Ziemlich beste Partner

KNH

Spaß am Lernen: Grundschüler im wiederaufgebauten Collège Verena in Port-au-Prince (Haiti).

Unternehmen
Für viele Hilfsorganisationen sind Unternehmen ein rotes Tuch. Doch sie können auch zusammenarbeiten. Einblicke in die Praxis.

Mehr als drei Millionen verzweifelte Menschen, Hunderttausende zerstörte Häuser und Geschäfte: Im Januar 2010 richtete ein schweres Erdbeben in Haiti verheerende Schäden an. Als Daniela Büchel die Bilder sah, war ihr klar: „Ich muss etwas tun.“ Damit war sie nicht allein. Aus dem ganzen Unternehmen habe sie Anfragen erhalten, erinnert sich Büchel, die bei der Rewe Group als Bereichsvorstand für Personal und Nachhaltigkeit zuständig ist. „Die Bereitschaft, Geld zu sammeln und zu helfen, war sehr groß.“ Sie machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Partner für ein Hilfsprojekt, das nicht nur die erste Not lindern sollte, sondern die Erdbeben-Opfer langfristig unterstützen würde.

Schnell wurde Büchel bei der Kindernothilfe (KNH) fündig. Mit der christlichen Hilfsorganisation  hat die Rewe Group die Mitarbeiteraktion „Gemeinsam für Haiti“ ins Leben gerufen. Seit dem Start sind bislang rund 3,75 Millionen Euro gesammelt worden. Die Mitarbeitenden können sich mit kleineren Spendenaktionen beteiligen oder jeden Monat einen Euro direkt von ihrem Gehalt abbuchen lassen. Mit dem Geld wurde das Collège Verena wiederaufgebaut, eine Schule für 1600 Kinder in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Einzelne Beschäftigte und ganze Abteilungen haben zudem Patenschaften für Mädchen oder Jungen übernommen. Mit Hilfe eines Stipendienprogramms erhalten 90 Absolventinnen und Absolventen des Collège die Chance, zu studieren oder ein Handwerk zu erlernen.  

Der Medizintechnikhersteller Ottobock aus Duderstadt unterhält ebenfalls seit einigen Jahren eine Partnerschaft mit einer Hilfsorganisation – mit der Christoffel-Blindenmission (CBM). Der Start war weit weniger emotional: Vor gut drei Jahren wollte das Unternehmen den Markt für seine Orthopädietechnik in Ruanda sondieren und sprach dafür beim Gesundheitsministerium in Kigali vor. Dort verwies man auf die CBM als Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen, die schon lange im Land tätig ist – und Ottobock konnte noch in ein bereits geplantes Rehabilitationszentrum in Gahini im Osten des Landes einsteigen.

„Für uns ist das kein philanthropisches Projekt“, stellt Berit Hamer klar. Es gehe darum, einen Markt zu erschließen und zugleich in Ruanda Versorgungsstrukturen aufzubauen und das Gesundheitssystem zu stärken, sagt die Leiterin für Internationale Kooperationen von Ottobock. Auf das zentralafrikanische Land fiel die Wahl, weil es politisch relativ stabil ist und über eine gesetzliche Krankenversicherung verfügt, die unter anderem die Kosten für Prothesen teilweise erstattet. Ottobock hat die an das Reha-Zentrum angeschlossene Orthopädie-Werkstatt geplant, ausgestattet und einen Techniker geschult, der die Geräte dort wartet. Zudem bildet das Unternehmen die fünf Fachkräfte der Werkstatt in der Versorgung von Patienten mit Prothesen und Orthesen weiter. Die Seminare finden vor Ort und in Duderstadt statt.  

Ein „Technologiesprung“ macht Prothesen haltbarer

Damit sei eine Win-win-Situation geschaffen worden, wie beide Seiten betonen. Die CBM habe Ottobock ihre für das Projekt wichtigen Kontakte in Ruanda zur Verfügung gestellt, sagt Fabian Schindler, der die Kooperation auf Seiten der Hilfsorganisation betreut. Gleichzeitig profitiere sie von der Versorgungsexpertise des Unternehmens, die in der Orthopädiewerkstatt in Gahini einen „Technologiesprung“ ermögliche. Bislang würden in ärmeren Ländern vor allem Prothesen in einem Stück aus dem Kunststoff Polypropylen gefertigt. Dieses Verfahren werde abgelöst von der Modulartechnologie, die es erlaubt, die künstlichen Gliedmaßen individueller an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten anzupassen. Das sei zwar teurer, die Prothesen hielten jedoch länger und schenkten mehr Bewegungsfreiheit. Zudem spiele das Know-how der Techniker eine maßgebliche Rolle.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Für Diskussionen zwischen Unternehmen und Hilfsorganisation sorgten vor allem Verzögerungen im Zeitplan und bei der Ausbildung der ruandischen Fachkräfte. Schindler und Hamer loben jedoch übereinstimmend die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“, die es erlaube, Missverständnisse schnell auszuräumen oder anders gelagerte Erwartungen anzupassen. Transparenz und eine klare Kommunikation sind auch laut Susanne Kehr von der Kindernothilfe die besten Voraussetzungen für erfolgreiche Unternehmenskooperationen. Grundsätzliche Meinungsunterschiede hat sie in ihrer Arbeit bislang noch nicht erlebt. „Die Unternehmen vertrauen auf unsere Expertise in der Projektarbeit“, sagt Kehr, die auch die Hilfsaktion mit der Rewe Group betreut. „Gemeinsame Ziele, Vertrauen und eine gute persönliche Ebene“ seien entscheidend, bestätigt Daniela Büchel.

Der finanzielle Beitrag ist entscheidend

Die meisten Partner der Kindernothilfe aus der Privatwirtschaft spenden aus philanthropischen Motiven – und hängen das nicht unbedingt an die große Glocke. Auch die Rewe Group nutzt die Haiti-Aktion nicht für Werbung und Marketing. „Wir machen das für unsere Mitarbeiter“, sagt Büchel. Sie seien „extrem stolz“ auf die Aktion und wollten laufend über Fortschritte informiert werden. „Daraus entsteht ein Wir-Gefühl“. Für die Kindernothilfe ist nicht zuletzt der finanzielle Beitrag entscheidend, wie Susanne Kehr sagt: „Ohne Rewe könnten wir das Stipendienprogramm für die Jugendlichen in Haiti nicht verwirklichen.“ Darüber hinaus regten Berichte über die Hilfsaktion in dem großen Konzern immer wieder weitere Menschen an, sich für die Arbeit der KNH zu engagieren.

Der Anteil von Firmenspenden am Jahresbudget der Kindernothilfe liege im Durchschnitt bei fünf Prozent, sagt Kehr, die sich mit einer Kollegin um Unternehmen kümmert. Die Christoffel-Blindenmission nimmt mit Hilfe von Unternehmenskooperationen rund eine Million Euro im Jahr ein. Das entspreche einem Anteil von 1,5 Prozent an den jährlichen Einnahmen und sei ausbaufähig, findet Geschäftsführer Peter Schießl. „Wir stehen immer noch am Anfang“, sagt er und verweist auf „eine Handvoll größerer Kooperationspartner“ wie Ottobock, die Geuder AG, die augenchirurgische Instrumente und Geräte herstellt, sowie die Carl Zeiss AG, die unter anderem Brillengläser produziert.

Andere setzten eher auf Konfrontation

Andere nichtstaatliche Organisationen (NGOs) setzen im Umgang mit Unternehmen eher auf Konfrontation oder einen kritischen Dialog – wie die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald oder die Kampagne für Saubere Kleidung. Der Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe hat unlängst in einem Bericht die große Bandbreite von Beziehungen dargestellt – und auf Gefahren aufmerksam gemacht. Je kooperativer sich die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen gestalte, desto heikler könne sie für die NGO werden, heißt es darin. Der Vorwurf, käuflich zu sein, könne die Glaubwürdigkeit einer Organisation zerstören – und damit ihre wichtigste Ressource.

Die Kindernothilfe und die Christoffel-Blindenmission prüfen Unternehmen deshalb vor einer Zusammenarbeit auf Herz und Nieren. Dafür haben sie Leitlinien, die bestimmte Branchen wie die Rüstungs-, Alkohol- und Tabakindustrie ausschließen, und Nachhaltigkeitskriterien festschreiben. In „Graubereichen“ wie der Textilwirtschaft schaue sie ganz genau hin, sagt Susanne Kehr von der KNH. Sie hat schon Firmen abgelehnt, die nicht nachweisen konnten, dass sie ihre Lieferketten auf die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards kontrollieren. Die CBM nimmt in manchen Fällen zusätzlich die Dienste einer Ratingagentur für Nachhaltigkeit in Anspruch, um die Risiken für einen Verlust ihres guten Rufes möglichst gering zu halten. Ob es passt oder nicht, entscheidet sich meist, bevor eine Zusammenarbeit entsteht. Eine Kooperation beenden, weil der Partner in Misskredit geraten war – das mussten beide Organisationen bislang nicht.

Aufwendig, aber lohnend – dieses Fazit ziehen Susanne Kehr von der KNH und Tanja Spiegel, die bei der CBM mit sieben Kolleginnen und Kollegen die Zusammenarbeit mit rund 200 Stiftungen und 120 Unternehmen betreut. In der Mehrzahl treten Unternehmen an die Hilfsorganisationen heran – etwa für Spendenaktionen in der Vorweihnachtszeit oder nach großen Naturkatastrophen. Die Christoffel-Blindenmission sucht zudem auf Fachkonferenzen und mit persönlicher Ansprache gezielt nach Partnern für bestimmte Projekte, wie Tanja Spiegel erläutert. Um Kranke zu behandeln oder Menschen mit Behinderungen zu betreuen, kann die CBM Sachspenden wie medizinische Geräte oder Medikamente gut brauchen.

Die Kooperationspartner wünschen sich individuell gestaltete Berichte über die  Projektfortschritte, zu Jahresberichten und Newslettern müssen immer wieder Berichte und Fotos beigesteuert werden. Auch Besuche vor Ort gehören dazu – das „stärkste Bindungsinstrument“, sagt Susanne Kehr. Daniela Büchel von der Rewe Group bestätigt: „Man kommt verändert von dort zurück.“ Einmal im Jahr bekommt der Konzern in seiner Kölner Zentrale zudem Besuch aus Haiti.
Die Unternehmen investieren ebenfalls Zeit, Personal und Geld in ihre Kooperationen mit den NGOs. Kurzfristige Gewinne seien nicht zu erwarten, sagt Berit Hamer von Ottobock. „Aber wir haben auch eine soziale Verantwortung in den Ländern, in denen wir tätig sind.“ Hamer verweist auf die Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Kuba, bei der ebenfalls Orthopädietechniker weitergebildet und Werkstätten modernisiert werden.

Die Kooperationen von CBM und KNH mit ihren Unternehmenspartnern sollen zunächst bis zum Jahr 2020 laufen. Daniela Büchel von der Rewe Group ist sich sicher: „Das wird dann aber nicht enden.“

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