Sri Lankas neue Freiheit

Politik
Präsident Maithripala Sirisena stärkt die Demokratie in seinem Land. Doch an die Verbrechen während des Bürgerkriegs traut er sich nicht heran.

Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena kam eher überraschend an die Macht. Er kandidierte im Januar 2015 gegen seinen Vorgänger Mahindra Rajapaksa, der nach dem Sieg über die tamilischen Rebellen im Jahr 2009 eine politische Dynastie errichten wollte – gestützt auf den Nationalismus unter der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit. Die politische Opposition war geschwächt, die Zivilgesellschaft ausgeschaltet, die Medien waren zur Selbstzensur gezwungen; die kriegsmüde tamilische Minderheit im Nordosten wurde weiter verfolgt. Es schien, als würde Sri Lanka von einem gemäßigt autoritären in ein offen autoritäres Regime abgleiten.

Doch Rajapaksas Rechnung ging nicht auf. Er hatte Familienmitglieder protegiert und dafür Führer seiner Sri Lanka Freedom Party (SLFP) kaltgestellt, darunter seinen Gesundheitsminister Sirisena; der wollte sich das nicht bieten lassen. Rajapaksa ignorierte zudem die Anliegen der Minderheiten, denn er war überzeugt, die Wahl allein mit der Unterstützung der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit zu gewinnen.

Doch Tamilen und Muslime schlossen eine Koalition mit der größten Oppositionspartei United National Party (UNP) und mit anderen singhalesischen Parteien, die von der grassierenden Korruption und dem Zusammenbruch der Rechtsordnung genug hatten; diese Koalition unterstützte Sirisena. Weil Tamilen und Muslime Rajapaksa für ihre unsichere Lage verantwortlich machten und in Massen gegen ihn stimmten, gewann der zwar die Mehrheit unter den Buddhisten, unterlag aber in der Gesamtbevölkerung.

Nach den Parlamentswahlen im August 2015 versuchte er ein Comeback als Premierminister. Auch dieser Versuch schlug fehl. Nun sitzt Rajapaksa im Parlament, wo er unter Politikern der SLFP und ihren Unterstützern zahlreiche Anhänger hat. An der Spitze der SLFP steht Sirisena, doch die Partei ist zwischen seinen Anhängern und denen von Rajapaksa gespalten. Vor diesem Hintergrund sind die bisherigen Verdienste und Versäumnisse des neuen Präsidenten zu betrachten.

Sirisena führt eine Regierung der nationalen Einheit zusammen mit Premierminister Ranil Wickremesinghe, dem Vorsitzenden der UNP. Der Präsident ist zugleich Verteidigungsminister und entscheidet über die Besetzung der meisten öffentlichen Ämter; sein Premier ist für Wirtschaft zuständig. Im Präsidialsystem Sri Lankas hat der Premierminister nur geringe Befugnisse. Doch aufgrund der Rolle, die Wickremesinghes UNP bei der Abwahl von Rajapaksa gespielt hat, hat er großen Einfluss. Zudem wird eine Verfassungsänderung angestrebt, mit der die Macht des Präsidenten beschnitten werden soll.

Die UNP hat bei den Parlamentswahlen im August 2015 die meisten Sitze errungen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Trotz Spannungen zwischen Sirisena und Wickremesinghe wegen der Konkurrenz ihrer Parteien gilt die Regierung der nationalen Einheit als stabil genug, um die fünfjährige Amtszeit zu überstehen. Sollte sie zerfallen, könnte die UNP mit Hilfe von Minderheiten-Parteien eine Parlamentsmehrheit zustande bringen. Doch bisher haben beide Führer die Koalition im Interesse übergeordneter Ziele zusammengehalten.

Sirisenas Wahlsieg hat das Klima der Angst beendet, das unter Rajapaksa geherrscht hatte. Die Medien dürfen wieder frei berichten, die Zivilgesellschaft kann sich ungehindert entfalten, die Menschen ihre Meinung äußern. Unter Rajapaksa wurden zahlreiche Regimekritiker verschleppt und viele verschwanden für immer – nach den dabei benutzten weißen Lieferwagen nannte man das „white-vanning“. Das ist vorbei, Sirisena hat Sri Lanka ein Gefühl von Freiheit wiedergegeben.

Der 64-jährige Politiker ist mit einer Reihe von Wahlversprechen angetreten. Einige wichtige Reformen stehen noch aus, doch er hat beachtliche Fortschritte erzielt. Seine Regierung hat eine Verfassungsänderung Rajapaksas rückgängig gemacht, mit der die Grenze für die Amtszeit des Präsidenten – zwei fünfjährige Perioden – abgeschafft und unabhängige Aufsichtsgremien für Polizei, Justiz, Wahlen, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung geschwächt worden waren. Zudem darf der Präsident nun das Parlament frühestens viereinhalb Jahre nach einer Wahl auflösen. Die Regierung hat einen Verfassungsrat geschaffen, in dem drei Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen, und die unabhängigen Aufsichtsgremien wieder gestärkt. Im Rahmen einer Verfassungsreform sollen die Bürger zudem ein Informationsrecht erhalten, und es ist geplant, ein neues Wahlsystem nach deutschem Vorbild einzuführen. All das ist geeignet, die Demokratie zu stärken. 

Die Wahl Sirisenas hat auch dazu geführt, dass sich die Tamilen und Muslime sicherer fühlen. Rajapaksas Regierung hatte Militäroperationen im Nordosten des Landes mit Terrorgefahr auch nach Kriegsende gerechtfertigt und unter Tamilen Angst und Schrecken verbreitetet. Und er duldete stillschweigend Attacken von rassistischen singhalesischen Buddhisten auf Muslime. Das hat zu einer Pogromstimmung gegen die Muslime geführt. Diese Gefahr ist nun vorbei.

Außenpolitisch verfolgt Sirisena einen Kurs, der wieder besser zu Sri Lankas traditioneller Blockfreiheit passt. Die Führer des kleinen und strategisch wichtigen Inselstaats, der heute zur unteren Gruppe der Ländern mit mittlerem Einkommen gehört, waren meist um gute Beziehungen zu allen wichtigen Nachbarn bemüht. Besonders auf die Sicherheitsinteressen Indiens nahmen sie Rücksicht. Doch Präsident Rajapaksa hatte sich vielfach über internationale Verpflichtungen hinweggesetzt und in einer Weise mit China geflirtet, die Indien und die USA nervös machte. Ein Motiv dafür waren intransparente Kredite für Infrastrukturprojekte, an denen sich seine Familie bereicherte. Zudem versuchte Rajapaksa sich mit Rückendeckung Chinas dem Druck westlicher Staaten zu entziehen, Kriegsverbrechen und Verstöße gegen die Menschenrechte zu ahnden.

#Sirisena und Wickremesinghe pflegen das Verhältnis zu China weiter, haben aber die Beziehungen zu Indien, den USA und Europa verbessert. Auch wegen der Stärkung der Demokratie hat die Europäische Union inzwischen das Importverbot für Fischereiprodukte aus Sri Lanka aufgehoben. Brüssel erwägt außerdem, der Insel wieder die Freihandelsvorzüge zukommen zu lassen, die im August 2010 aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt worden waren.

Den erfreulichen Entwicklungen stehen aber eklatante Defizite gegenüber. Die Korruption grassiert nach wie vor, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie unter Rajapaksa. Zwar wurden einige Korruptionsfälle der früheren Regierung untersucht, doch bislang wurde niemand gerichtlich belangt. Korruption ist in der Politik Südasiens weit verbreitet, politische Rivalen wechseln sich häufig in der Ausplünderung des Staates ab. Vermutlich sind auch in der Regierung Sirisena manche gegen eine Verfolgung der Übeltäter. Denn schließlich müssen sie fürchten, selbst belangt zu werden, sobald sie aus dem Amt geschieden sind.

Sirisena hatte seine Kandidatur unter den Slogan „yaha palanaya“ (gute Regierungsführung) gestellt. Daran fehlt es in vielen Bereichen noch, auch wenn sein Wahlsieg immerhin verhindert hat, dass die schlechte Regierungsführung noch schlechter wurde. Nicht alle hohen Ämter sind mit kompetenten Personen besetzt, die unabhängigen Kommissionen arbeiten weniger wirksam als vorgesehen, und bei 225 Parlamentsabgeordneten zählt das Kabinett nicht weniger als 95 Personen, wenn man alle Minister, ihre Stellvertreter und Staatsminister mitzählt. Auch der aufgeblähte Verwaltungsapparat mit 1,4 Millionen Bediensteten für knapp 21 Millionen Einwohner belastet den Staatshaushalt.

Dabei leidet Sri Lanka unter einer Schulden- und Zahlungsbilanzkrise, die teilweise auf Präsident Rajapaksas unverantwortliche Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist. Trotzdem hat die Regierung Sirisena die Gehälter der Staatsbediensteten erhöht, um sie für sich zu gewinnen. Unpopuläre Sparmaßnahmen vermeidet sie.

Die Beziehungen der Regierung zu tamilischen Politikern haben sich merklich gebessert, aber die Versöhnung zwischen den Volksgruppen ist kaum vorangekommen. Die Tamilen verlangen die Rückgabe von Land im Nord- und Ostteil, das das Militär beschlagnahmt hat, und den weitgehenden Abzug der Soldaten von dort. Sie fordern, dass die Opfer des Bürgerkriegs angemessen entschädigt und Kriegsverbrecher bestraft werden.

Die Regierung hat den Tamilen etwas Land zurückgegeben und einige zivile Behörden eingesetzt, die ein offeneres Ohr für Tamilen haben. Aus Rücksicht auf das Militär und auf die singhalesische Bevölkerungsmehrheit, in der die Soldaten als Kriegshelden gelten, scheut sie jedoch vor einer nennenswerten Demobilisierung zurück. Die politischen Umstände verhindern auch, dass Sirisenas Regierung Kriegsverbrecher zur Verantwortung zieht.

Tamilische Politiker fordern zudem ein stärker föderal ausgerichtetes System. Singhalesische Buddhisten, die 70 Prozent der Bevölkerung stellen, betrachten aber Sri Lanka als ihre auserwählte Heimat und Basis des Theravada-Buddhismus. Singhalesen generell lehnen eine Föderation ab, die sie als Schritt Richtung Teilung des Staates ansehen. Die Tamilen können daher allenfalls auf größere Autonomie innerhalb des Einheitsstaates hoffen. Das wird sie kaum zufriedenstellen und den Versöhnungsprozess behindern. Sirisena hat es im Unterschied zu Rajapaksa bisher vermieden, seine Politik ganz nach den Interessen der Bevölkerungsmehrheit auszurichten. Dennoch muss er auf deren Meinung Rücksicht nehmen. Damit werden sich die Tamilen abfinden müssen,d eren Anteil an der Bevölkerung bei nur gut elf Prozent liegt.

Rajapaksa ist der erste Präsident des Landes, der kandidierte und abgewählt wurde. Er hat das Amt nicht in Würde verlassen wie frühere Präsidenten, sondern zieht weiter seine Fäden.  Offenbar fürchtet er um die Folgen eines Rückzugs für seine Familienmitglieder, denen Bereicherung und Verbrechen zur Last gelegt werden. Als singhalesisch-buddhistischer Nationalist, der die tamilische Rebellenorganisation LITE besiegt hat, genießt er großen Rückhalt im Militär, unter Singhalesen und im buddhistischen Klerus. Fast die Hälfte der SLPF-Parlamentarier gehört zu seinem Lager. Er nutzt seinen Einfluss, um gegen die Aussöhnung mit den Tamilen, gegen eine Bestrafung von Kriegsverbrechern und gegen politische Reformen zu mobilisieren. Damit drängt er Sirisena immer wieder in die Defensive.

Autor

Neil DeVotta

ist Assistenzprofessor am Fachbereich Politik und internationale Beziehungen der Wake-Forest-Universität in Winston-Salem, USA.
Ein noch größeres Problem für diesen ist die schlechte Wirtschaftslage. Rajapaksa nahm seinerzeit immer wieder neue Kredite auf, vor allem in China, um alte Schulden zu bedienen. Zugleich ließ er Straßen, Häfen und Flughäfen bauen, die nicht alle wirklich gebraucht wurden. Als Folge schuldet Sri Lanka inzwischen China acht Milliarden US-Dollar und bemüht sich in Peking um eine Umschuldung, während es gleichzeitig weiter um chinesische Investitionen wirbt. Der Inselstaat steckt in der Schuldenfalle: Schon im nächsten Jahr muss er 4,5 Milliarden Dollar für Zinsen und Tilgung aufbringen, und das bei gesunkenem Wirtschaftswachstum und anhaltender Unterbeschäftigung. Längst schaffen Investoren Devisen aus dem Land. Der Druck steigt, die Landeswährung abzuwerten, was den Schuldendienst für das Land noch teurer machen würde.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat vor kurzem Hilfen zugesagt, doch im Gegenzug wird er unpopuläre Sparprogramme verlangen. Die meisten Srilanker verstehen wenig von Schuldenrückzahlung und Zahlungsbilanzkrisen. Sie schauen vor allem auf die Lebenshaltungskosten und die Arbeitslosigkeit, die beide mit den vom IWF verlangten Reformen steigen werden. Von der schlechten Wirtschaftslage werden vor allem Rajapaksa und seine Anhänger profitieren: Sie werden die Krise nutzen, um wieder an die Macht zu kommen.

Die wichtigsten Mächte auf der internationalen Bühne unterstützen Präsident Sirisena und seine Regierung der nationalen Einheit. Besonders westliche Staaten, deren Beziehungen zu Rajapaksas autoritärem Regime sehr angespannt waren, arbeiten nun mit Sri Lanka zusammen. Sirisena wird nicht alles richten können, was im Argen liegt. Doch sollte es ihm gelingen, einen Großteil der von ihm angeschobenen Reformen durchzusetzen, dann wird das nicht nur ein Gewinn für die Bürger seines Landes sein, sondern für die gesamte internationale Gemeinschaft.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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