Klimasünder auf der Anklagebank

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Klimaklagen
Umweltschützer und vom Klimawandel betroffene Bürger ziehen zunehmend vor Gericht. Sie wollen Ölkonzerne haftbar machen und Regierungen auf mehr Klimaschutz verpflichten.

Am 13. November 2013 unterbrachen die Di­plomaten auf der Weltklimakonferenz in Warschau für ein paar Minuten ihren gewohnten Trott. Auf der Bühne stand Yeb Saño, der Verhandlungsführer der Philippinen, und berichtete vom Taifun Haiyan, der in den Tagen zuvor sein Heimatland verwüstet, einer halben Million Menschen das Zuhause gekostet und die Landschaft in ein Ödland aus Schlamm, Schutt und Leichen verwandelt hatte. „Die dortigen Verwüstungen rauben mir den Atem“, sagte er, ehe er sein Gesicht hinter einem roten Taschentuch verbarg, damit die Verhandler aus aller Welt seine Tränen nicht sehen konnten.

Klimaforscher sagen, dass die außergewöhnlich hohen Meerestemperaturen und der Meeresspiegelanstieg den Taifun Haiyan verstärkt haben; er zählt zu den stärksten Stürmen, die auf Festland getroffen sind. Folgen hatte Saños Rede aber keine; dass der Mann mit dem runden Gesicht und der Brille die folgenden Tage in einen Hungerstreik trat, nahmen die Gipfelteilnehmer schon kaum mehr wahr. Die Industrieländer, allen voran die USA, setzten in Warschau durch, dass sie Entwicklungsländer für Schäden und Verluste infolge des Klimawandels nicht entschädigen müssen.

Angehörige der Opfer von Haiyan wollten sich damit nicht zufrieden geben. Mit Unterstützung von Greenpeace riefen sie 2015 die Menschenrechtskommission ihres Landes auf zu untersuchen, ob 47 Weltkonzerne aus den Branchen Öl, Kohle, Bergbau und Zement für die Katastrophe mitverantwortlich seien, darunter auch deutsche Unternehmen wie der Energieversorger RWE. Überraschenderweise nahm die Kommission den Auftrag an und besuchte Gemeinden, die von Stürmen heimgesucht worden waren.

Am 27. September 2018, fast fünf Jahre nach Saños Rede, begann die Kommission ihre Anhörung. Die sollte klären, ob unter anderem die großen Erdölfirmen Menschenrechte verletzt haben, weil sie mit ihrem Geschäft Folgen des Klimawandels wie den Taifun Haiyan verstärken.

Die 47 einbestellten Ölkonzerne waren allesamt nicht erschienen

Ausgewählt wurde dafür ein Ort, der besonders viel Aufmerksamkeit versprach: der Sitz der Vereinten Nationen in New York. Während die jährliche UN-Generalversammlung tagte, begann in einem schmucklosen Konferenzraum im selben Hochhaus die Anhörung. Die meisten der Sitze waren reserviert, blieben aber leer. Denn die 47 einbestellten Ölkonzerne wie ExxonMobil, Shell und BP waren allesamt nicht erschienen. Stattdessen wurden Wissenschaftler und Anwälte angehört und befragt, ob die Ölunternehmen mitschuldig seien an Wetterextremen. Ziel sei gewesen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erlangen, erklärte der Kommissionschef hinterher. Die Veranstaltung habe eher symbolischen Charakter gehabt.

Dabei muss es aber nicht bleiben. Seit einigen Jahren wird ein Instrument zunehmend populär, das für Klimagerechtigkeit sorgen soll: sogenannte Klimaklagen. Mehr als tausend davon hat es schon gegeben, die allermeisten in den USA. Dort richten sie sich meist gegen Energiekonzerne. So haben etwa San Francisco und Oakland 2017 gegen fünf Ölkonzerne geklagt, um Deiche bezahlt zu bekommen, mit denen sich die Städte an den steigenden Meeresspiegel anpassen wollen. Und im Oktober 2018 verklagte die New Yorker Staatsanwältin ExxonMobil wegen möglicher Falschaussagen zum Klimawandel und dem Versuch, die Anleger in die Irre zu führen.

Autor

Benjamin von Brackel

ist freier Umweltjournalist in Berlin und stellvertretender Chefredakteur des Online-Magazins klimareporter.de.
In Europa hingegen konzentrieren sich die Klagen auf Regierungen. Erfolgreich waren bislang aber nur wenige – so die Klage eines Bürgerbündnisses in den Niederlanden, die 2015 von ihrer Regierung ein stärkeres Klimaziel verlangt hatte, das im Einklang mit den Erkenntnissen des Weltklimarats steht. Angepeilt hatte die Regierung, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 gegenüber 1990 um 17 Prozent zu senken; das Zivilgericht in Den Haag ordnete 2018 aber eine Zielmarke von „mindestens 25 Prozent“ an.

Die Klagen gegen Ölfirmen in den USA wurden bislang allesamt abgeschmettert. Eine gängige Begründung der Richter: Nicht die Gerichte müssten über die Frage entscheiden, wer für den Klimawandel verantwortlich sei, sondern die Politik. Außerdem sei es nicht möglich, eine direkte Verbindung zwischen dem Geschäft der Firmen und einzelnen Wetterkatastrophen herzustellen.

Die Klimaklagen nehmen weiter zu, und sie sind heute besser begründet

Die Klagewelle ebbt deshalb allerdings nicht ab – im Gegenteil: Von Jahr zu Jahr gibt es mehr. Und die Klimaklagen der zweiten Generation sind deutlich besser begründet. Sie profitieren von den Berichten des Weltklimarats und von der erst jungen sogenannten Attributionswissenschaft, die den Anteil des Klimawandels an einzelnen Wetterereignissen berechnen kann. Und sie nutzen ein Inventar an historischen CO2-Emissionen der größten Erdölkonzerne, das der US-Geograf Richard Heede im Jahr 2013 erstellt hat. Auf dieses Inventar haben etwa auch die Angehörigen der Opfer des Wirbelsturms Haiyan verwiesen.

Klimaklagen werden heute zunehmend auch im globalen Süden angestrengt. Das hängt zum einen mit der Zunahme an Wetterextremen im Süden zusammen. Zum anderen sind viele Länder im globalen Süden frustriert, dass die Industriestaaten in den Klimaverhandlungen dafür gesorgt haben, dass unter dem Paris-Abkommen auch Entwicklungsländer nun zum Klimaschutz beitragen und sich dafür Ziele setzen müssen – aber für Schäden und Verluste durch den Klimawandel werden sie nicht entschädigt.

Deshalb haben die Kläger in den Entwicklungsländern ihre Strategie geändert: Sie setzen direkt bei Verursachern des Klimawandels an – den Energiekonzernen. Auftrieb verleiht ihnen dabei die Untersuchung der philippinischen Menschenrechtskommission. „Diese Unternehmen haben unverschämte Profite gemacht, während sie die wahren Kosten ihres Produkts auf die Armen ausgelagert haben, die mit ihren Häusern, der Fähigkeit, Nahrungsmittel anzubauen, und mit ihrem Leben bezahlen“, heißt es in einem Bericht des Climate-Justice-Programms, einer Anlaufstelle für Juristen, die Klimaprozesse führen wollen.

Saúl Luciano Lliuya aus Peru gegen den deutschen Energiekonzern RWE

Roda Verheyen hat dieses internationale Netzwerk mitgegründet. Die Hamburger Anwältin betreibt derzeit drei Klimaklagen in Deutschland und der Europäischen Union. Das Besondere: Einige ihrer Mandanten kommen aus dem globalen Süden – wie der Bauer Saúl Luciano Lliuya aus Peru, der den deutschen Energiekonzern RWE mit Hilfe der deutschen Umweltorganisation Germanwatch auf Schadenersatz verklagt hat. Sein Bergdorf liegt unterhalb eines Gletschersees, der sich aufgrund der Gletscherschmelze im Zuge der Erderwärmung stetig fülle und das Dorf zu überfluten drohe.

Nur mit einem Staudamm könne sich das Dorf noch schützen, und Lliuya verlangt, dass sich RWE an den Kosten dafür beteiligt – gemäß dem Anteil des Konzerns an den bisher gemessenen CO2-Emissionen weltweit: 0,47 Prozent. Das wären zwar nur 17.000 Euro für RWE, dennoch hätte ein Schuldspruch weitreichende Folgen: Er könnte viele andere Betroffene zu Klimaklagen animieren.

Das Landgericht Essen hatte die Klage noch zurückgewiesen. Denn es sei nicht möglich, eine kausale Verbindung zwischen dem CO2-Ausstoß von RWE und dem Abschmelzen des Andengletschers herzustellen. Roda Verheyen ließ sich davon nicht beirren und wendete sich an die nächsthöhere Instanz. Das Oberlandesgericht Hamm nahm die Klage schließlich 2017 an. Derzeit untersuchen Gutachter, ob das Haus von Saúl Luciano Lliuya tatsächlich in der Risikozone des Gletschersees steht. Verheyen wertet das schon als „Sieg“: „Wir haben gezeigt, dass solch eine Klage grundsätzlich möglich ist“, sagt sie. Selbst ein Bauer in den peruanischen Anden könne nun einen Energiekonzern aus Deutschland vor Gericht bringen.

Klagen gegen die eigene Regierung

Bürger aus dem globalen Süden klagen aber nicht nur gegen Konzerne im Norden, sondern versuchen auch, die eigenen Regierungen zu belangen. In Kolumbien haben 25 Kinder und Jugendliche gegen den Staat geklagt, um ihn an seine Verpflichtung zu binden, den Amazonas-Regenwald zu schützen. Denn dessen Zerstörung beschleunigt den Klimawandel und beeinträchtige ihr Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum. Das Gericht gab der Klage statt und verdonnerte die Regierung, einen Plan zu erarbeiten, wie sie die Abholzung zu beenden gedenke.

Auch in Pakistan hatte eine Klage Erfolg. Dort hatte der Bauer Ashgar Leghari im Jahr 2015 die Regierung verklagt, weil sie ihre eigene Klimapolitik nicht befolge. Das Gericht gab ihm recht und beauftragte die Regierung, eine Prioritätenliste zu erstellen und zur Kon­trolle der Politik eine unabhängige Kommission einzusetzen.

Ist es gerecht, dass Regierungen im Süden zum Klimaschutz verklagt werden? Sollten solche Klagen nicht auf die Industrieländer beschränkt bleiben, die den Großteil der CO2-Emissionen zu verantworten haben? „Diese Frage hätte man noch vor zehn Jahren stellen können“, sagt Verheyen. Heute sei der Klimawandel aber so weit vorangeschritten, dass alle etwas tun müssen. Deshalb befürwortet sie auch Klimaklagen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Die philippinische Menschenrechtskonvention will im Juni 2019 ihren Bericht vorlegen. Beobachter gehen davon aus, dass er großen Einfluss auf andere Fälle haben könnte. Ermutigt von dem Beispiel haben Bürger anderer Inselstaaten wie Kiribati, Vanuatu, Tuvalu und Fidschi erklärt, sie wollten Petitionen in ihren Ländern einreichen, um Untersuchungen gegen Ölkonzerne anzustrengen.

Klimaklagen könnten die Ausrichtung von Energieunternehmen verändern

Laut britischen Wissenschaftlern von der London School of Economics and Political Science könnten Klimaklagen zumindest die Ausrichtung der Energieunternehmen verändern, selbst wenn sie juristisch bislang nicht erfolgreich gewesen seien. Allein die Möglichkeit, dass sie verurteilt werden könnten, könnte dazu beitragen, dass die Konzerne den Klimawandel als rechtliches und finanzielles Unternehmensrisiko einkalkulieren. Und bei Aktionären und Investoren könnte diese Möglichkeit die Erwartung wecken, dass die Unternehmen klimafreundlicher wirtschaften, schreiben die Forscher in einer Studie, die Ende Oktober 2018 im Fachblatt Oxford Journal of Legal Studies erschienen ist.

Der Geograf Richard Heede glaubt, dass die Ölfirmen nun gezwungen sind, ihre Investitionen anzupassen und ihre zukünftigen CO2-Emissionen zu planen: „Sie müssen sorgfältig prüfen, wie viel fossile Brennstoffprodukte sie noch auf die Märkte bringen können, ohne den global vorgegebenen Pfad zu überschreiten, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.“

Und auch für Klimaklagen gegen Regierungen sehen Rechtsexperten immer bessere Erfolgschancen – auch im globalen Süden. In vielen Ländern haben sich Gerichte inzwischen auf Umweltrecht spezialisiert; zudem gießen immer mehr Länder Umweltvorgaben in Gesetze oder schreiben sie sogar in die Verfassung. So enthält Indiens Verfassung zum Beispiel das Recht auf eine gesunde Umwelt.

In einem grenzüberschreitenden Fall haben Familien aus fünf europäischen Ländern sowie aus Kenia und von den Fidschi-Inseln vergangenes Jahr die EU verklagt, ihre Klimaziele für das Jahr 2030 zu überarbeiten und an das Pariser Klimaschutzabkommen anzupassen. „Dass die Kläger auch aus Kenia und Fidschi kommen, ist Absicht“, sagt Roda Verheyen, die auch diesen Fall vertritt. Denn schließlich sei der Klimawandel ein globales Problem.

Die erste Hürde hat dieser Fall bereits genommen: Der Europäische Gerichtshof hat die Klage im August 2018 angenommen. Doch selbst wenn ihre laufenden Klagen keinen Erfolg haben werden, will sich Verheyen nicht entmutigen lassen. „In den USA hat es 25 Jahre gedauert, bis Klagen gegen die Tabakindustrie Erfolg hatten“, sagt sie.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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