Spirale des Schreckens

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Militärherrschaft
Rebellen in Thailand
Seit Jahrzehnten kämpfen in Thailands Süden muslimische Rebellen für einen eigenen Staat. Der Konflikt wird international kaum beachtet – das freut die in Bangkok regierende Militärjunta.

Auf einem Markt in Thailands südlicher Provinz Yala explodiert im Januar eine Bombe, tötet drei Menschen und verletzt mehr als zwanzig. Mitte August werden in der Provinz Narathiwat eine Frau und ihre Tochter erschossen, als sie mit dem Motorrad von einem lokalen Markt nach Hause fahren. Ende August werden auf einem Nachtmarkt in der Provinz Pattani ein Mann und eine Frau getötet, während zur selben Zeit maskierte Bewaffnete in Yala Lastwagen und Büroräume eines regionalen Elektrizitätswerkes in Brand setzen.

Was sich wie eine Chronologie des Schreckens liest, ist fast alltäglich in Thailands muslimischem Süden, wo Rebellenorganisationen für Unabhängigkeit vom buddhistischen Zentralstaat kämpfen. Die Ursache des Konflikts liegt lange zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts okkupierte das damalige Königreich Siam das Sultanat Patani, das unter anderem die drei heutigen thailändischen Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat umfasste.

Dort leben 1,8 Millionen Menschen, die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnisch Malaien muslimischen Glaubens. Sie haben ihre eigene Kultur und mit dem Dialekt Jawi auch eine eigene Sprache. Die bekanntesten Rebellenorganisationen sind die Pat(t)ani United Liberation Organisation (PULO) und die Barisan Revolusi Nasional (BRN). Die BRN kontrolliert nahezu alle Kämpfer vor Ort. Sie sei „gesteuert von einer Mischung aus malaiischem Nationalismus und islamistischen Ideologien“, sagt Sunai Phasuk von Human Rights Watch. Ihr Ziel sei es, die südlichen Grenzprovinzen „gewaltsam von ethnischen Thai-Buddhisten zu befreien, um das Islamische Land Patani zu schaffen.“

Viele Muslime, denen Bangkok in vielen Fällen zu Unrecht vorwirft, mit den Separatisten unter einer Decke zu stecken, fühlen sich zudem als Bürger zweiter Klasse. Yala, Pattani und Narathiwat gelten wirtschaftlich als wenig entwickelt, das Geld sitzt in der Hauptstadt Bangkok, den industriellen Zentren und den Touristenhochburgen. Dass die drei Provinzen bereits in den 1970er und 1980er Jahren Schauplatz separatistischer Auseinandersetzungen waren, lag vor allem daran, dass verschiedene Militärdiktatoren in Bangkok eine rigorose Assimilierungspolitik betrieben, der sich die Muslime zu beugen hatten.

Als diese Form der Unterdrückung nach und nach zurückgenommen worden war, beruhigte sich der Konflikt in den 1990er Jahren weitgehend. Als Beginn einer neuen Welle der brutalen Gewalt gilt der 4. ­Januar 2004. Damals überfielen Aufständische ein Armeecamp in der Provinz Narathiwat, töteten vier Soldaten und erbeuteten Hunderte Waffen. Der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra verhängte daraufhin zunächst das Kriegsrecht und später Notstandsgesetze über die Region.

In der aufgeheizten Atmosphäre verübten Sicherheitskräfte Massaker, die auch international Schlagzeilen machten, etwa im April 2004 in der Krue-Se-Moschee in der Provinz Pattani. Mit Messern und Macheten bewaffnete junge Männer hatten unter anderem Polizeiposten in den Provinzen Pattani, Yala und Songkhla attackiert und sich anschließend in der Moschee verschanzt. Das Militär stürmte das Gebäude und erschoss alle Kämpfer – entgegen den Anordnungen der Regierung, die Verhandlungen befohlen hatte.

Eine Kommission rügte später das harte Durchgreifen der Armee. Juristisch belangt wurde keiner der Befehlshaber. Sechs Monate später demonstrierten in der Provinz Narathiwat rund 2000 Menschen vor einer Polizeiwache in der Grenzstadt Tak Bai. Sie forderten die Freilassung von sechs Inhaftierten, die beschuldigt wurden, Separatisten Waffen verkauft zu haben. Die Polizei rückte mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken an und feuerte in die Menge. Zahlreiche Menschen kamen uns Leben, ein Großteil der Demonstranten wurde verhaftet. Ende Mai 2009 sprach ein Gericht die am Tak-Bai-Massaker beteiligten Sicherheitskräfte frei.

Bislang mehr als 7.000 Menschen getötet

Nach dem Sturz Thaksins durch das Militär im September 2006 eskalierte die Situation weiter. Der von der damaligen Junta eingesetzte Übergangspremier Surayud Chulanont, selbst ein Ex-General, entschuldigte sich zwar öffentlich bei den Muslimen in den südlichen Provinzen für die Gewalttaten und die fehlgeleitete Politik der Vergangenheit. Doch den Worten folgten keine Taten, auf Gerechtigkeit warten die Opfer bis heute. Menschen- und Bürgerrechtler monierten damals, die Regierung prangere zwar die Menschenrechtsverletzungen und Gewalt der Thaksin-Ära an, spiele aber die Mittäterschaft von Militärs und Sicherheitskräften herunter. Für militante Gruppen sei dieser Umstand eine willkommene Rechtfertigung für immer neue Anschläge.

Autorin

Nicola Glass

lebt als Journalistin nahe Hamburg. Sie hat von 2002 bis 2015 als freie Südostasien-Korrespondentin in Bangkok gearbeitet und mehrfach in Malaysia recherchiert. 2018 erschien ihr Buch „Thailand. Ein Länderporträt“.
Bei Anschlägen und Massakern, aber auch durch Gewalttaten krimineller Banden sind im tiefen Süden Thailands bis heute mehr als 7.000 Menschen getötet worden. Die Opfer sind in erster Linie buddhistische und muslimische Zivilisten, darunter Mönche und Lehrer, Arbeiter und Geschäftsleute. Ziele der gewalttätigen Attacken sind demnach unter anderem Schulen, Tempel, lokale Kliniken, Hotels und Märkte. Buddhisten geraten ins Visier militanter Aufständischer, weil sie das Feindbild des Zentralstaates verkörpern; Muslime werden zur Zielscheibe, wenn sie verdächtigt werden, mit Bangkok zu kollaborieren.

Die Gewalt gehe nicht nur von den Aufständischen aus, bestätigt der Menschenrechtler Sunai Phasuk. „Geschichten von Misshandlungen durch thailändische Sicherheitskräfte sind in jedem Dorf von muslimischen Malaien zu hören.“ Die Kampagnen zur Bekämpfung der Rebellen seien vor allem Militäroperationen. Das führe zu schweren Menschenrechtsverletzungen wie extralegalen Tötungen, gewaltsamem Verschwindenlassen, willkürlichen Verhaftungen und Folter, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden, sagt Sunai. Laut Pornpen Khongkachonkiet von der Organisation Cross Cultural Foundation werden stattdessen Beschwerden und Verleumdungsklagen gegen Menschenrechtler und Journalisten angestrengt.

Thailands wechselnde Regierungen konnten den Konflikt bis heute nicht beenden. Zum einen waren sie uneins über die richtigen Strategien, zum anderen beherrschten nach dem Putsch 2006 gegen Thaksin die Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern, den Rothemden, und seinen Gegnern, den Gelbhemden, die Innenpolitik. So geriet die Spirale der Gewalt im Süden selbst im eigenen Land in den Hintergrund. „Aufeinanderfolgende Regierungen haben sich entschieden, sich beim gewalttätigsten inneren Konflikt Südostasiens durchzuwursteln“, kritisierte schon 2012 die International Crisis Group.

Im Februar 2013 nahm die Regierung unter Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra einen neuen Anlauf für Friedensgespräche mit dem Nachbarn Malaysia als Vermittler. Das habe sowohl Thailands Militär als auch die Rebellen überrascht, so der politische Analyst Don Pathan. Zwar saßen Rebellen, die als BRN-Mitglieder galten oder angaben, für die BRN zu sprechen, mit am Verhandlungstisch. Tatsächlich aber habe diese Initiative nicht den Segen des führenden Rates der BRN. Vielmehr sei es dessen Absicht gewesen, den Prozess zum Scheitern zu bringen. Mit dem Putsch gegen Yingluck im Mai 2014 wurde der Vorstoß ohnehin hinfällig.

Malaysia hat Einfluss auf den Friedensprozess

Inzwischen hat das jetzige Militärregime einen neuen Versuch gestartet, die Lage zu befrieden. Doch ihre Verhandlungspartnerin MARA Patani, eine Art Dachorganisation, die zu einem Gutteil aus Rebellen im Exil besteht und im Gegensatz zur BRN keinen Einfluss auf die Kämpfer vor Ort hat, hat die Gespräche laut Medienberichten Anfang August 2018 unterbrochen. Die BRN habe es mit Verhandlungen nicht eilig, erläutert Don Pathan. Sie habe zudem wiederholt betont, sie werde sich nur mit Thailands Regierung an einen Tisch setzen, wenn internationale Beobachter hinzugezogen würden.

Das Nachbarland Malaysia fungiert als Vermittler und hat mit dem früheren Polizeichef Abdul Rahim Noor einen neuen Repräsentanten für künftige Friedensgespräche bestimmt. Für Prognosen über den weiteren Verlauf dürfte es noch zu früh sein. Dennoch: Neue Köpfe bewirkten nur bedingt etwas, sagt Don Pathan: „Eine neue Regierung in Kuala Lumpur macht keinen Unterschied, wenn sich die Dynamik der Gespräche nicht ändert.“ Zugleich ist er überzeugt: Kuala Lumpur könne Bangkok dazu drängen, den Friedensprozess zu öffnen und der internationalen Gemeinschaft eine ähnliche Unterstützung zu ermöglichen wie bei den Friedensinitiativen von Aceh in Indonesien und Mindanao auf den Philippinen.

Dagegen machen Thailands Militärs deutlich, dass ihnen Verhandlungen auf multilateraler Ebene, gar noch unter westlicher Beobachtung, nicht passen. Das buddhistische Königreich sei unteilbar, stellte die Junta außerdem klar. Forderungen nach Dezentralisierung, Autonomie oder gar Unabhängigkeit lehnt das Regime in Bangkok strikt ab. Stattdessen hat es die Anerkennung der geltenden Verfassung zu einer Vorbedingung für Gespräche mit den Aufständischen gemacht. Doch die ist einzig darauf angelegt, die Macht des Militärs langfristig zu garantieren. Beim Referendum über den Entwurf der umstrittenen Verfassung, deren Kritiker eingeschüchtert und bedroht wurden, stimmten im August 2016 bei einer Wahlbeteiligung von 59,4 Prozent letztlich knapp 61,4 Prozent dafür und nahezu 38,7 Prozent dagegen. Zu den Gegnern zählte die überwiegende Mehrheit der Bewohner von Yala, Pattani und Narathiwat.

Von einem dauerhaften Frieden sind beide Seiten weit entfernt – und meinen ihre Bemühungen wohl auch nicht ernst. Als Testlauf ist im tiefen Süden eine sogenannte Sicherheitszone etabliert worden, in der eine vorläufige Waffenruhe erprobt werden soll. Doch für Kritiker ist das lediglich eine kosmetische Maßnahme. Voraussetzung für einen nachhaltigen Frieden sei Gerechtigkeit, sagt Sunai Phasuk von Human Rights Watch. Beschwerden der Zivilbevölkerung wie Unterdrückung und Machtmissbrauch durch Sicherheitskräfte und andere Vertreter des buddhistischen Zentralstaates müsse nachgegangen werden. Außerdem müssten Menschenrechtsverletzungen sowie Ungerechtigkeiten, die den Aufstand anheizten, geahndet werden. Dazu gehört unter anderem eine juristische Aufarbeitung und eine Bestrafung der Täter. „Sonst werden Friedensbemühungen fehlschlagen“, fürchtet Sunai Phasuk.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2018: Eingebuchtet
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