Kinder aus – und nicht auf die Regierungseliten, die angeblich das eigentliche Ziel sind. Oft schränken Sanktionen die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und Medikamenten ein, mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit der Zivilbevölkerung.
Ein gängiges Argument für Sanktionen lautet, dass sie im Gegensatz zu militärischen Einsätzen nicht darauf zielen, Menschen im Zielland zu töten, weshalb sie als eine humanere Zwangsmaßnahme angesehen werden. Doch in Wirklichkeit ist das oft nicht der Fall: Tatsächlich können Sanktionen zerstörerischer auf die Wirtschaft des Ziellandes wirken als ein Militäreinsatz. Die meisten Länder, gegen die Sanktionen verhängt wurden, leiden ohnehin unter anhaltenden Kriegsbedingungen, befinden sich in einer Nachkriegssituation oder müssen mit Naturkatastrophen und wirtschaftlichen Härten fertigwerden. Wer gegen solche Länder Wirtschaftssanktionen verhängt, riskiert, dass sie zusammenbrechen.
Größere Not in Simbabwe und Kuba
Um ein Beispiel zu nennen: Simbabwe wurde im vergangenen Jahr vom tropischen Wirbelsturm Idai heimgesucht, einem der schlimmsten Stürme, der je auf Afrika getroffen ist. Die Sanktionen gegen Simbabwe trugen dazu bei, dass die ohnehin fragile Wirtschaft des Landes in eine tiefe Rezession mit hoher Inflation, Arbeitslosigkeit und mangelnder öffentlicher Grundversorgung rutschte. Nahezu 60 Prozent der Bevölkerung leiden heute unter großer Ernährungsunsicherheit.
Ebenfalls im Jahr 2019 verwüstete der Hurrikan Irma Kuba und seine Infrastruktur, die bereits infolge der langjährigen Sanktionen der Vereinigten Staaten bröckelte. Die Sanktionen vergrößerten die Not nach dem Sturm und Kuba benötigte mehr Zeit und Ressourcen, um sich von der Katastrophe zu erholen. Dennoch ist der Inselstaat auch ein gutes Beispiel für gelungene Selbstversorgung unter schwierigen Bedingungen: Kuba hat die Covid-19-Pandemie aufgrund seines sehr guten Gesundheitssystems eindrucksvoll bewältigt und ein vorbildliches agrarökologisches System zur Nahrungsmittelproduktion geschaffen.
Von Covid-19 besonders stark betroffen ist der Iran. Die weitreichenden Wirtschaftssanktionen der USA haben die Fähigkeit des Landes drastisch eingeschränkt, humanitäre Importe zu finanzieren, darunter Medikamente und medizinische Ausrüstung. Washington hat auch den Versuch Teherans blockiert, von der Weltbank ein Darlehen in Höhe von fünf Milliarden Dollar zur Bekämpfung der Pandemie zu erhalten.
Gegen den Geist des humanitären Völkerrechts
Obwohl Wirtschaftssanktionen nach internationalem Recht nicht ausdrücklich verboten sind, verletzen sie Geist und Substanz des humanitären Völkerrechts. Sie verletzen die Menschenrechte insbesondere von Kindern, Frauen und älteren Menschen, indem sie den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Medikamenten und Lebensmitteln erschweren. Die UN-Generalversammlung und der UN-Menschenrechtsrat haben einseitige Zwangsmaßnahmen wiederholt verurteilt. Beide haben die Rechtmäßigkeit von Sanktionen in Frage gestellt, weil sie ohne UN-Mandat von einzelnen Staaten verhängt wurden, vor allem aber wegen der schädlichen Folgen auf die humanitäre Versorgung.
Umfassende Sanktionen könnten zudem als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs betrachtet werden. Obwohl Wirtschaftssanktionen dort nicht ausdrücklich erwähnt werden, könnten sie als verbotene Handlungen angesehen werden, auf die an anderer Stelle im Statut Bezug genommen wird. Sanktionen können sogar auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen, wenn sie in ohnehin bestehenden Notfällen oder während einer globalen Pandemie die Zivilbevölkerung treffen. Mit diesem Argument hat die Regierung Venezuelas im Februar gemäß Artikel 14 des Römischen Statuts den Internationalen Strafgerichtshof angerufen. Die Chefanklägerin wird nun prüfen, ob der Fall eine Untersuchung rechtfertigt.
Globale Solidarität funktioniert so nicht
Überall auf der Welt werden als Reaktion auf die Pandemie neue Bande der Solidarität geknüpft. Deshalb sollten einseitige Wirtschaftssanktionen unverzüglich aufgehoben werden. Als Reaktion auf die Pandemie sollte die internationale Gemeinschaft sich ihrer Verantwortung bewusst werden und entsprechend handeln – so wie im Jahr 2014 während der Ebola-Epidemie in Westafrika: Damals erklärte der UN-Sicherheitsrat den Ausbruch zu einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und forderte die UN-Mitgliedstaaten auf, den betroffenen Ländern zu helfen. Während der Covid-19-Pandemie war der Sicherheitsrat nicht in der Lage, eine ähnliche Entscheidung zu treffen. Der Grund: Die USA waren bisher nicht bereit, die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation WHO oder anderen globalen Gesundheitsinitiativen zu fördern.
Die UN-Generalversammlung hingegen hat zwei Resolutionen verabschiedet, in denen sie zur Unterstützung der WHO aufruft und Covid-19 als Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit einstuft. Auch UN-Generalsekretär António Guterres rief zur globalen Solidarität auf: In einem Brief an die Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) bat er, die Aufhebung von Sanktionen zu prüfen, um in den betroffenen Ländern den Zugang zu Nahrungsmitteln, lebenswichtigen Gesundheitsgütern und medizinischer Versorgung zu erleichtern. Dies, so Guterres, „ist die Zeit für Solidarität, nicht für Ausgrenzung“.
Globale Solidarität funktioniert nicht, wenn gleichzeitig Wirtschaftssanktionen in Kraft sind. Wirtschaftssanktionen dienen lediglich dazu, das Überleben der einfachen Menschen zu erschweren. In einer Welt, in der wir alle auf die eine oder andere Weise voneinander abhängig sind, gilt es, das globale Gewissen zu wecken und Solidarität zu praktizieren. Einseitige Sanktionen sollten unter allen Umständen als ungesetzlich angesehen werden, insbesondere während humanitärer Notfälle. Und während einer Weltgesundheitskrise sollten sie als kriminell eingestuft und verboten werden.
Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.
Neuen Kommentar hinzufügen