Patrice Talon im Wahlkampf 2016. Nach seinem Wahlsieg schlug er einen autoritären Kurs ein.
Drei Frauen, drei Standpunkte: Beinahe im Gleichklang ziehen die jungen Frauen ihre Stühle zu sich. „Ich habe ein wenig Bedenken, dass ihr beide heute auf mich losgehen werdet“, sagt eine der drei, Christelle Medaho, während sie sich setzt. Die drei Frauen lachen.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Christelle Medaho ist Mitglied in einer der beiden verbliebenen Parteien im Parlament, Marie José Edon Allagbe ist in einer Gewerkschaft und Hayat Guile Fohe Mitglied einer Oppositionspartei. Sie zählen sich zu den „Jeunes Leaders“, den jungen Führungskräften in Wirtschaft und Politik in Benin. Sie gehören zu denen, die mit der gegenwärtigen Situation im Land nicht zufrieden sind und nach Veränderung streben. Wie diese aussehen soll, davon haben alle drei aber unterschiedliche Vorstellungen.
Die Frauen haben sich über das „Jeunes Leaders“-Programm der Friedrich-Ebert-Stiftung in Benin kennengelernt. Was sie eint, sind nicht ihre politischen Standpunkte, sondern die Freude an der Debatte darüber. Solche werden seit der Parlamentswahl im April 2019 in Benin immer öfter hinter verschlossener Tür geführt. Denn die Gräben zwischen den politischen Gruppen werden immer tiefer. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Frauen nicht davon abhalten lassen, zwar im kleinen Kreis, jedoch in Anwesenheit einer Journalistin über die Ereignisse des vergangenen Jahres in Benin zu diskutieren.
Benin ist ein schmaler Landstreifen mit Küstenabschnitt zwischen Togo und Nigeria. Elf Millionen Menschen leben hier. Zwischen 1892 und 1958 gehörte das Land zum französischen Kolonialreich. Auf die Kolonialherrschaft folgten Jahre der politischen Instabilität, dann eine Militärdiktatur, die sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnete. 1990 wurde eine Präsidialdemokratie eingeführt – fast gänzlich ohne Gewalt. Es folgten sechs weitere Präsidentschaftswahlen, die friedlich und einigermaßen fair abliefen. Daher galt Benin bis zuletzt als Vorzeigedemokratie Westafrikas. Doch im Jahr 2016 veränderte sich mit der Wahl von Patrice Talon zum Präsidenten einiges zum Schlechteren.
"Alles in Benin war öffentlich diskutabel“, sagt die 30-jährige Marie José Edon Allagbe, die in einem Büro in der Marketingbranche arbeitet. Nebenher ist sie Generalsekretärin der Jugendorganisation einer der zentralen Gewerkschaften in Benin. Solange sie sich erinnern könne, sei Benin eine Demokratie, in der die Meinungsfreiheit hochgehalten werde. Deshalb engagiere sie sich auch politisch. Jedoch nicht für den Staat oder eine Partei, sondern für die arbeitende Bevölkerung.
Historisch spielten die Gewerkschaften eine große Rolle in Westafrika. Sie waren es, die die Bewegung zur Unabhängigkeit ungewollt angestoßen haben. Das eigentliche Ziel der Streiks in den 1940er Jahren war die Gleichstellung zwischen französischen und westafrikanischen Arbeitern und Arbeiterinnen. Als sich daraus nationalistische Bestrebungen ableiteten, waren die Gewerkschaften eigentlich dagegen – sie fürchteten um Arbeitsplätze. Heute sind die Gewerkschaften Westafrikas stark zersplittert – auch in Benin. Ihr politischer Einfluss ist daher sehr gering. Aber ihr stärkstes Mittel bleibt der Streik.
Talon regiert Benin wie ein Manager
„Ich kann es nicht glauben, dass die Gewerkschaften wirklich aufgehört haben zu streiken“, sagt Hayat Guile Fohe, Mitglied der Opposition, und blickt dabei zu Edon Allagbe. Die atmet tief ein und schweigt für einen Moment. Der neue Präsident Talon hat Streiks und Demonstrationen zunehmend eingeschränkt. Seiner Ansicht nach stören sie das wirtschaftliche Wachstum. Das ist exemplarisch für seinen Politikstil: Talon regiert Benin wie ein Manager und baut den Staat auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten zu einer sogenannten Entwicklungsdiktatur um. Alles wird dafür getan, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst. Und wem dieser Stil nicht passt, der geht ins Exil, ins Gefängnis oder verstummt zwangsläufig.
Die Gewerkschaftlerin Edon Allagbe habe bei einem Streik oder Demonstrationen immer in der ersten Reihe gestanden und dabei nie Angst verspürt, sagt sie. Denn Gewalt seitens des Staates sei immer eine rote Linie gewesen, die nie überschritten wurde. Bis zu den Parlamentswahlen am 28. April 2019.
Bereits Anfang 2019 wurde bekanntgegeben, dass nur zwei Parteien zur Wahl antreten dürften – beide unterstützten Talon. Die anderen hätten angeblich nicht die Auflagen des neuen Parteiengesetzes erfüllt. Alle Parteien, die sich nicht öffentlich für Talon aussprachen, wurden nicht zugelassen. Die bürokratischen Hürden wurden ihnen zum Verhängnis.
Bis heute ärgert sich Hayat Guile Fohe darüber. Die 35-Jährige ist Radiojournalistin und für die Kommunikationsstrategie ihrer Partei Demokratische Union für ein neues Benin (UDBN) zuständig. Sie engagiere sich bei dieser Partei, weil die sich von allen am stärksten für Frauen- und Kinderrechte einsetze. Entsprechend steht an der Spitze der Partei auch eine Frau. „Eine Präsidentin würde Benin guttun“, ist Guile Fohe überzeugt. Sie war mitverantwortlich, dass alle Bedingungen für die Zulassung zur Wahl im vergangenen April erfüllt wurden. Im ganzen Land sei sie dafür unterwegs gewesen – monatelang. Formal habe die UDBN alles erfüllt, sagt Guile Fohe. Doch erst zehn Minuten vor Mitternacht am letzten Tag der Frist sei ihrer Partei das letzte fehlende Dokument von einer staatlichen Stelle zugeschickt worden. In der verbleibenden Zeit bis Mitternacht habe sie dieses Dokument zum Innenministerium bringen müssen. Sie kam wenige Minuten zu spät, deswegen wurde die Partei nicht zur Parlamentswahl zugelassen. Mittlerweile ist die UDBN jedoch offiziell anerkannt – nachdem sie Talon öffentlich als Präsidenten akzeptiert hat.
Normalerweise gehen in Benin im Schnitt 66 Prozent der Wahlberechtigten wählen. Im April 2019 waren es laut dem Verfassungsgerichtshof nur 27 Prozent. Dafür waren die Straßen voll. Vor, am und nach dem Wahltag wurde im ganzen Land demonstriert. Spontan und unorganisiert. Bis zum ersten Maitag, als in Cotonou das Haus von Thomas Boni Yayi, dem ehemaligen Präsidenten und prominentesten Gegner Talons, vom Militär umstellt wurde. Gegen jene Zivilisten, die dagegen demonstrierten, richtete das Militär die Waffen.
Die Gewerkschaftlerin Edon Allagbe war zu dem Zeitpunkt an einem anderen Ort der Stadt. Über WhatsApp hatte sie von der Demonstration erfahren. Sie wollte ihre Sachen packen, hineilen und in der ersten Reihe stehen – so wie sie das immer getan hatte. Doch zum ersten Mal sei sie von Freunden gebeten worden, besser zu Hause zu bleiben. Sie folgte dem Ratschlag, doch das habe sich falsch angefühlt. Während sie davon erzählt, blickt sie aus dem Fenster. Das Haus von Boni Yayi ist nur wenige Straßen vom Ort des Gesprächs, dem Sitz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Benin, entfernt. Von hier aus seien Schüsse zu hören und ein brennendes Auto zu sehen gewesen, erzählen Mitarbeiter der Stiftung.
Autorin
Vera Deleja-Hotko
ist freie Journalistin aus Wien. Sie berichtet unter anderem über Wirtschaft und Politik in Westafrika.Diese Ereignisse in Cotonou und Tchaourou haben einen Schock hinterlassen. Die Bevölkerung ist zutiefst gespalten. Früher sei es kein Problem gewesen, wenn beispielsweise die Schwester in einer anderen Partei war als der Bruder, erzählt Guile Fohe. Die anderen beiden nicken. Doch seit Talon Präsident ist, führe so etwas zu innerfamiliären Spannungen. Umso erstaunlicher ist es, dass die drei Frauen hier sitzen und sich unterhalten, ohne dabei unfreundlich oder wütend zu werden.
Christelle Medaho hält sich bei einigen Themen zurück. Sie ist biomedizinische Labortechnikerin und Mitglied der Union Progressiste, der Progressiven Union. Diese ist kurz vor der Parlamentswahl aus einem Zusammenschluss mehrerer Parteien hervorgegangen und war zur Wahl zugelassen. Ihre Partei erkennt Talon als Präsident nicht nur an, sondern unterstützt ihn aktiv.
"Das Streikverbot hat auch einiges Gutes"
Die 25-Jährige ist davon überzeugt, dass eine liberale Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Lebensumstände in Benin führen wird. Talon, ein Unternehmer, der durch den Handel mit Baumwolle nach dem Ende der Diktatur reich geworden ist, sei daher ein guter Kandidat, um dies umzusetzen. Deswegen sieht sie in dem von ihm erlassenen Streikverbot auch einiges Gutes. Früher hätte es beispielsweise vor allem in Krankenhäusern zu wenig aktives Personal gegeben, denn die Mitarbeiter hätten zu oft gegen die Arbeitsbedingungen und die Löhne gestreikt. Solche Umstände würden die Produktivität gefährden, die das Land so dringend brauche. Es sei wichtig, den Willen der Wähler und Wählerinnen zu akzeptieren. Und die hätten nun einmal mehrheitlich für Talon gestimmt.
Medaho stimmt allerdings zu, dass die politischen Entwicklungen in den vergangenen Monaten problematisch waren. „Ich finde es schade für eine Demokratie, wenn keine Oppositionsparteien zur Wahl antreten“, sagt Medaho. „Das verhindert die Debatte und den Austausch von Ideen.“ Der Wahlgang ohne Opposition, aber auch die Waffen, die gegen Demonstrierende gerichtet wurden, hätte sie verunsichert. Warum sie dennoch in der Partei geblieben ist? Weil sie überzeugt sei, dass sie nur von innen, aus der Partei heraus, für Veränderung sorgen kann. Und Veränderung bräuchte es dringend in Benin, vor allem hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, findet Medaho.
„Ich möchte euch noch etwas erzählen“, Guile Fohe lehnt sich etwas nach vorne und beugt sich über den Tisch. Bei einem gemeinsamen Essen mit Freunden und Freundinnen, ebenfalls jungen „Jeunes Leaders“, hätten sie herumgesponnen. Hätten sich ausgemalt, wie es denn wäre, wenn jemand aus ihrer jungen Runde, jemand mit der Demokratie im Herzen, zum Präsidenten gewählt würde. Vielleicht sogar eine Frau. Die anderen beiden lächeln und nicken. Im März 2020 finden Kommunalwahlen statt, im April 2021 dann die Präsidentschaftswahl.
Dann schieben sie ihre Stühle zurück und stehen auf. „Bis zum nächsten Mal“, ruft Guile Fohe zum Abschied und winkt, bevor sie durch die Türe verschwindet. Hoffentlich können sie dann wieder öffentlich debattieren statt hinter verschlossener Tür.
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