hat es auf den Militärputsch von 2014 geradezu angelegt. Die neuen Machthaber gehen nun
mit drakonischen Strafen gegen Oppositionelle vor.
Das „Denkmal der Demokratie“ im Herzen Bangkoks sieht Ende Juni nicht so aus wie sonst. Es ist umhüllt mit einem schwarzen Transparent, auf dem eine Protestnote prangt: „No Coup!“ Davor haben sich ein gutes Dutzend junger Leute versammelt. Sie protestieren gegen Thailands Militär, das am 22. Mai 2014 die Macht an sich gerissen hat. Ihre friedliche Kundgebung müssen die Studenten und Aktivisten teuer bezahlen: 24 Stunden später werden sie festgenommen. Ihr „Vergehen“ in den Augen der regierenden Junta, die sich Nationalrat für Frieden und Ordnung (NCPO) nennt: Gefährdung der nationalen Sicherheit und Verstoß gegen das Versammlungsverbot.
Das Kriegsrecht wurde am 1. April aufgehoben – und durch noch striktere Regelungen ersetzt. Treffen von mehr als fünf Personen im öffentlichen Raum bleiben ebenso verboten wie Debatten über die verheerenden Zustände im Land. Nicht nur in Thailand solidarisierten sich viele Menschen mit den Studenten, auch die Europäische Union, die Vereinten Nationen und Menschenrechtler haben das drakonische Vorgehen scharf kritisiert. Der Druck zeigte offenbar Wirkung: Das Militärgericht in Bangkok setzte die Studenten Anfang Juli vorläufig auf freien Fuß. Das Verfahren ist damit jedoch nicht beendet.
Der harsche Umgang mit Kritikern zeigt, wie sehr die Menschenrechte seit dem vom damaligen Armeechef Prayuth Chan-ocha angeführten Putsch am Boden liegen. Trotzdem wagen es kleine Gruppen immer wieder, sich dem Regime zu widersetzen. Eine davon nennt sich „Resistant Citizen Group“ um den Aktivisten Punsak Srithep. Im Februar hatte er mit drei Mitstreitern eine „symbolische Wahl“ organisiert; daraufhin wurden die Männer vorübergehend festgenommen.
Hunderte willkürliche Festnahmen
Punsak Srithep setzt sich nicht nur für die Demokratie ein, sondern auch für die Aufklärung des Mordes an seinem Sohn. Dieser war während der blutigen Unruhen in Bangkok im Mai 2010 erschossen worden, bei denen die Armee die Proteste der sogenannten „Rothemden“ niedergeschlagen hatte, die mehrheitlich Anhänger der Ex-Premierminister Thaksin und Yingluck Shinawatra sind. „Meine Landsleute müssen begreifen, dass man für Gerechtigkeit und Demokratie kämpfen muss“, betont Punsak Srithep. Ähnlich sahen es die Studenten, Akademiker und Aktivisten, die am diesjährigen Weltfrauentag mit einer Demonstration Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert hatten.
Indes ist allen bewusst, dass eine Rückkehr zur Demokratie in immer weitere Ferne rückt. Prayuth Chan-ocha, Junta-Chef und Premierminister in Personalunion, hatte schon kurz nach dem Putsch erklärt, dass Wahlen nur infrage kämen, wenn der „Reformprozess“ abgeschlossen sei. Im Klartext: Wann es soweit ist, bestimmen allein die jetzigen Machthaber, unter deren Herrschaft das buddhistische Königreich innerhalb kurzer Zeit zur Diktatur verkommen ist. Durch die systematische Verfolgung kritischer Stimmen werde ein Klima der Angst geschaffen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Seit dem Putsch habe es Hunderte willkürlicher Festnahmen gegeben. Hinzu kämen Vorwürfe wegen Folter sowie unfaire Prozesse vor Militärgerichten.
In den militärgerichtlichen Verfahren geht es um angebliche Verstöße gegen die „nationale Sicherheit“. Die Organisation Thailändische Anwälte für Menschenrechte sowie die in Genf ansässige Internationale Juristenkommission verurteilen das scharf: „Nach internationalen Standards dürfen Zivilisten keiner Rechtsprechung durch Militärgerichte unterworfen werden, vor allem nicht dort, wo – wie im von Militärs regierten Thailand – Gerichtshöfen die institutionelle Unabhängigkeit von der Exekutive fehlt.“ Unter die „nationale Sicherheit“ fällt auch das seit Jahren politisch missbrauchte Gesetz gegen Majestätsbeleidigung, laut dem Diffamierungen der Monarchie mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können. Seit ihrer Machtergreifung hat die Armee die Auslegung dieses Gesetzes noch verschärft: Die Zahl der Anklagen und Verurteilungen wächst.
Thailand galt einst als Vorbild für demokratische Entwicklung in Südostasien. Wie kam es zu diesem Rückfall in dunkle Zeiten? Dem Militärputsch gingen monatelange Proteste gegen die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra voran, die bei der Wahl im Juli 2011 einen Erdrutschsieg erzielt hatte. Die Oppositionsbewegung „Demokratisches Reformkomitee des Volkes“ (PDRC) wollte sie aus dem Amt jagen. Ebenso wie ihr Bruder Thaksin, der 2006 als Regierungschef vom Militär gestürzt worden war, konnte sich Yingluck auf die Stimmen der Reisbauern im Norden und Nordosten sowie der Arbeiter und Angestellten in den Städten stützen – sehr zum Unmut der alteingesessenen Bangkoker Mittelschicht, des Geldadels, des royalistischen Beamtenapparates und der Aristokratie. Die Angehörigen des konservativen Establishments, die um Einfluss und Pfründen fürchteten, empfanden es als Zumutung, dass die von ihnen verachteten ärmeren Schichten wiederholt den Parteien Thaksins und dessen Clique neureicher Wirtschaftsbosse zur Macht verholfen hatten.
Das politische Chaos von 2008
Die Proteste gegen Yingluck entzündeten sich an einem umstrittenen Amnestiegesetz, das ihre Partei Puea Thai (Für Thais) durchdrücken wollte. Es sollte unter anderem Thaksin die Rückkehr erlauben, der 2008 wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war und im Exil lebt. Der Gesetzentwurf wurde in einer Marathonsitzung durchs Parlament gepeitscht. Das trieb Thaksins Erzfeinde auf die Straßen.
Die PDRC legte es darauf an, Gewalt und Chaos zu schüren, um die Armee zum Eingreifen zu bewegen. Als die Premierministerin im Dezember 2013 das Parlament für aufgelöst erklärte und Neuwahlen ausrief, setzte sie die Proteste fort. „Ich pfeife auf Neuwahlen!“, sagte damals eine Demonstrantin. „Das ist keine Lösung für uns, stattdessen wollen wir, dass der gesamte Shinawatra-Clan aus Thailand verschwindet.“ Eine Mitstreiterin ergänzte: „Die ganze Regierung ist korrupt und muss weg.“ Auf die Anmerkung, die Yingluck-Regierung sei demokratisch gewählt, entgegneten die Frauen bloß: „Ja, weil sie die Stimmen der armen Landbevölkerung gekauft hat. Das ist keine Demokratie.“
Statt Neuwahlen forderte die PDRC die Einrichtung eines demokratisch nicht legitimierten „Volksrates“. Einige Akademiker kritisierten diese Pläne als „faschistisch“, weil sie ausschließlich den Interessen einer vergleichsweise kleinen, konservativen Elite dienten. Kritiker sahen in den Korruptionsvorwürfen nur einen Vorwand, um die Yingluck-Regierung zu stürzen. Tatsächlich gehe es um den langfristigen Machterhalt der konservativen Eliten des Landes.
Viele vermuteten hinter der PDRC jene Kräfte, die sowohl Wegbereiter für den Militärputsch von 2006 gegen Thaksin waren als auch verantwortlich für das politische Chaos von 2008. Es gipfelte in der Besetzung des Regierungssitzes und des internationalen Flughafens durch die sogenannten „Gelbhemden“ der Volksallianz für Demokratie (PAD), der Gegner Thaksins. Schon die PAD propagierte eine „neue Politik“, um das parlamentarische System drastisch zu beschneiden und der konservativen Seite Macht und Privilegien zu sichern. Die Protestbewegung PDRC von 2013 galt als eine noch radikaler auftretende Wiedergeburt. Ihr Anführer Suthep Thaugsuban war früher eines der ranghöchsten Mitglieder der Demokratischen Partei (DP). Als Vize-Premierminister in der von der DP geführten Regierung von Ende 2008 bis Mitte 2011 war er mitverantwortlich für die blutige Niederschlagung der Proteste der „roten“ Thaksin-Anhänger im Frühjahr 2010.
Die Junta denkt nicht daran, die Macht abzugeben
Die DP unterstützte Suthep auch 2013-2014, da sie sehr wohl wusste, dass sie an den Wahlurnen keine Chance gegen das Thaksin-treue Lager haben würde. Sie verweigerte sich im Februar 2014 bereits zum zweiten Mal einer Wahl. Ihr Boykott von 2006 hatte ebenfalls zu einer Staatskrise geführt, die in den Putsch gegen Thaksin mündete.
Seit das Militär im Mai 2014 die Macht an sich gerissen hat, ist die PDRC von den Straßen verschwunden. Doch die politischen Ränkespiele halten an. Dass es darum geht, das Netzwerk des Shinawatra-Clans kaltzustellen, zeigt sich nicht zuletzt in dem fragwürdigen Prozess gegen Ex-Premierministerin Yingluck. Die Justiz wirft ihr Pflichtverletzung in Zusammenhang mit einem staatlichen Reis-Subventionsprogramm vor, bei dem Milliarden US-Dollar versickert sein sollen. Bei einem Schuldspruch drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft. Ein fünfjähriges Politikverbot hat ihr schon im Januar das vom Militär eingesetzte Parlament auferlegt. Die politische Demontage hat System: Anfang Mai vergangenen Jahres waren Yingluck und neun ihrer Minister wegen Amtsmissbrauchs vom Verfassungsgericht ihrer Posten enthoben worden. Der klägliche Rest ihrer Regierung wurde schließlich zwei Wochen später vom Militär gestürzt. Kritiker monierten, die Justiz mache sich zur Erfüllungsgehilfin des Militärregimes.
Autorin
Nicola Glass
lebt als Journalistin nahe Hamburg. Sie hat von 2002 bis 2015 als freie Südostasien-Korrespondentin in Bangkok gearbeitet und mehrfach in Malaysia recherchiert. 2018 erschien ihr Buch „Thailand. Ein Länderporträt“.Ein Proporz-System soll dafür sorgen, dass große politische Parteien – wie bislang die Thaksin-treuen – keine absoluten parlamentarischen Mehrheiten mehr erzielen. Eine konservative Justiz und Technokratie soll Parteipolitiker zusätzlich kontrollieren, so dass sie faktisch nichts mehr entscheiden können. Das kommt einer Entmündigung der Mehrheit der thailändischen Wählerschaft gleich. Auch soll festgeschrieben werden, dass der künftige Premierminister beziehungsweise die künftige Premierministerin kein gewähltes Mitglied des Parlaments zu sein braucht.
Der heutige Chef der Militärjunta, Prayuth Chan-ocha, hat einst in Anspielung auf die Wahlsiege der Thaksin-treuen Parteien erklärt, zu viel Demokratie habe das Land in die politische Dauerkrise gestürzt. Geht es nach dem Willen der jetzigen Machthaber, dann wird die neue Verfassung die Grundlage eines Systems bilden, das die Militärs der Außenwelt als „Thai-Style-Democracy“ verkaufen wollen. Es ist darauf angelegt, militärische Staatsstreiche zu legitimieren und die Herrschaft des konservativen Establishments zu befestigen – eine geschrumpfte Zahl gewählter Abgeordneter soll als Feigenblatt dienen. Inzwischen bezweifeln viele, dass es in absehbarer Zeit überhaupt zu Wahlen kommt.
Um den Militärs die Stirn zu bieten, wäre ein Volksaufstand nötig, initiiert von unabhängigen und progressiven Kräften, die bereits jetzt den offenen Widerstand wagen und nicht unter dem Banner einer politischen Farbe auftreten. Ob es dazu kommt, in einem politisch zerrissenen Land und einem Klima der Angst und Unterdrückung, ist fraglich. Zumal Thailands Armee bereits in der Vergangenheit keine Skrupel gezeigt hat, pro-demokratische Kundgebungen blutig niederzuschlagen.
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