Wirksame Hilfe für sexuelle Minderheiten

Mark Garten/UN photo

Der Jurist Victor Madrigal-Borloz aus Costa Rica ist der derzeit amtierende unabhängige Sachverständige der UN
für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität.
 

Diskriminierung und Gewalt
In Nordafrika und dem Nahen Osten kämpfen Lesben, Schwule und Transsexuelle für ihre Rechte. Die Vereinten Nationen (UN) sind ein wichtiges Sprachrohr für ihre Anliegen.

 Auf den ersten Blick hat die fortschreitende Anerkennung der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und queeren Menschen (LGBTQ) bei den UN in New York und Genf mit der Lebensrealität von LGBTQ im Nahen Osten und Nordafrika nichts zu tun. Doch dort tätige Aktivisten nutzen das UN-Menschenrechtssystem mit großem Erfolg für ihre Anliegen.

Gleichzeitig haben inzwischen einige arabischsprachige Staaten auf die Kämpfe lokaler Aktivisten reagiert: Was die Belange von LGBTQ angeht, sind sie sich innerhalb der UN nicht mehr so einig wie früher. Das zeigt: Wenn sich nationale Kämpfe mit Initiativen auf dem internationalen Parkett verbinden, lassen sich Fortschritte für die Rechte von LGBTQ im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) erzielen.

2016 mandatierte der UN-Menschenrechtsrat einen unabhängigen Sachverständigen für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Vor allem aus Staaten der MENA-Region kam heftiger Gegenwind. Beim Treffen des UN-Menschenrechtsrats Ende Juni steht die Verlängerung des Mandats auf der Tagesordnung – und auch Länder, die einst Vorreiter in Sachen Gleichstellung waren, stellen die Rechte von LGBTQ in Frage. In dieser Situation könnten die wenigen Mena-Länder, die sich für die Belange der LGBTQ-Bevölkerung öffnen, das Zünglein an der Waage sein.

Eine Studie nichtstaatlicher Organisationen untersucht die Strategien von LGBTQ-Aktivisten in Jordanien, Libanon, Marokko und Tunesien. Sie dokumentiert, wie Aktivisten mit Berufung auf UN-Mechanismen rechtliche und soziale Fortschritte erkämpft haben. In den UN wurden seit Mitte der 1990er Jahre erhebliche Fortschritte bei der Anerkennung von Menschenrechten unabhängig von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität erzielt. Zu den Meilensteinen zählt die Resolution über Gewalt und Diskriminierung von LGBTQ, die der Menschenrechtsrat 2011 verabschiedet hat. Auch das Mandat für den Sachverständigen für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität war ein wichtiger Schritt.

Westliche Werte?

Die MENA-Staaten wehren sich traditionell gegen jegliche Diskussion über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. In ihrem Abstimmungsverhalten folgen sie Blöcken, wie der Organisation für Islamische Zusammenarbeit oder afrikanischen und arabischen Gruppen in den UN. Sie behaupten, dass die Wahrung der Menschenrechte von LGBTQ „westlichen Werten“ entspreche und neue Normen, die den nationalen widersprechen, durch die Hintertür eingeschleust würden.

Zum Beispiel stimmte Marokko gegen einen unabhängigen UN-Sachverständigen. Die Regierungsvertreter argumentierten, dass die Schaffung eines solchen Postens den „Werten und Überzeugungen von mindestens 1,5 Milliarden Menschen“ widerspreche.

Doch das Auftreten von Aktivisten und einzelnen nationalen Delegationen beweist, dass der Konsens in der Region brüchiger ist, als solche Äußerungen vermuten lassen. Jordanien beispielsweise nahm 2015 an einem Treffen des UN-Sicherheitsrates in New York teil, bei dem es um den Schutz von LGBTQ vor dem Islamischen Staat (IS) im Irak ging. Es war das erste Mal, dass im Sicherheitsrat – dem wichtigsten UN-Organ für Frieden und Sicherheit – ausschließlich über die Belange von LGBTQ diskutiert wurde. Bezeichnenderweise sprach der jordanische Delegierte vor allem über die Folgen des IS-Terrors für verschiedene Minderheiten.

Und auch Libanon und Tunesien stellten sich bei Abstimmungen gegen die Organisation für Islamische Zusammenarbeit: Beide Länder stimmten 2016 dagegen, das Mandat für den UN-Sachverständigen für sexuelle Orientierung frühzeitig zu beenden.

Zugeständnisse nordafrikanischer Länder

In Genf kommt ebenfalls Bewegung in die Sache. Kurz vor dem Bericht des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Tunesien im Mai 2017 legten fünf tunesische LGBTQ-Organisationen ihren eigenen Bericht vor. Dieser Bericht – und eine starke Lobbyarbeit – trugen dazu bei, dass die tunesische Delegation zwei Empfehlungen annahm, in denen das Land aufgefordert wurde, gegen Diskriminierung und Gewalt von LGBTQ vorzugehen. Der tunesische Menschenrechtsminister sagte in seinen Schlussworten, dass Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verfassungswidrig sei.  

Auch Marokko hat vor dem UN-Menschenrechtsrat Zugeständnisse gemacht: Die Delegation des nordafrikanischen Landes hat drei Empfehlungen zur Bekämpfung von Gewalt, Diskriminierung und Kriminalisierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlecht akzeptiert.

Trotz dieser Erfolge ist der Kampf für die Rechte von LGBTQ keineswegs gewonnen. Die Zusagen in New York und Genf alleine reichen nicht, um die Situation für LGBTQ im Nahen Osten und in Nordafrika zu verbessern. Aktivisten berichten, dass Tunesien weiterhin Männer zu Untersuchungen am After zwingt, um festzustellen ob sie Analverkehr hatten – trotz anderslautender Versprechen in Genf. Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Regierung ihre in New York und Genf gemachten Zusagen einhält.  

Wo Regierungen schweigen oder sich abfällig über LGBTQ äußern, sind Beschlüsse und Resolutionen auf UN-Ebene ein Werkzeug, um den inneren Wandel zu beeinflussen. Aber letztlich entscheiden die von unten erkämpften Fortschritte über die Wirkung und Verbindlichkeit von UN-Entschlüssen – und nebenbei tragen sie dazu bei, dass die Rechte von LGBTQ auf dem internationalen Parkett nicht aus dem Blick geraten. Suraj Girijashanker

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von PassBlue, www.passblue.com
Aus dem Englischen von Moritz Elliesen.

 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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