Eine Frau verarbeitet am Strand von Kafountine im Süden des Senegal frisch gefangenen Fisch.
Mame Penda Ndoye hat an diesem Morgen viel zu tun: Die alte Dame ist die Vorsitzende des Vereins der Fischverarbeiterinnen in M’bour, einer Stadt unweit von Senegals Hauptstadt Dakar. Mit großer Bestimmtheit regelt sie die Probleme, die auf dem Gelände auftauchen, wo frischer Fisch getrocknet wird. Eine Frau ist empört, ihr Geld wurde gestohlen. Mame Penda Ndoye muss schlichten. Eine andere hat einen Todesfall in ihrer Familie zu beklagen; dafür muss sie Geld sammeln. Ein Jugendlicher hängt herum. Mame Penda Ndoye mahnt die Frauen, ihm etwas zu tun zu geben, denn er braucht ein kleines Einkommen. Und sie rügt eine Frau, die getrockneten Fisch kauft, um ihn in Dakar auf einem Markt weiterzuverkaufen, weil sie den bereits bezahlten Beutel zu voll stopft.
156 dieser registrierten Kleinunternehmerinnen verarbeiten Fisch hier direkt am Meer am Stadtrand. Auf Holz- und Strohtischen liegen Stücke von Hai, Doraden, Yabooy und vielen anderen Fischen zum Trocknen in der Sonne. Yabooy ist die Bezeichnung für Sardinellen – in Wolof, der Umgangssprache im Senegal. Dem landesweit beliebten Gericht Tiep – Reis, Gemüse und Fisch – geben die Sardinellen den Geschmack. Der Fisch ist außerdem sehr reich an Omega-3-Fettsäuren und war bisher nur für den lokalen Markt bestimmt. Denn seine vielen Gräten machen den Yabooy untauglich für den Export außerhalb der Region.
„Die Sardinelle ist sehr wichtig für die Ernährungssicherheit Westafrikas“, sagt Ibrahima Cissé, Mitarbeiter von Greenpeace Westafrika in Dakar. Drei Viertel der tierischen Proteine, die die Menschen im Senegal zu sich nehmen, kommen vom Fisch. Der Yabooy steht dabei an erster Stelle. An diesem Morgen ist gerade eine Frau aus Togo eifrig dabei, trockenen Fisch zu kaufen. Sie kommt zwei Mal pro Jahr nach M’bour und will gleich einen ganzen Lieferwagen füllen. In Lomé, der Hauptstadt von Togo, verkauft sie den Fisch an die Marktfrauen weiter. Der Fisch aus dem Senegal sei beliebt, sagt sie, und ja, auch sie kauft viel Yabooy.
Doch das Vorkommen der Sardinelle ist bedroht. Grund dafür sind die zahlreichen Fischmehl- und Fischölfabriken, die in den vergangenen knapp zehn Jahren an der Küste des Senegals, aber auch Gambias und vor allem Mauretaniens gebaut wurden, beklagt Greenpeace in dem im Juni 2019 veröffentlichten Bericht „A Waste of Fish“. Die ersten dieser Fabriken wurden bereits in den 1960er Jahren im Senegal eröffnet. „Früher zermahlten sie aber nur Abfallprodukte der Fabriken, die Konserven und Fischfilets herstellten. Heute benutzen sie auch frischen Fisch“, erklärt Cissé. Schon 2017 hatte Aprapam, ein senegalesischer Verein der Kleinfischer, wegen der Ausweitung der Fischmehl- und Fischölfabriken Alarm geschlagen – mit wenig Wirkung.
Es gibt laut Greenpeace schon acht solche Fabriken im Senegal (und nicht weniger als 39 im Nachbarland Mauretanien); vier davon haben nach einem Bericht des Fischereiministeriums im Jahr 2018 rund acht Prozent des gesamten senegalesischen Fischfangs verarbeitet. Zwei sind in senegalesischer Hand, andere sollen Chinesen oder einem Russen gehören. Die Besitzverhältnisse sind undurchsichtig.
Futter in der Schweine- und Geflügelzucht
„Es ist einfach unmoralisch, frischen Fisch für die Fischmehl- und Fischölproduktion zu nutzen“, empört sich Ibrahima Cissé. Stark ölhaltiger Fisch wie Yabooy wird in der Pharmaindustrie und in der Aquakultur benutzt. Fischmehl wiederum dient hauptsächlich als Futter in der Schweine- und Geflügelzucht sowie als Fischfutter in der Aquakultur. Um ein Kilo Fischmehl zu produzieren, müssen vier bis fünf Kilo frischer Fisch gefangen werden.
Weil so viel Yabooy in diesen Fabriken benötigt wird, ist die Art inzwischen überfischt. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat deshalb 2018 empfohlen, den Sardinellenfang in den Gewässern Westafrikas so schnell wie möglich drastisch zu verringern. Verbraucherinnen wissen es: „Der Yabooy ist in den letzten Jahren teurer geworden. Früher konnte ich fünf kaufen, heute bekomme ich mit dem gleichen Geld einen und der ist klein“, beklagt sich eine Mutter von sieben Kindern, die in Dakar lebt. „Ich koche ihn weniger oft“, sagt sie. Aber das Nationalgericht Tiep ohne Yabooy kann sie sich nicht vorstellen.
Global sinkt die Produktion von Fischmehl, weil mehr Fisch direkt gegessen und von manchen Arten weniger gefangen wird – so haben Peru und Chile, zwei große Fischmehlerzeuger, ihre Fangquoten für Sardellen heruntergesetzt. Nur in Westafrika steigt die Fischmehlproduktion. „Dort, wo die Staaten schwach sind, siedeln sich die Fabriken an“, sagt der Umweltaktivist von Greenpeace. Da der Markt für Fischmehl groß ist, suchen Investoren Standorte, an denen sie die Fischressourcen ausbeuten können, und versprechen den Behörden dort Arbeitsplätze und vielleicht ein Gesundheitszentrum.
Fischmehl aus dem Senegal wird laut einem Greenpeace-Bericht von 2017 zu 54 Prozent in andere afrikanische Länder, zu knapp 22 Prozent nach Europa und zu rund 18 Prozent nach Japan exportiert. Das Fischöl geht ausschließlich in die EU und wird zum Beispiel für Nahrungsergänzungsmittel verwendet. Ginge es nach Cissé, dann sollte der senegalesische Staat lieber Fabriken an Land ziehen, die Fisch als Lebensmittel verarbeiten: „Der Markt ist da. Nigeria oder die Elfenbeinküste sind mögliche Abnehmer.“
Autorin
Odile Jolys
ist freie Journalistin in Dakar, Senegal, und berichtet aus Westafrika, unter anderem für den Evangelischen Pressedienst und „Neues Deutschland“.„Der Besitzer einer Fabrik kauft mit seinen Millionen den ganzen Fisch“, klagt Mame Penda Ndoye. „Manchmal arbeiten wir bis spät abends, bis 22 Uhr, weil wir in der Frühe nicht genug Fisch bekommen haben“, sagt sie: Fischer und Zwischenhändler liefern nicht genug, wenn der Fang gering ist und die Fabriken einen großen Teil kaufen. „Wir haben aber keinen anderen Beruf. Wir sind keine Bauern. Wir haben nur das Meer. Mit unserer Arbeit ernähren wir unsere Familien, bezahlen die Ausbildung unserer Kinder und die Arztrechnungen“, fährt die 70-Jährige fort. Sie hat schon als Jugendliche hier in M’bour angefangen, Fisch zu verarbeiten. Heute, erzählt sie, ist das Gelände größer und besser organisiert, die Einnahmen sind höher. Es gibt sogar einen Lagerraum für den trockenen Fisch. „Aber es gibt nicht mehr viel zu lagern“, beklagt sie.
Ein Anreiz für die Fischer, mehr zu fischen
Der gesamte Fischsektor beschäftigt nach Angaben des Fischereiministeriums im Senegal 600.000 Menschen. Greenpeace zitiert eine wissenschaftliche Studie, die sogar von 825.000 Arbeitsplätzen spricht. Dazu gehören auch Jobs im Transport – vom Pferdekarrenfahrer über informelle Taxen bis hin zum Lastwagenfahrer. Auch die Zwischenhändler, die den Fisch an die Frauen verkaufen, und die zahlreichen Händlerinnen, die den getrockneten Fisch kaufen, um ihn auf Märkten zu verkaufen, muss man hinzuzählen. Der Großteil der Beschäftigten im Fischsektor arbeitet informell, ohne feste Anstellung und Bezahlung. Die Fischmehl- und Fischölfabriken im Senegal beschäftigen gerade einmal 393 Menschen, darunter 264 Tagelöhner, so das Fischereiministerium.
Das Fischverarbeitungsgelände in M’bour ist verhältnismäßig klein. Tausende Frauen arbeiten dagegen in Kafountine im Süden des Landes oder in Cayar nördlich von Dakar. In Joal räuchern und trocknen circa 3000 Frauen den Fisch. Karim Sall ist dort der Vorsitzende des Vereins für die Kleinfischerei. Er ist auch verantwortlich für das Meeresschutzgebiet von Joal und Generalsekretär des Fischereikais.
Der Mann, der so viele Ämter innehat, ist besorgt. Seiner Meinung nach sind die Fischmehlfabriken ein Anreiz für die Fischer, mehr zu fischen. „Sie wissen, dass sie einen Abnehmer für ihren Fang haben werden, egal was und wie viel sie fischen“, sagt er. Sall weiß, dass an der Überfischung nicht allein die Fischmehlfabriken schuld sind. Als weitere Gründe nennt er die wachsende Bevölkerung, die starke Zunahme der Pirogen, mit denen die Kleinfischer aufs Meer fahren, die industrielle und zu wenig kontrollierte Fischerei sowie den Klimawandel. Allerdings erhöhten die Fischmehlfabriken unnötigerweise den Druck auf eine stark beanspruchte Ressource. „Im November konnten wir das erste Mal seit 1995 nicht rechtzeitig die Löhne unserer Mitarbeiter am Fischereikai bezahlen“, berichtet er. „Mit weniger Fisch haben wir auch weniger Einnahmen. Die Lage ist schlecht. Ich bin sicher, dass in fünf oder sechs Jahren die Fischerei zu Ende sein wird.“
In Joal gibt es die Fischmehlfabrik seit zehn Jahren. Sie war in russischer Hand und wurde vor vier Jahren von Chinesen weiterverkauft und dann vergrößert, erzählt Karim Sall. Bis 300 Tonnen Fisch könne sie täglich verarbeiten. Die Fabrik bedeute einen unfairen Wettbewerb für die Frauen, meint Karim Sall. „Sie ist gut organisiert. Sie hat feste Preise, ihre eigenen Zwischenhändler und kann den Fang auch im Voraus finanzieren, was für die Fischer von Vorteil ist.“
In Joal und vielen anderen Orten im Senegal protestieren viele Bürger deshalb gegen die Fischfabriken. Sie protestieren gegen den Gestank aus der Fischmehlproduktion, gegen das verschmutzte Abwasser, das ins Meer fließt, und gegen die Überfischung. Die Frauen, die in der Fischverarbeitung tätig sind, haben im Oktober 2019 ein Memorandum mit ihren Forderungen an das Fischereiministerium übergeben. „Wir können sie nicht zwingen, die Fabriken zu schließen, aber wir wollen zumindest den Vorrang beim Fischkauf bekommen“, sagt Mame Penda Ndoye.
Eine Antwort haben sie bisher nicht bekommen. Außerdem hat seitdem der Minister gewechselt. Nur an einem Standort haben sich die Menschen erfolgreich gegen eine Fischmehlfabrik gewehrt – in Abéné im Süden des Senegals. Dort wurde entschieden: Die Fabrik wird abgebaut und zehn Kilometer weiter, in Kafountine, angesiedelt.
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