Sri Lankas Staatspräsident Maithripala Sirisena hat Ende Oktober Premierminister Ranil Wickremasinghe abgesetzt und Mahinda Rajapaksa als neuen Premier vereidigt. Wie brisant das ist, zeigt ein Blick zurück: Rajapaksa war von 2005 bis 2015 Präsident Sri Lankas und lehnt mehr Rechte für ethnische Minderheiten ab. Er war dafür verantwortlich, dass die Armee 2009 in einer rücksichtslosen Großoffensive die tamilischen Rebellen im Norden der Insel besiegte. Beide Seiten haben dabei laut den Vereinten Nationen Kriegsverbrechen begangen.
Sirisena war damals Minister aus Rajapaksas Partei. Dennoch trat er bei der Präsidentschaftswahl 2015 gegen diesen an. Dass er gewann, verdankte er nicht zuletzt dem von Ranil Wickremasinghe geführten Oppositionsbündnis, das kurz darauf stärkste Kraft im Parlament wurde. Seitdem regierte Sirisena gemeinsam mit Wickremasinghe. Ihre „große Koalition“ leitete, wenn auch zögerlich, einen Friedens- und Versöhnungsprozess mit der tamilischen Minderheit ein – gegen den Widerstand Rajapaksas und seiner Anhänger im Parlament, die seit 2016 eine eigene Partei bilden.
Nun hat Sirisena die Seiten gewechselt. Seine Partei entzog Wickremasinghe die Unterstützung, so dass die Mehrheit des Premiers im Parlament in Frage steht. Mit Verweis darauf machte Sirisena hinter verschlossenen Türen seinen alten Rivalen Rajapaksa zum Premier. Seitdem ringen seine Anhänger und die Wickremasinghes darum, ob der Schritt legal war, ob das Parlament tagen soll und wer dort eine Mehrheit auf seine Seite zieht – begleitet von Straßenprotesten. Mitte November gewann Wickremasinghe in einer tumultartigen Sitzung ein umstrittenes Parlamentsvotum und das Oberste Gericht stoppte Sirisenas Versuch, das Parlament aufzulösen. Der Ausgang des Machtkampfs scheint offen.
Wie ist Sirisenas Kehrtwende zu erklären? Und stellt sie den Versöhnungsprozess und die Ausweitung demokratischer Rechte in Sri Lanka plötzlich wieder in Frage? Das haben wir Jehan Perera gefragt, den Direktor des Nationalen Friedensrates in Sri Lanka. Diese nichtstaatliche Organisation arbeitet an der Basis für Dialog und Versöhnung zwischen ethnischen Gruppen und Religionsgemeinschaften und tritt gegenüber der Politik dafür ein. Er wird aus Deutschland von Misereor unterstützt.
Präsident Maithripala Sirisena hat den Ministerpräsidenten Ranil Wickremasinghe abgesetzt. Gab es Vorzeichen für diesen Schritt?
Wir wussten, dass das Verhältnis zwischen Präsident Sirisena und Wickremasinghe seit langem sehr angespannt war. Das hat zwei Gründe. Erstens kommen sie aus ganz verschiedenen sozialen Milieus: Sirisena stammt aus einem Dorf und ist verwurzelt in einer Politik der staatlichen Wohlfahrt; Wickremasinghe ist ein Stadtmensch, kosmopolitisch und international orientiert. Zweitens kommen sie aus unterschiedlichen Parteien: Die von Sirisena repräsentiert den ethnischen Nationalismus der Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen, während Wickremasinghes Partei Anhänger in verschiedenen ethnischen Gruppen hat. Hinzu kommt die ungelöste Frage, wer Kandidat der Regierung für die nächsten Präsidentschaftswahlen Ende 2019 sein soll. Es scheint, dass beide antreten wollten, aber beide sagten das nicht offen. Das hat Misstrauen zwischen ihnen gesät. Dies alles wussten wir. Aber ich hätte niemals erwartet, dass Sirisena dann Wickremasinghe auf so eine undurchsichtige Art absetzen würde.
Über welche Fragen waren Sirisena und Wickremasinghe uneins?
Sie waren in fast allen Politikfelder uneins. Darüber war ich sehr froh, denn damit waren in der Regierung beide große Strömungen vertreten, sie repräsentierte die große Mehrheit in Sri Lanka. Deshalb ging es zwar bei Frieden und Versöhnung langsamer voran, als wir gehofft hatten, aber die Lage schien politisch sehr stabil.
War auch der Friedens- und Versöhnungsprozess ein Streitpunkt?
Nein. Das war das einzige Gebiet, wo beide einig schienen, und das war ein Segen. Sirisena hat Wickremasinghe in allen Fragen des Friedensprozesses unterstützt außer in einer: Er hatte Vorbehalte dagegen, Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen, denn das betraf auch das staatliche Militär. In gewisser Weise war aber diese Haltung in Ordnung, denn sie spiegelte die Vorbehalte in der größten Bevölkerungsgruppe, den Singhalesen. Sirisena spielte hier gewissermaßen die Rolle eines Stimmungsmessers und Bremsers. Und das war gut, denn in so heiklen Fragen darf eine Regierung nicht zu schnell vorangehen. Sirisena ist bei allen anderen Bestandteilen des Friedensprozesses Wickremasinghe gefolgt: Rückgabe von Land an Vertriebene, Suche nach vermissten Personen, Entschädigungszahlungen für Kriegsopfer, Rückzug des Militärs in die Kasernen sowie Gesetzesänderungen, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit beseitigen und politische Institutionen stärken.
Steckt hinter dem Konflikt zwischen Sirisena und Wickremasinghe ein Machtkampf um die Präsidentschaft?
Das ist eine der Wurzeln des Problems. Mir scheint, aus der Uneinigkeit zwischen beiden ist eine Art Feindschaft geworden. Jetzt hat sich Sirisena mit Rajapaksa verbündet, weil er Präsident bleiben und Wickremasinghe loswerden will. Vermutlich hat Rajapaksa ihm angeboten, er könne das Amt behalten. Der kann nach zwei Amtszeiten nicht selbst wieder Präsident werden.
Hat Sirisena seinerseits Rajapaksa versprochen, dass die Korruptionsverfahren gegen seine Familie eingestellt werden?
Natürlich. Warum hätte Rajapaksa sonst solche Eile, wieder an die Regierung zu kommen? Er hätte ein Jahr warten können bis zu den Wahlen, die er sehr wahrscheinlich gewinnen würde. Aber er hat es eilig, weil die Regierung Wickremasinghe gerade zwei spezielle Gerichtshöfe zur Bekämpfung der Korruption eingerichtet hat, die sehr viel schneller arbeiten sollen als normale Gerichte. Leute aus dem Umfeld von Rajapaksa gehören zu den Beschuldigten. Eine Regierung unter seiner Leitung wird ohne Frage diese Verfahren stoppen.
Rajapaksas Partei hat Aussichten, eine Parlamentswahl zu gewinnen?
Ja, sehr gute Aussichten. Das zeigen die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom Februar: Rajapaksas Partei hat in den Gebieten mit singhalesischer Bevölkerungsmehrheit viel besser abgeschnitten als Wickremasinghes und zusätzlich hätte er jetzt noch die Stimmen aus Sirisenas Lager; beide zusammen sind im Februar auf 56 Prozent gekommen. Allerdings bringt Rajapaksa jetzt auch eigene Anhänger zum Nachdenken – das hören wir in Gesprächen in Colombo und Umgebung. Selbst Leute, die der Regierung Wickremasinghe sehr kritisch gegenüberstehen und für Rajapaksa stimmen würden, finden es falsch, dass er mit Hilfe einer Manipulation der Verfassung Ministerpräsident wird. Selbst wenn der Präsident den Premierminister absetzen durfte, war er nach der Verfassung sicher nicht berechtigt, nach Gutdünken und ohne Beteiligung des Parlaments einen neuen Premier einzusetzen.
Fürchten Sie, dass Sirisenas Schwenk zu Rajapaksa den Friedensprozess gefährdet?
Ja. Seine Kehrtwende zeigt, dass er dem Versöhnungsprozess nicht wirklich verpflichtet war. Wickremasinghe saß am Steuer und Sirisena ist nur mitgefahren. Das hat den Prozess stabilisiert. Wenn eine Regierung Minderheiten mehr Einfluss geben oder ihre Menschenrechte schützen will, empören sich oft Politiker aus der Mehrheitsgruppe, das Land werde geteilt oder die Mehrheit betrogen. Aber Sirisena hat seine singhalesische Partei ruhig gehalten, während Wickremasinghe Richtung Versöhnung vorangegangen ist. Jetzt versetzt er mit seinem Seitenwechsel dem Friedensprozess einen schweren Schlag. Denn Rajapaksa ist ein Spalter, er schürt und benutzt den ethnischen Nationalismus. Seine Partei hat gegen fast alles, was die Regierung in Namen der Versöhnung getan hat, Widerstand geleistet.
Wie denn zum Beispiel?
Als Sri Lanka 2015 die Erklärung des UN-Menschenrechtsrates akzeptierte, wonach das Land beim Umgang mit der Vergangenheit die internationalen Grundsätze von transitional justice befolgen soll, hat Rajapaksas Partei der Regierung vorgeworfen, Verräter zu sein. Vergangenen Monat hat das Parlament ein Büro für Reparationen eingerichtet – das ist einer der vier Mechanismen für einen Gerechtigkeits- und Versöhnungsprozess, die die Regierung 2015 versprochen hat. Rajapaksas Partei hat dagegen gestimmt und sogar behauptet, damit sollten die besiegten tamilischen Kämpfer Entschädigung erhalten. Wenn Rajapaksa wieder an die Regierung kommt, wird der Versöhnungsprozess sehr, sehr schwierig. Man kann nur hoffen, dass er in der Opposition gelernt hat, dass ein Konfrontationskurs gegenüber den Minderheiten und zugleich gegenüber der internationalen Gemeinschaft hohe politische und wirtschaftliche Kosten bringt.
Fürchten Sie, dass die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet sind und auch Ihre eigene Arbeit für Versöhnung schwieriger wird?
Alles, für was wir eintreten, wird schwieriger werden. Die klarste Eigenschaft einer Regierung unter Rajapaksa ist, dass sie nicht an Rechtsstaatlichkeit glaubt. Für ihn kommt es auf Führung an, auf die Entscheidungen des Mannes an der Spitze. Gesetze sind für ihn nur Leitlinien, nicht etwas, das man strikt befolgen muss.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Neuen Kommentar hinzufügen